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EinziehungBei versuchter Steuerhinterziehung kommt keine Einziehung in Betracht

Abo-Inhalt01.01.2024601 Min. LesedauerVon RA Dr. Lenard Wengenroth, FAStR, Krause & Kollegen, Berlin

| Bei versuchter Steuerhinterziehung fehlt es an ersparten Aufwendungen, die sich messbar im Vermögen des Täters niederschlagen – eine Einziehung kommt mithin nicht in Betracht. Das hat der BGH entschieden. |

Sachverhalt

Das LG hatte die Angeklagte A wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Fälschung technischer Aufzeichnungen, und wegen versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen i. H. v. 1.356.536,80 EUR angeordnet. Die A führte als Einzelunternehmerin im Tatzeitraum von 2011 bis Juli 17 ein asiatisches Restaurant. In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen erklärte sie ihre Ausgangsumsätze nicht vollständig; zudem gab sie entgegen der ihr bekannten Pflicht für die Besteuerungszeiträume 2011 bis 2015 weder USt-Jahres- noch ESt- oder GewSt-Erklärungen ab, obwohl sie Ausgangsumsätze und Betriebsgewinne erzielte. Das FA erließ hinsichtlich der Ertragsteuern jeweils vor dem allgemeinen Abschluss der Veranlagungsarbeiten Schätzungsbescheide, in denen es von deutlich niedrigeren Gewinnen ausging.

Die A bewahrte die Kassendaten nicht auf; der bis zum 9.11.16 verwendete Kassenpersonalcomputer war nicht auffindbar. Die danach eingesetzte Kasse verfügte über Manipulationsmöglichkeiten, von denen die A an 210 Tagen Gebrauch machte; dadurch unterdrückte sie für den Zeitraum ab 10.11.16 jeweils 50 Prozent der Ausgangsumsätze. Auch für den Besteuerungszeitraum 2016 gab die A keine USt-Jahreserklärung ab; in der am 11.9.17 abgegebenen USt-Voranmeldung für den Monat Juli 17 verschwieg sie einen erheblichen Teil ihrer Ausgangsumsätze. Im Mai 17 wurde der A die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen der Nichtabgabe der USt-Jahres-, ESt- und GewSt-Erklärungen für die Besteuerungszeiträume 2011 bis 2015 bekannt gegeben. Die Schätzungsbescheide für den Veranlagungszeitraum 2015 erließ das FA jeweils am 21.7.17.

Die Vorinstanz hatte den Rohgewinnaufschlagsatz auf 350 Prozent geschätzt, um den Umfang der für 2011 bis 2015 hinterzogenen Ertragsteuern zu ermitteln. Danach betrug die Verkürzung aus den vollendeten Steuerstraftaten insgesamt 1.695.671 EUR. Unter Abzug einer Sicherheitspauschale von 20 Prozent hat es den – eingezogenen – Gesamtbetrag mit 1.356.536,80 EUR bestimmt. Bei der Feststellung des durch die Nichtabgabe der USt-Jahreserklärungen bewirkten Verkürzungsumfangs hat das LG die in den Voranmeldungen angegebenen USt-Beträge beachtet, desgleichen bei den Ertragsteuern die ergangenen Schätzungsbescheide. Die Revision der A war z. T. erfolgreich. Die wirksam auf die Einziehung, insbesondere bezogen auf die versuchte ESt- und GewSt-Hinterziehung für den Veranlagungszeitraum 2015, beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft blieb hingegen erfolglos (BGH 8.3.22, 1 StR 360/21, Abruf-Nr. 228878).

Entscheidungsgründe

Die durch die manipulierten Tagesabschlussbuchungen begangenen Fälschungen technischer Aufzeichnungen (§ 268 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB) stehen zu den Steuerhinterziehungen in Tatmehrheit, § 53 Abs. 1 StGB. Denn die A gab für den Besteuerungszeitraum 2016 keine USt-Jahreserklärung ab und fügte der USt-Voranmeldung für Juli 17 keine Buchungsbelege bei. Mithin machte sie von den verfälschten technischen Aufzeichnungen keinen Gebrauch, § 268 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Diese Manipulationen der Buchhaltung gehören zum Vor bereitungsstadium. Insoweit gelten die Grundsätze, die zum Regelbeispiel des Verwendens nachgemachter oder verfälschter Belege (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 AO) aufgestellt sind entsprechend (BGH 12.1.05, 5 StR 301/04 Rn. 17). Auch untereinander stehen die täglich begangenen Fälschungen in Tatmehrheit.

Steuerhinterziehung

Die Vorinstanz hat die Besteuerungsgrundlagen rechtsfehlerhaft ermittelt; bereits die Feststellungen hierzu sind lückenhaft und widersprüchlich. Es bedarf aber ausreichender tatsächlicher Feststellungen und der Angabe aller zugehörigen Parameter, um dem Revisionsgericht die Überprüfung der Steuerberechnung und damit des Verkürzungsumfangs zu ermöglichen (st. Rechtsprechung, vgl. nur Beschluss 9.7.20, 1 StR 567/19 Rn. 6). Die Buchhaltung war mangelhaft, da ein erheblicher Teil der Ausgangsumsätze nicht verbucht war und nicht nachträglich aufbereitet werden kann. Daher war das LG zwar berechtigt, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Es durfte für die Jahre 2011 bis 2015 die Richtsätze für Rohgewinnaufschläge aus der Richtsatzsammlung des BMF heranziehen (vgl. zuletzt eingehend BGH 11.3.21, 1  StR 521/20 Rn. 11, 13-15). Bezüglich der Ertrags- und USt waren indes die Hinzuschätzungsbeträge und damit die Betriebsgewinne anhand der Urteilsgründe aber nicht nachvollziehbar.

Bezüglich des Besteuerungszeitraums 2017 kam hinzu, dass allein die Abgabe der unvollständigen USt-Voranmeldung für Juli 2017 angeklagt war. Gleichwohl hat das LG verschwiegene Ausgangsumsätze aus den Monaten Januar bis Juni 2017 in den Schuldumfang eingestellt. USt-Jahreserklärung und USt-Voranmeldungen eines Jahres bilden zwar eine prozessuale Tat (24.11.04, 5 StR 206/04, BGHSt 49, 359, 361 ff.). Dies gilt aber nicht ohne Weiteres für die UStR-Voranmeldungen untereinander, jedenfalls so lange, wie der Täter keine USt-Jahreserklärung abgegeben hat, wie hier, wenn vor Tatvollendung bekannt gegeben worden ist, dass ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden ist, oder wenn nur die Voranmeldungen angeklagt sind.

Einziehung

Das LG hat zu Recht von der Einziehung des Wertes von Taterträgen in den Versuchsfällen abgesehen, in denen die Strafbewehrung der Erklärungspflichten suspendiert war, weil das Steuerstrafverfahren eingeleitet und dies bekannt gegeben worden war (dazu BGH 1.6.21, 1 StR 127/21 Rn. 8). Denn das LG hat sich rechtsfehlerfrei nicht die Überzeugung bilden können, dass die A schon vor der Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens im Mai 17 zur ESt oder GewSt für 2015 veranlagt worden wäre.

Der abzuschöpfende Vermögensvorteil besteht in den Fällen der Steuerverkürzung in den ersparten Aufwendungen; da diese Ersparnis nicht gegenständlich ist, ist deren Wert einzuziehen, § 73 Abs. 1, § 73c S. 1 Var. 1 StGB. Wie bei der Einziehung von durch Straftaten erlangten Vermögensgegenständen und Rechten setzt das Abschöpfen ersparter Steueraufwendungen zudem voraus, dass der Tatbeteiligte über diese Ersparnisse tatsächlich verfügen kann; diese Vermögensvorteile müssen sich messbar in seinem Vermögen niederschlagen. Die (offene) Steuerschuldnerschaft ohne die Möglichkeit, die Steuerersparnis im eigenen Vermögen zu realisieren und i. d. S. über diese tatsächlich zu verfügen, genügt nicht zur Einziehung; denn die Einziehung knüpft an einen durch die Tat beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil an (st. Rechtsprechung; vgl. nur BGH 10.3.21, 1 StR 272/20 Rn. 26 f.).

Das Abschöpfen der ersparten Steueraufwendungen setzt daher den Taterfolg, namentlich die zu niedrige oder verspätete Festsetzung voraus; erst damit realisiert sich eine Ersparnis, die ursächlich auf die tatbestandsmäßige Handlung zurückzuführen ist. Es kommt hingegen nicht darauf an, dass die Ertragsteuerschuld mit Ablauf des entsprechenden Veranlagungszeitraums (§ 36 Abs. 1 EStG/§ 18 GewStG), namentlich des Kalenderjahres (§ 25 Abs. 1 EStG), entsteht (§ 38 AO; Schott in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 370 Steuerhinterziehung Rn. 369; a. A. OLG Celle 14.6.19, 2 Ss 52/19 Rn. 16-19; Gehm, NZWiSt 19, 434, 435 f.). Entscheidend ist, dass der steuerpflichtige Täter die Steuern vor Fälligkeit noch nicht bezahlen muss. Die Möglichkeit, eine Steuerersparnis zu realisieren, setzt voraus, dass der Steueranspruch fällig ist, bevor er durch Steuerbescheid festgesetzt wird, § 155 Abs. 1 S. 1, 2 AO. Nach § 218 Abs. 1 S. 1 Var. 1 AO werden die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 Var. 1 AO) erst durch Steuerbescheide „verwirklicht“.

Im Fall der Abgabe von unrichtigen oder unvollständigen Ertragsteuererklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) wird die Fälligkeit des Steueranspruchs erst durch die Bekanntgabe eines Festsetzungsbescheids herbeigeführt, § 220 Abs. 2 S. 2, § 122 Abs. 1 AO. Letztendlich muss der Steuerpflichtige im Fall einer Abschlusszahlung im Steuererhebungsverfahren die Steuerschuld binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids begleichen, § 36 Abs. 4 S. 1 Alt. 2, Abs. 2 EStG.

Nichts anderes kann für die Unterlassensstrafbarkeit (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) gelten; auch insofern setzt die Einziehung die Tatvollendung, namentlich den Erlass eines Schätzungsbescheids oder den allgemeinen Abschluss der Veranlagungsarbeiten, voraus:

Vor Eintritt des Taterfolgs kann der gegen die steuerliche Erklärungspflicht Verstoßende noch nicht frei über die Ersparnis verfügen; er muss etwa mit dem Erlass eines Schätzungsbescheides mit der Folge rechnen, die Gelder in der festgesetzten Höhe nicht zurückhalten zu können. Maßgeblich für die Abschöpfung der Ersparnis ist das Behaltendürfen der eigentlich an den Fiskus abzuführenden Gelder; das Behaltendürfen beinhaltet eine (erschlichene) Zustimmung des Fiskus bzw. dessen dauerhafte Nichtkenntnis von den zu versteuernden Gewinnen und Einkünften. Mithin kommt es für die Vermögensabschöpfung weder auf die Einordnung des Veranlagungsbescheids an noch darauf, dass durch die Nichtabgabe der Steuererklärung die Bereicherung durch den steuerpflichtigen Vermögenszufluss in voller Höhe aufrechterhalten bleibt und der Teil der an den Fiskus abzuführenden Bereicherung bereits mit Eintritt in das Versuchsstadium, mithin mit Ablauf der Erklärungsfrist, rechtswidrig wird; das Abstellen auf die Tatvollendung ermöglicht eine rechtssichere und insoweit einfach zu handhabende Vermögensabschöpfung.

Nach alledem ist in den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO der Zeitpunkt für die Einziehung maßgeblich, zu dem die A infolge fristgemäßer Erklärung veranlagt worden und die Ertragsteueransprüche fällig geworden wären. Hierzu sind die zur Tatvollendung bei unterlassener Abgabe von Ertragsteuererklärungen aufgestellten Grundsätze heranzuziehen. Danach tritt der Taterfolg der Steuerverkürzung durch Bekanntgabe eines Schätzungsbescheids, mit dem die Steuern zu niedrig festgesetzt werden, oder zu dem Zeitpunkt ein, zu dem der Steuerpflichtige veranlagt worden wäre, wenn er die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht hätte; dies ist spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat, wozu es ausreichender tatsächlicher Feststellungen bedarf (st. Rechtsprechung BGH 4.11.21, 1 StR 236/21 Rn. 13).

Relevanz für die Praxis

Bislang war höchstrichterlich nicht entschieden, ob der Täter bei einer versuchten ESt-Hinterziehung Steuerersparnisse i. S. v. § 73 Abs. 1 StGB „erlangt“, die der Wertersatzeinziehung (§ 73c StGB) unterliegen.

Der 1. Strafsenat hat nun mit erfreulicher Klarheit herausgearbeitet, dass dies nicht der Fall ist. Nach ständiger Rechtsprechung müssen sich ersparte Steueraufwendungen (unabhängig von der Steuerart) messbar im Vermögen des Täters niederschlagen. Bezogen auf die ESt setzt dies den Erlass eines Steuerbescheids voraus. Denn erst dann ist das FA berechtigt, die Steuer aus dem Steuerschuldverhältnis einzufordern. Nicht ausreichend ist hingegen, dass der Steueranspruch lediglich materiell entstanden ist, weil die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale gem. § 38 AO erfüllt sind.

Für eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen ist für den notwendigen Taterfolg nach den Grundsätzen zur Tatvollendung bei unterlassener Abgabe von Ertragsteuererklärungen auf den Erlass eines zu niedrigen Schätzungsbescheids oder auf den Zeitpunkt, zu dem der Steuerpflichtige veranlagt worden wäre, wenn er die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht hätte, abzustellen. Letzteres ist spätestens der Fall, wenn das zuständige FA die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat. Hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen.

Weiterführender Hinweis
  • Spatscheck/Wimmer, Einziehung als ungerechtfertigte Bereicherung des Staates?, PStR 23, 179

AUSGABE: PStR 1/2024, S. 4 · ID: 49485952

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