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UmsatzsteuerÄsthetische Behandlungen – Heilbehandlung oder Kosmetik?
| Ästhetische Behandlungen liegen auf der Grenze zwischen einer Behandlung aus therapeutischen und aus kosmetischen Gründen. Der BFH hat nun verdeutlicht, dass auch bei ästhetischen Maßnahmen die Umsatzsteuerbefreiung für Heilbehandlungen in Betracht kommt, die Feststellungslast aber – sofern keine tatsächliche Vermutung besteht – beim Unternehmer liegt. Konkret ging es um die Umsatzsteuerbefreiung für Haarwurzeltransplantationen bei Haarausfall. Die Aussagen des BFH sind durchaus auf andere Behandlungen übertragbar. |
1. Umsatzsteuerbefreite Heilbehandlung
Heilberufliche Leistungen sind nur steuerfrei, wenn bei der Tätigkeit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht. Nicht unter die Befreiung fallen Tätigkeiten, die nicht Teil eines konkreten, individuellen, der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes sind. Neben (Zahn-)Ärzten und Psychotherapeuten dürfen lediglich Heilpraktiker als Angehörige der Heilberufe eigenverantwortlich körperliche oder seelische Leiden behandeln. Das gilt auch für die auf das Gebiet der Physiotherapie beschränkten Heilpraktiker (Abschnitt 4.14.1 Abs. 4 UStAE). Gewisse Behandlungen liegen oftmals im Grenzbereich zwischen einer Behandlung aus therapeutischen und aus kosmetischen Gründen. Wie eingangs erwähnt hat der BFH nun verdeutlicht, dass auch bei ästhetischen Behandlungen in vielen Fällen eine Steuerbefreiung in Betracht kommen kann, die Feststellungslast aber – sofern keine tatsächliche Vermutung besteht – beim Unternehmer liegt.
Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a S. 1 UStG sind umsatzsteuerbefreite Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Der unionsrechtliche Begriff „Heilbehandlung(en) im Bereich der Humanmedizin“ erfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen.
Die therapeutische Zielsetzung einer Leistung ist nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen. So fallen medizinische Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung. Dagegen sind Leistungen, die keinem solchen therapeutischen Ziel dienen, keine Heilbehandlungen. Das gilt insbesondere für Leistungen, die lediglich den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern oder das allgemeine Wohlbefinden steigern sollen.
2. Ästhetische Behandlungen als Heilbehandlungen
Ästhetische Behandlungen wie Haartransplantationen kommen als steuerfreie Heilbehandlungen in Betracht, wenn die Leistungen dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist. Die gesundheitlichen Probleme, die zu einer steuerfreien Heilbehandlung führen, können auch psychologischer Art sein. Erfolgt der Eingriff jedoch zu rein kosmetischen Zwecken, reicht dies nicht aus.
Bei ästhetischen Behandlungen, die sowohl Heilbehandlungszwecken als auch bloß kosmetischen Zwecken oder der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands dienen können und insofern einem Grenzbereich zuzuordnen sind, liegt nicht in jedem Fall eine Heilbehandlung vor, sondern es kommt auf eine Prüfung anhand der Umstände des Einzelfalls an. Da es um die Beurteilung einer medizinischen Frage geht, muss sie auf medizinischen Feststellungen beruhen, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind. Die rein subjektive Vorstellung, die der Patient von der Leistung hat, ist als solche für die Beurteilung nicht maßgeblich.
3. Abgrenzungsbeispiel: Haarausfall (Alopezie)
Ein solcher Fall einer ästhetischen Heilbehandlung lag dem BFH (25.9.24, XI R 17/21) vor. Anders als die Vorinstanz entschied der BFH, dass ein therapeutischer Zweck im umsatzsteuerrechtlichen Sinne auch dann vorliegen kann, wenn eine Behandlung nicht auf die Ursachen der Erkrankung einwirkt, sondern lediglich ihre Folgen beseitigt.
Sachverhalt (BFH 25.9.24, XI R 17/21) |
Der Kläger ist niedergelassener Facharzt für Chirurgie und auf die Behandlung von Haarausfall spezialisiert. Seine ärztliche Tätigkeit besteht darin, die Patienten zunächst dahin gehend zu untersuchen, welche Erscheinungsform des Haarausfalls vorliegt. Bei androgenetischer, hereditärer und vernarbender Alopezie beiderlei Geschlechts nimmt er anschließend Transplantationen patienteneigener Haarwurzeln vor. Für die Streitjahre erklärte der Kläger 90 % seiner Umsätze als steuerfrei; es handele sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i. S. d. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, die er in Ausübung seiner Tätigkeit als Arzt durchgeführt habe. Das FA nahm dagegen an, dass die vom Kläger erbrachten Haarverpflanzungen nur insoweit steuerfrei seien, als sie auf Patienten mit narbiger Alopezie entfielen. Nur insoweit sei eine Krankheit i. S. d. § 27 S. 1 Nr. 1 SGB V ersichtlich. Die übrigen Umsätze seien hingegen steuerpflichtig. Eine ärztliche Heilbehandlung sei insoweit nicht gegeben. |
Der Verlust oder Mangel an Haaren kann, muss aber nicht für sich betrachtet Krankheitswert haben. Um eine behandlungsbedürftige Gesundheitsstörung annehmen zu können, muss das Fehlen der Haare als anormaler Zustand anzusehen sein, der den Betroffenen derart beeinträchtigt, dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf. Haarausfall kann einen behandlungsbedürftigen Zustand darstellen, wenn
- der Verlust oder Mangel an Haaren bereits für sich betrachtet Krankheitswert hat,
- objektiv entstellend wirkt oder
- zu Folgeerkrankungen führt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen geht der BFH die einzelnen Krankheitsbilder durch:
- Die hereditäre Alopezie stellt typischerweise einen behandlungsbedürftigen Zustand dar. Menschen, die darunter leiden, mangelt es bereits ab ihrer Geburt an Haaren, was sich im Laufe des Lebens teilweise verstärkt. Dies weicht ersichtlich vom Normalzustand ab. Es ist folglich davon auszugehen, dass in solchen Fällen eine tatsächliche Vermutung dafür besteht, dass eine Behandlungsbedürftigkeit zu bejahen ist. Mögliche Ausnahmen hiervon wären gegebenenfalls in Bezug auf den jeweiligen Patienten von der Finanzverwaltung konkret nachzuweisen, wobei der Steuerpflichtige zur Sachverhaltsaufklärung heranzuziehen und dabei zu beachten ist, dass es um Umstände geht, die in seiner Sphäre liegen.Erblicher Haarausfall
- Auch die vernarbende Alopezie ist als behandlungsbedürftiger Zustand einzuordnen. Der Grund des Haarausfalls besteht hier in einer Entzündung, welche die Haarfollikel vernarben und so die Haare ausfallen lässt. Eine Krankheit ist deshalb ohne Weiteres anzunehmen. Entsprechendes gilt für Situationen, in denen Unfälle, Verletzungen oder entzündliche Prozesse im Körper zum Verlust der Haare geführt haben.Vernarbender Haarausfall
- Eine androgenetische Alopezie rechtfertigt für sich genommen noch nicht die tatsächliche Vermutung, dass eine therapiebedürftige Krankheit vorliegt. Vielmehr ist – umgekehrt – tatsächlich zu vermuten, dass eine Haarverpflanzung in diesen Fällen regelmäßig aus kosmetischen Zwecken und nicht zur Behandlung einer Krankheit erfolgt. Dem Haarverlust kann aber (auch) im Bereich der androgenetischen Alopezie Krankheitswert beigemessen werden, soweit er entstellend wirkt. Dies kann sowohl bei Männern als auch bei Frauen, die von androgenetischer Alopezie seltener betroffen sind als Männer, wenn auch nicht gänzlich verschont bleiben, ausnahmsweise zu bejahen sein. Maßgeblich hierfür sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls.Androgenetische Alopezie
- Davon unabhängig können im Einzelfall Folgeerkrankungen – insbesondere solche psychischer Natur – dazu führen, dass ein behandlungsbedürftiger Zustand anzunehmen ist.(Psychische) Folgeerkrankungen
4. Feststellungslast
Derjenige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft, trägt insoweit die Feststellungslast. Derjenige, der sich so auf die Steuerfreiheit der Umsätze beruft, muss dies in jedem Einzelfall nachweisen. Er hat, soweit keine entsprechende tatsächliche Vermutung besteht, das Vorliegen eines Ausnahmefalls für jeden einzelnen Patienten durch von medizinischem Fachpersonal zu treffende Feststellungen zu dokumentieren und nachzuweisen.
Pauschale Erklärungen des behandelnden Arztes genügen im Grenzbereich von rekonstruktiven Heilbehandlungen und ästhetischen Behandlungen zu kosmetischen Zwecken nicht, um eine Behandlung zu medizinischen Zwecken nachzuweisen. Sonst hätte es der leistende Unternehmer selbst in der Hand, allein mit der Behauptung, es liege eine Heilbehandlung vor, die sachlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung nachzuweisen, ohne dass das FA und das FG dies nachprüfen könnten. Zu verlangen ist daher eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, die Angaben insbesondere dazu enthalten soll, auf welcher tatsächlichen Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, welche Methode der Tatsachenerhebung angewandt wurde, wie die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) lautet, welchen Schweregrad die Erkrankung aufweist und welche (entstellenden oder psychischen) Folgen sich aus ihr ergeben. Zu beachten ist dabei auch, dass die Feststellung einer entstellenden Wirkung oder einer psychischen Erkrankung typischerweise nicht durch einen Chirurgen, sondern durch einen dafür zuständigen Facharzt erfolgt.
5. Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen
Wird eine ärztliche Leistung als steuerpflichtig eingestuft, so ist zu beachten, dass korrespondierend der – gegebenenfalls anteilige – Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen eröffnet ist. Im Rahmen von Außenprüfungen und selbst bei den Gerichten wird zuweilen der Anteil der steuerpflichtigen Umsätze erhöht, ohne jedoch den Vorsteuerabzug zugunsten des Unternehmers zu erhöhen bzw. ohne hierzu entsprechende Feststellungen zu treffen. In solchen Fällen sollten sich Betroffene auf den Beschluss des BFH (29.8.24, V B 35/23) berufen: „Verneint das FG die Anwendung einer Steuerbefreiung, die gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs führt, muss es zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die gemäß § 76 Abs. 1 S. 1 FGO bestehende Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung der Frage einer weitergehenden Gewährung des Vorsteuerabzugs nachgehen.“ Der diesem Beschluss zugrunde liegende Sachverhalt war mit dem des Besprechungsurteils durchaus vergleichbar.
6. Kostenübernahme durch die Krankenkasse als Indiz?
6.1 Kostenübernahme als Proxy für die Erforderlichkeit
Als Indiz zugunsten der Steuerpflichtigen, das heißt für eine Einordnung als steuerfreie Heilbehandlung, wird es zwar in der steuerlichen Praxis oftmals gewertet, wenn die Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung (teilweise) getragen werden, denn den FÄ ist durchaus bewusst, dass gerade die Krankenkassen einen hohen Prüfmaßstab an die Erforderlichkeit einer Behandlung oder Therapie anlegen. Allerdings bestätigen Ausnahmen leider die Regel: So hat der BFH (19.6.13, V S 20/13, Beschluss) entschieden: „Dass die Kosten für eine Liposuktion bei der Behandlung eines Lipödems (…) im Einzelfall von einer gesetzlichen Krankenkasse zu übernehmen sein können, führt bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht dazu, die Liposuktion allgemein als umsatzsteuerfreie Heilbehandlungsmaßnahme anzusehen und kann die erforderliche Einzelfallbeurteilung nicht ersetzen.“ Ob der BFH diese Auffassung heute noch vertritt, könnte angesichts seines – ertragsteuerlichen – Urteils (BFH 23.3.23, VI R 39/20) fraglich sein.
Während also bei der Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen die Steuerfreiheit noch lange nicht gesichert ist, wird für den umgekehrten Fall, also bei der Nichtübernahme von Kosten, das therapeutische Ziel hingegen sehr schnell verneint (vgl. Abschnitt 4.14.1. Abs. 5 Nr. 8 UStAE). Es wird insoweit gerne auf das Urteil des BFH (17.7.04, V R 27/03, BStBl II 03, 862) verwiesen, wo der BFH tatsächlich – auch – darauf abgestellt hat, dass entsprechende Kosten von den Sozialversicherungsträgern nicht getragen wurden. Diese Auffassung hat der BFH (24.10.11, XI B 54/11) bekräftigt. Im zugrunde liegenden Fall ging es um Ohranlegeoperationen.
6.2 Richterliches Regelbeweismaß
Um noch einmal auf den Prüfungsmaßstab zurückzukommen: Von Interesse sind hier auch die Urteile des BFH (4.12.14, V R 16/12) und BFH (4.12.14, V R 33/12), in denen es heißt: „Zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient ist es bei Überprüfung der Umsatzsteuerfreiheit von Heilbehandlungsleistungen erforderlich, das für richterliche Überzeugungsbildung gebotene Regelbeweismaß auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit” zu verringern. Zugleich hat der Steuerpflichtige im gesteigerten Maß den ihn (…) treffenden Mitwirkungspflichten nachzukommen. (….) Dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen z. B. Arzt und Patient steht es aber nicht entgegen, wenn anonymisierte Unterlagen für Zwecke der gerichtlichen Sachaufklärung verwertet werden.“ Die Urteile sollten bei Zweifeln an der Beweislast zur Hand genommen werden.
6.3 Auffassung der Finanzverwaltung in bestimmten Fällen
Auch die OFD Frankfurt/M. (8.7.15, S 7170 A – 69 – St 16) hat sich mit der Steuerpflicht bzw. Steuerfreiheit von Heilbehandlungen befasst, speziell von Schönheitsoperationen, Schwangerschaftsabbrüchen und Empfängnisverhütungen, und zwar auch unter dem Blickwinkel der Beweislast. Zwar ist die Verfügung mit etwas Vorsicht zu genießen, zumal sie die oben erwähnten BFH-Urteile vom 4.12.14 nicht weiter thematisiert. Dennoch kann sie in der steuerlichen Praxis Anhaltspunkte geben:
- Danach gilt: Steuerpflichtig sind z. B. folgende Leistungen, sofern sie kosmetischer Natur sind und kein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht: Fettabsaugung, Faltenbehandlung, Brustvergrößerung, Brustverkleinerung, Lifting, Nasenkorrekturen, Hautverjüngung (Lasertherapie), Lippenaufspritzung, Botox-Behandlung (Verminderung von Falten durch Einspritzen eines stark verdünnten Nervengiftes Botulinum-Toxin), Permanent Make-up, Anti-Aging Behandlung, Bleaching (Bleichen der Zähne) und Dentalkosmetik.Schönheits-operationen
- Hingegen gilt: Die umsatzsteuerliche Behandlung ärztlicher Leistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen und der Empfängnisverhütung war Thema einer Besprechung der Umsatzsteuerreferatsleiter. Danach sind sowohl die Leistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen als auch alle ärztlichen Leistungen zur Empfängnisverhütung unabhängig von der jeweiligen Verhütungsmethode unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei.Schwangerschaftsabbrüche, Empfängnisverhütungen
AUSGABE: PFB 4/2025, S. 103 · ID: 50287843