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UmsatzsteuerVertretungsweise Übernahme ärztlicher Notfalldienste ist umsatzsteuerbefreit

Abo-Inhalt21.08.2025934 Min. LesedauerVon Dipl.-Finw. StB Christian Herold, Herten/Westf.

| Die entgeltliche Übernahme ärztlicher Notfalldienste durch einen Arzt – unter Freistellung des ursprünglich eingeteilten Arztes von sämtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit diesem Dienst – ist, unabhängig davon, wem gegenüber diese sonstige Leistung erbracht wird, als Heilbehandlung i. S. d. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei (BFH 14.5.25, XI R 24/23). |

1. Sachverhalt

Der Kläger war Arzt ohne eigenen Praxisbetrieb. In den Streitjahren 2012 bis 2016 nahm er auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) als Vertreter für andere Ärzte am hausärztlichen ambulanten Notfalldienst teil. Er übernahm für die vertretenen Ärzte alle mit dem ärztlichen Notdienst zusammenhängenden Verpflichtungen einschließlich der Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des übernommenen Notfalldienstes. Die im Rahmen des Notdienstes erbrachten ärztlichen Leistungen rechnete er entweder im Wege der Privatliquidation oder über die KVWL auf der Grundlage der geschlossenen Vereinbarung ab. Von dem jeweils vertretenen Arzt erhielt er für die Notdienstvertretung einen Stundenlohn zwischen 20 EUR und 40 EUR.

Daneben führte der Kläger für die Polizeibehörde Blutentnahmen durch. Hierbei fertigte er jeweils gemäß einem Muster einen einseitigen ärztlichen Bericht. Die Blutentnahmen rechnete der Kläger gegenüber der Landeskasse ab. Die Höhe der Vergütung hing dabei unter anderem davon ab, zu welchem Zeitpunkt und wie viele Blutentnahmen durchgeführt wurden.

Der Kläger ging davon aus, dass es sich bei beiden Leistungsgruppen um steuerfreie Heilbehandlungsleistungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. a S. 1 UStG handele. Das FA vertrat dagegen die Ansicht, dass die Entgelte, die er von den anderen Ärzten für deren Vertretung erhielt, umsatzsteuerpflichtig seien. Auch die Entgelte für die Durchführung der Blutentnahmen waren nach Ansicht des FA umsatzsteuerpflichtig. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos, doch der BFH gewährte die Umsatzsteuerbefreiung für den Notfalldienst. Die Leistungen im Zusammenhang mit der Blutentnahme wertete allerdings auch der BFH als steuerpflichtig.

2. Entscheidung

Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG sind „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden“, steuerfrei. Die Vorschrift beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL, wonach Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin steuerfrei sind.

Heilbehandlungen in der Humanmedizin beziehen sich auf Dienstleistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, wenn möglich, Heilung von Krankheiten oder gesundheitlichen Problemen dienen. Diese Behandlungen verfolgen einen therapeutischen Zweck. Dazu gehören auch präventive Maßnahmen, wie Vorsorgeuntersuchungen und medizinische Maßnahmen bei gesunden Personen, sowie Dienste, die dem Schutz und der Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit dienen. Solche ärztlichen Leistungen sind gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der MwStSystRL von der Steuer befreit. Allerdings zählen medizinische Eingriffe, die nicht therapeutischen Zwecken dienen, nicht als Heilbehandlungen in der Humanmedizin.

Dienen Leistungen einem therapeutischen Zweck, steht der Steuerbefreiung nicht entgegen, wenn sie umsatzsteuerrechtlich nicht gegenüber Patienten oder Krankenkassen erbracht werden. Für die Steuerfreiheit kommt es nicht auf die Person des Leistungsempfängers an, da sich die personenbezogene Voraussetzung der Steuerfreiheit auf den Leistenden bezieht, der Träger eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs sein muss. Bei der Übernahme der ärztlichen Notfalldienste durch einen Vertreter der zunächst eingeteilten Ärzte handelt es sich um umsatzsteuerfreie Heilbehandlungsleistungen im Bereich der Humanmedizin i. S. d. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG.

2.1 Übernahme von Notfalldiensten

Es trifft zwar zu, dass sich die vertretenen Ärzte durch die Vertretung beim Notfalldienst quasi Freizeit „erkauft“ haben, das heißt, dass sie sich lediglich von ihrer eigenen Verpflichtung, einen ärztlichen Notfalldienst während eines festgelegten Zeitraums erbringen zu müssen, haben freistellen lassen. Entscheidend ist aber, dass der Vertreter die zum Notfalldienst eingeteilten Ärzte nur deshalb durch die Übernahme des Dienstes freistellen kann, indem er dann selbst den ärztlichen Notfalldienst ausführt. Die sonstige Leistung, die der Vertreter erbringt, beschränkt sich nicht auf die Freistellung der zum Notfalldienst eingeteilten Ärzte, sondern umfasst die Durchführung eines solchen Dienstes in einem bestimmten Gebiet in einem festgelegten Zeitraum. Und die Bereitschaft, jederzeit und unmittelbar privat- und kassenärztliche Leistungen in Notfällen zu Zeiten zu erbringen, zu denen eine haus- oder fachärztliche Versorgung nicht stattfindet, dient an sich einem therapeutischen Zweck. Auf den Umfang der tatsächlichen Inanspruchnahme des Notfalldienstes durch die Patienten kommt es nicht an.

Etwas anderes folgt nicht daraus, dass allein das Vorhalten medizinischer Ressourcen noch keinem therapeutischen Zweck dient, sondern die Voraussetzungen für die nachfolgende zeitnahe Erbringung von Heilbehandlungsleistungen schafft, ohne selbst eine Heilbehandlungsleistung zu sein. Das ist mit der entgeltlichen Übernahme eines ärztlichen Notfalldienstes, bei der sich der übernehmende Arzt gegenüber dem vertretenen Arzt zur Durchführung dieses Dienstes verpflichtet, nicht vergleichbar. Denn der den ärztlichen Notfalldienst leistende Arzt schuldet seine Anwesenheit und ständige Einsatzbereitschaft. Er schafft nicht nur die Voraussetzung für eine ggf. erforderliche Notfallbehandlung, sondern führt sie selbst aus. Die Einbeziehung dieser Tätigkeit in die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steht demnach mit den Zielen im Einklang, die mit dieser Befreiung verfolgt werden.

Es ist ferner für die leistungsbezogene Voraussetzung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ohne Belang, wenn ein Arzt die in Gestalt einer vertretungsweisen Übernahme eines ärztlichen Notfalldienstes liegende sonstige Leistung gegenüber einem anderen Arzt erbringt, der zur Ausführung eines solchen Dienstes ursprünglich eingeteilt und verpflichtet war. Denn für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG kommt es – wie oben ausgeführt – auf die Person des Leistungsempfängers nicht an. Es kann daher offenbleiben bzw. ist ohne Belang, ob die Leistung des Vertreters gegenüber Patienten, Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen oder an die vertretenen Ärzte als umsatzsteuerrechtliche Leistungsempfänger erbracht wird.

2.2 Blutentnahmen

Umsätze eines Arztes aus Blutentnahmen für die Polizeibehörde sind hingegen steuerbar und steuerpflichtig, da diese Leistungen nicht ihrem Hauptzweck nach therapeutischen Zwecken dienen, sondern der Beweiserhebung im Zusammenhang mit einem strafrechtlich oder öffentlich-rechtlich geführten Verfahren.

3. Relevanz für die Praxis

Die Vorinstanz, das FG Münster (9.5.23, 15 K 1953/20 U), hatte entschieden, dass auch die Entgelte für die vertretungsweise Übernahme eines ärztlichen Notfalldienstes keine nach § 4 Nr. 14 Buchst. a S. 1 UStG umsatzsteuerfreien Heilbehandlungsleistungen sind. Dem ist der BFH nun entgegengetreten. Die Steuerbefreiung für Notfalldienste eines Vertreters gilt in gleicher Weise wie für die Notfalldienste der von der Kassenärztlichen Vereinigung dafür eingeteilten Ärzte. Wie der BFH selbst ausführt, überträgt er damit seine Rechtsprechung zu Bereitschaftsdiensten bei Großveranstaltungen (BFH 2.8.18, V R 37/17) auf den so genannten „Sitz- und Fahrdienst“. Mit dem genannten Urteil hat er entschieden, dass Leistungen eines Arztes im Rahmen eines Notdienstes bei Großveranstaltungen, die dazu dienen, gesundheitliche Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen, um sofort geeignete Maßnahmen einleiten und damit einen größtmöglichen Erfolg einer (späteren) Behandlung sicherstellen zu können (z. B. Rundgänge auf dem Veranstaltungsgelände), nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfreie Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sind.

Auch stellt der BFH klar, dass die Leistungserbringung durch einen fachlich qualifizierten Subunternehmer des Arztes der Leistungserbringung durch den Arzt selbst gleicht. Die tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise des BFH gewährleiste zudem die möglichst gleichmäßige Umsatzbesteuerung ärztlicher Notfalldienste in ganz Deutschland, da es dadurch auf die erheblichen regionalen Unterschiede in der Organisation der Vertretung bei Notfalldiensten durch die jeweils zuständige Kassenärztliche Vereinigung nicht ankommt (so der BFH in seiner Pressemeldung vom 24.7.25). Hinzuweisen ist insoweit auch darauf, dass der BFH (24.2.21, XI R 32/20) eine Abkehr von der früheren Rechtsprechung vorgenommen hat, wonach die „Zwischenschaltung“ eines anderen Unternehmers für eine Steuerbefreiung regelmäßig schädlich war. Das Urteil vom 24.2.21 betraf zwar § 4 Nr. 18 UStG und nicht § 4 Nr. 14 UStG, doch scheint der BFH diese neuen Grundsätze auch auf Heilbehandlungen zu übertragen – immer vorausgesetzt, dass tatsächlich Heilbehandlungen ausgeführt werden.

Abzugrenzen ist das Besprechungsurteil auch von einer anderen Entscheidung des BFH (30.6.22, V R 36/20). Hier hat der BFH entschieden: Verzichtet ein Chefarzt gegenüber dem Träger der Klinik, an der er tätig ist, auf das ihm durch die Klinik eingeräumte Recht zur Privatliquidation gegen monatliche Ausgleichszahlungen, die der Klinikträger leistet, um insoweit selbst gegenüber Privatversicherten abrechnen zu können, liegt eine steuerbare Verzichtsleistung vor. Diese ist nicht als Verzicht auf die zukünftige Erbringung von Heilbehandlungsleistungen gegenüber den Privatversicherten einzuordnen; folglich ist sie umsatzsteuerpflichtig. Der BFH lehnt also eine Steuerbefreiung für „mittelbare“ Heilbehandlungsumsätze ab. Im aktuellen Fall hat der BFH die Vertretung indes den „unmittelbaren“ Heilbehandlungsumsätzen zugeordnet.

Im Übrigen ist die Abgrenzung zwischen steuerfreien Heilbehandlungsleistungen (bzw. ganz allgemeinen steuerfreien Leistungen im Zusammenhang mit Heilberufen) und steuerpflichtigen anderen Leistungen schwierig, wenn es sich um ein Leistungsbündel handelt.

Beispiel für problematische Leistungsbündel

Ein selbstständig tätiger Arzt erbringt seine Leistungen in Krankenhäusern und stellt seinen Patienten im Anschluss seine Heilbehandlungsleistungen samt Krankenhausaufenthalt in Rechnung (vgl. BFH 19.12.24, V R 10/22). Hier wurde die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen, die noch prüfen muss, ob ein untrennbarer wirtschaftlicher Vorgang gegeben ist und – falls ja – welcher der Leistungsbestandteile dem Leistungsbündel das Gepräge gibt.

Ein Anästhesist, der selbst ein „OP-Zentrum” betreibt, überlässt einem anderen Arzt Operationsräume nebst Ausstattung gegen Entgelt zur Durchführung von Operationen, an denen er selbst teilnimmt. Hier ist die Raumüberlassung durch den Anästhesisten an den Operateur nicht als Heilbehandlung steuerfrei. Es kann insoweit aber eine einheitliche steuerfreie Heilbehandlungsleistung i. S. v. § 4 Abs. 14 UStG des Anästhesisten gegenüber den Patienten oder ein steuerfreier mit dem Betrieb einer anderen Einrichtung eng verbundener Umsatz i. S. v. § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG vorliegen (vgl. BFH 18.3.15, XI R 15/11).

Dass die Umsätze des Klägers aus Blutentnahmen für die Polizeibehörde steuerpflichtig sind, war im Revisionsverfahren nicht mehr streitig. In entsprechenden Fällen, insbesondere wenn die Vertreter ansonsten nichtselbstständig tätig sind, wäre aber zu prüfen, ob die Kleinunternehmerregelung nach § 19 Abs. 1 UStG in Betracht kommt. Keinesfalls sollten daher in entsprechenden Fällen Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis erstellt werden. Vielmehr muss in den Rechnungen ein Hinweis zur Kleinunternehmerregelung aufgenommen werden. Beispielsweise: „Im ausgewiesenen Rechnungsbetrag ist gemäß § 19 UStG keine Umsatzsteuer enthalten.“ (s. a. § 34a UStDV i. d. F. des JStG 2024, wonach der Hinweis nunmehr eine „Muss-Vorschrift“ ist).

AUSGABE: PFB 9/2025, S. 240 · ID: 50494765

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