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Umsatzsteuer Keine Minderung der Bemessungsgrundlage trotz Insolvenz der Apotheken-Zahlstelle
| Bedient sich ein leistender Unternehmer, z. B. ein Apotheker, zur Einziehung seiner Entgeltforderungen gegen die Leistungsempfänger eines anderen Unternehmers (Zahlstelle), vereinnahmt er das Entgelt spätestens dann, wenn die Zahlungen der Leistungsempfänger bei der Zahlstelle eingehen. Der Umstand, dass die Zahlstelle den vereinnahmten Betrag nicht an den leistenden Unternehmer weiterleitet, führt nicht dazu, dass sich die Bemessungsgrundlage für die vom Unternehmer an die Leistungsempfänger erbrachten Leistungen mindert (BFH 30.4.25, XI R 15/22). |
Inhaltsverzeichnis
1. Sachverhalt
Zahlreiche Apotheken bedienen sich privater Verrechnungsstellen (Rechenzentren bzw. Zahlstellen), die in ihrem Auftrag die Abrechnung der eingelösten Rezepte mit den jeweiligen Krankenkassen vornehmen. Im Jahre 2020 hat ein bekannter Abrechnungsdienstleister für Apotheken Insolvenz angemeldet und seine Zahlungen eingestellt (vgl. dazu Pharmazeutische Zeitung online, „Ausschüttung im AvP-Insolvenzverfahren“; www.iww.de/s13772). Die betroffenen Apotheken hatten zum Teil sehr hohe Forderungsausfälle zu beklagen. Auf der anderen Seite schuldeten sie aber die Umsatzsteuer auf die gegenüber den (gesetzlichen) Krankenkassen erbrachten Leistungen. Der BFH musste in diesem Zusammenhang die Frage klären, ob die Umsatzsteuer wegen der Uneinbringlichkeit der Forderungen nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG berichtigt werden kann, und kam zu dem Ergebnis, dass die Berichtigung nicht möglich ist.
2. Entscheidungsgründe
Ist das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung oder Leistung uneinbringlich geworden, hat der Unternehmer, der einen steuerpflichtigen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag bei Uneinbringlichkeit zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 17 Abs. 1 UStG). Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL.
Nimmt ein Rechenzentrum die Abrechnung mit den Krankenkassen für einen Apotheker vor und zieht die Forderungen für Rechnung des Steuerpflichtigen ein, während dieser hierfür ein Entgelt zu entrichten hat, liegt ein eigenständiges – und von den vertraglichen Beziehungen zu den Krankenkassen losgelöstes – Rechtsverhältnis vor. Das Rechenzentrum ist „Zahlstelle“ des Steuerpflichtigen, wenn dieser die Krankenkasse ausdrücklich auffordert, an das Rechenzentrum zu leisten. Dementsprechend erlischt zivilrechtlich mit der Zahlung der Krankenkasse auf das ihr benannte Konto die Entgeltforderung eines Apothekers gegen die Krankenkassen (§ 362 Abs. 1 BGB).
Umsatzsteuerrechtlich erhält ein Apotheker den von den Leistungsempfängern an das Rechenzentrum als Zahlstelle entrichteten Betrag für die von ihm erbrachten Leistungen. Die Vereinnahmung des Entgelts erfolgt (spätestens) bei Eingang der Zahlungen der Leistungsempfänger (der Krankenkassen) bei der Zahlstelle.
Eine Uneinbringlichkeit des Entgelts scheidet demnach aus, wenn die Leistungsempfänger mit befreiender Wirkung an die Zahlstelle eines Steuerpflichtigen leisten, die Forderung des Steuerpflichtigen gegenüber der Zahlstelle aber uneinbringlich wird. Der Steuerpflichtige muss es sich in diesem Fall zurechnen lassen, dass er ein Rechenzentrum mit dem Forderungseinzug beauftragt hat und die Krankenkassen in der Folge die geschuldeten Kaufpreise an das Rechenzentrum mit befreiender Wirkung bewirkt haben.
Der insolvenzbedingte Zahlungsausfall gegenüber einer Zahlstelle betrifft das Rechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und der Zahlstelle (hier: dem Rechenzentrum). Einbehalte oder Zahlungsausfälle in einem gesondert zu betrachtenden Rechtsverhältnis (s. o.) können die Bemessungsgrundlage für die Lieferungen eines Apothekers an die Krankenkassen nicht berühren. Folglich scheidet eine Änderung gemäß § 17 UStG aus.
Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL sieht vor, dass die Bemessungsgrundlage im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes vermindert wird. Auch unionsrechtlich kommt es folglich darauf an, ob der Leistende das Entgelt erhalten hat. Dies ist aber zu bejahen, wenn die Krankenkassen das Entgelt auf Geheiß des Steuerpflichtigen in voller Höhe an dessen Zahlstelle (das Rechenzentrum) gezahlt haben.
3. Relevanz für die Praxis
3.1 Bedeutung für betroffene Apotheken
Dennoch scheidet eine Minderung der Bemessungsgrundlage für erbrachte Lieferungen und sonstige Leistungen aufgrund der Insolvenz der Zahlstelle aus. Betroffenen kann nur noch die Empfehlung gegeben werden, einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO und/oder einen Erlassantrag nach § 227 AO zu stellen. Es sei daran erinnert, dass die Apotheken gerade im Coronajahr 2020 großen Herausforderungen gegenüberstanden, die eine Billigkeitsregelung bzw. einen Erlass zumindest dann rechtfertigen könnten, wenn im Jahre 2020 weitere Härten bestanden (Krankheit, Umsatzminderungen usw.).
3.2 Bedeutung in anderen Fällen
Angesichts des Besprechungsurteils stellt sich natürlich auch in einkommensteuerlicher Sicht die Frage, wann Zahlungen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der privaten Verrechnungsstellen (PVSt) bei Ärzten und Zahnärzten als zugeflossen gelten bzw. ob sich insoweit Änderungen zur bisherigen Rechtslage ergeben. Denn die Aussage des Umsatzsteuer-Senats, wonach Zahlungen spätestens als zugeflossen gelten, wenn die Zahlungen der Leistungsempfänger – mit befreiender Wirkung – bei der Zahlstelle eingehen, lässt aufhorchen.
Dazu zunächst zu den Zahlungen an bzw. über PVSt: Honorare von Privatpatienten, die ein Arzt durch eine PVSt einziehen lässt, sind dem Arzt bereits mit dem Eingang bei der PVSt zugeflossen (§ 11 Abs. 1 EStG). Das gilt auch dann, wenn der Arzt mit der PVSt die Abrechnung und Zuleitung der für ihn eingegangenen Honorare zu bestimmten Terminen vereinbart. Die PVSt vereinnahmt die Beträge nur als Bevollmächtigte des Arztes (R 11 EStR; OFD Frankfurt am Main, 3.3.04, S 2226 A - 86 - St II 2.06). Das Besprechungsurteil liegt also hinsichtlich des Zahlungszuflusses auf einer Linie mit der bisherigen Auffassung von BFH und Finanzverwaltung.
Nun zu den Zahlungen an bzw. über die KV: Die Honorare fließen dem Arzt grundsätzlich erst mit Überweisung seines Anteils durch die KV zu (BFH 20.2.64, BStBl 64 III, 329). Die Gutschrift gilt als ein interner Vorgang innerhalb des Rechnungswerks der KV, durch den lediglich ihre Verpflichtung gegenüber dem Steuerpflichtigen buchmäßig festgehalten wird. Darin allein kann auch bei wirtschaftlicher Auslegung des Begriffs „Zufließen“ noch kein Zufluss i. S. d. § 11 Abs. 1 S. 2 EStG gesehen werden, da ein derartiger Buchungsvorgang allein dem Berechtigten noch keine Verfügungsmacht verschafft. Die Gutschrift bildet nur eine buchmäßige Unterlage für den Abrechnungsverkehr mit dem Arzt, ersetzt aber nicht den tatsächlichen Zufluss.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die jeweilige Krankenkasse die Vergütung nach § 85 SGB V – wie im Urteilsfall bei den Apothekern – mit befreiender Wirkung entrichtet. Zwar gibt es einen bedeutenden Unterschied zu dem „Apothekenfall“, denn es handelt sich um eine Gesamtvergütung. Der KV obliegt es, die Gesamtvergütung unter die Kassenärzte nach einem im Benehmen mit den Verbänden der Krankenkassen festgesetzten Verteilungsmaßstab unter Zugrundelegung der Art und des Umfangs der Leistungen des Kassenarztes zu verteilen (OFD Frankfurt am Main, 3.3.04, S 2226 A - 86 - St II 2.06). Dennoch bleibt es bei der „befreienden Wirkung“ des Leistungsempfängers, worauf der BFH im Besprechungsfall abstellt. Man kann also nun durchaus geteilter Auffassung bezüglich des Zuflusszeitpunkts sein, wenn man der Auffassung des Umsatzsteuer-Senats für die Ertragsteuer folgt. Eine zeitnahe Klarstellung des BMF wäre daher wünschenswert. Bislang sollten sich Betroffene aber auf die derzeit noch geltende Haltung der Finanzverwaltung berufen.
Praxistipp | Rechnet eine KV die Resthonorare der Ärzte bzw. Zahnärzte für ein Quartal jeweils zum Ende des nächsten Quartals ab und zahlt sie diese anschließend entsprechend aus, ist die Anfang Januar des folgenden Jahres für das dritte Quartal eines Kalenderjahres erbrachte Abschlusszahlung als regelmäßig wiederkehrende Einnahme dem abgelaufenen Kalenderjahr zuzurechnen (BFH 6.7.95, BStBl II 96, 266; vgl. auch: EStH H 11, BFH 16.2.22, X R 2/21, BFH 21.6.22, VIII R 25/20) Zu Einzelheiten, gerade auch, wenn eine Restzahlung erst zum 15.01. für das Vorjahr geleistet wird, sollte die Verfügung der OFD Frankfurt am Main (3.3.04, S 2226 A - 86 - St II 2.06) zur Hand genommen werden. |
AUSGABE: PFB 9/2025, S. 244 · ID: 50492126