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KontroversWie genau sind die Ermittlungen hinsichtlich des Vorsatzes zu prüfen?

Abo-Inhalt01.01.2024136 Min. LesedauerVon RAin Dr. Janika Sievert, LL.M. Eur., FAin StR, FAin StrR, Ecovis L+C, Würzburg, und RD a. D. Dr. Henning Wenzel, Tremsbüttelvon RAin Dr. Janika Sievert, LL.M. Eur., FAin StR, FAin StrR, Ecovis L+C, Würzburg, und RD a. D. Dr. Henning Wenzel, Tremsbüttel

| In der Juristerei kann man oft unterschiedlicher Ansicht sein. In der Rubrik „Kontrovers“ beleuchten zwei Experten ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Alles ist streitbar, auch taktische Unwägbarkeiten im Ermittlungsverfahren. Im Steuerstrafrecht ist neben dem objektiven Tatbestand vor allem auch der subjektive Tatbestand zu beachten. Nicht jedes objektive Fehlverhalten wird vorsätzlich begangen. In der Praxis wird jedoch der Vorsatz allzu schnell unterstellt. Was sollte in solchen Situationen beachtet und wie sollte hiergegen verteidigt werden? |

RD a.D. Dr. Henning Wenzel: Die Steuerhinterziehung baut als Blanketttatbestand auf dem formellen und materiellen Steuerrecht auf und wird durch diese Gesetze konkretisiert. Der Vorsatz als Teil des subjektiven Tatbestandes muss auch diese rechtlichen Bedingungen bzw. Grundlagen des Steuerrechts hinreichend erfassen. Allerdings reicht der „dolus eventualis“, nach dem der Steuerhinterzieher die objektiven Tatmerkmale für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.

Strafverteidiger stellen hieran z. T. überspannte Anforderungen. Ein detailliertes, weitreichendes und umfassendes steuerliches Wissen ist nicht erforderlich, Profis des Steuerrechts müssen die Täter nicht sein. Vielmehr reicht es, wenn der Täter aufgrund einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die Tatumstände laienhaft erfasst bzw. sich vorstellt. Seine beruflichen wie privaten Kenntnisse zu steuerlichen Fragestellungen sind wertend einzubeziehen; sein Alter, die Berufsausbildung, die wiederholte Abgabe von Steuererklärungen, seine Einflussnahmemöglichkeit darauf, steuerliche Sachverhalte zu verwirklichen, seine steuerliche Beratung oder etwa auch die kürzlich oder wiederholt öffentlich zugänglichen Informationen aus den Medien spielen bei der zumindest laienhaften Kenntnis eine maßgebliche Rolle.

Besonders, wenn nicht reine Rechtsfragen im Vordergrund stehen, sondern steuerliche Sachverhalte mehr oder weniger offenkundig manipuliert wurden, erscheinen Verteidigungsstrategien eigenwillig, in denen der Täter als „unschuldiges Lamm“ dargestellt wird. Kassenmanipulationen, wiederholte Stornobuchungen, die doppelte schwarze Buchführung, versteckte Zweitkassen, gezielte Bareinkäufe (ohne Rechnung), große (unerklärliche) Bargeldbestände, Rohgewinnaufschlagsätze (weit) unterhalb des Existenzminimums, wiederholt lückenhafte Buchführung, ungewöhnlich fehlerhafte Inventuren, stark verschachtelte (unlogische) Firmenkomplexe oder etwa kaum logisch nachvollziehbare Auslandsgeschäfte zeigen pointiert den Steuervermeidungswillen des Täters auf. Hier sollte, statt den Täter als vorbildlichen Steuerzahler darzustellen, versucht werden, frühzeitig eine Gesamtbereinigung herbeizuführen.

Auch wenn aufgrund der Vorgaben der § 244 Abs. 2, § 261 StPO ein vorsätzliches Verhalten des Täters aus dem äußeren Geschehensablauf hergeleitet werden kann, muss verwundert zur Kenntnis genommen werden, mit welcher Nonchalance Außenprüfungsdienste über jegliche Angaben und Wertungen zum Vorsatz des Täters hinweggehen. Diese immer wieder praktizierte Arbeitsweise ist nicht nur ein Ärgernis für alle Beteiligten, sondern missachtet auch jegliche Vorgaben des Strafrechts.

RAin Dr. Janika Sievert: Ob es noch Nonchalance ist, mit der sich nicht nur Außenprüfungsdienste, sondern leider auch immer wieder Ermittlungsbehörden über die Grundlagen des Strafrechts hinwegsetzen, ob es eine Arbeitserleichterung für personell unterbesetzte Behörden darstellen soll oder ob es sich um Ignoranz handelt, die – und das wäre ja passend – an Vorsatz grenzt, der Umgang mit dem subjektiven Tatbestand ist tatsächlich ein Ärgernis. Daher ist es Aufgabe der Strafverteidigung, die Feststellungen zum Vorsatz zu überprüfen und bei Bedarf zur Diskussion zu stellen.

Natürlich gibt es einige praktische Hindernisse, Feststellungen auf subjektiver Ebene zu treffen und zu überprüfen, denn es handelt sich nun einmal gerade nicht um objektiv feststellbare Tatsachen, sondern um individuell und im Einzelfall nachzuprüfende Elemente.

Die Behörden machen es sich jedoch zu einfach, wenn sie den Anwendungsbereich des Eventualvorsatzes derart erweitern, dass man zu einer Anwendungsmaxime à la „das Vorliegen des objektiven Tatbestandes indiziert den Vorsatz“ gelangt. Bedingter Vorsatz genügt zwar und es bedarf keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes. Allein dies der Mandantschaft zu erläutern, stößt oftmals auf große Schwierigkeiten, und das nicht nur in den Fällen, in denen sich die Mandantschaft als vorbildlicher Steuerzahler „fühlt“ – auch dies im Übrigen ein subjektives Element, auch wenn gerade hier oftmals eine durchaus relevante Fehlvorstellung vorliegt, die die Verteidigung im Laufe des Verfahrens korrigieren muss. Im Zuge dessen kann es sodann – und hier ist dem Kollegen zuzustimmen – natürlich sinnvoll sein, eine Gesamtbereinigung anzustreben, statt eine meist aussichtlose reine „Vorsatzverteidigung“ führen zu wollen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH setzt bedingt vorsätzliches Handeln jedoch voraus, dass Täter oder Täterin den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennen konnte (sog. Wissenselement) und dass er oder sie ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Damit erfordert der Hinterziehungsvorsatz zwar weder dem Grunde noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs, er setzt jedoch eine gewisse Beschäftigung mit der Thematik voraus, deren Umfang es zu ermitteln gilt. Im Verteidigeralltag stellt sich der subjektive Tatbestand oft noch vielschichtiger dar, als es die Vorstellungskraft von Rechtsprechung und Ermittlungsbehörden hergibt. Daher sollte auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung niemals nur nach „Schema F“ und in aller Kürze festgehalten werden.

AUSGABE: PStR 1/2024, S. 20 · ID: 49773671

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