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AuftragsbeschaffungVgV: Entscheidet bei der Vergabe allein der Preis?

Abo-Inhalt03.03.20259 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin Gabriela Böhm, Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht u. a., Partnerin c.r.p. law. partnerschaft mbb, Frankfurt am Main

| Immer wieder entzündet sich eine hitzige Diskussion darüber, ob bei einer öffentlichen Vergabe der Preis als einziges Zuschlagskriterium zulässig ist. Nicht zuletzt das Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 und die darauffolgende Anpassung der Vergabeverordnung sowie der HOAI haben die Kontroverse weiter befeuert. Da die Thematik komplex ist, liefert PBP mit diesem Beitrag nicht nur eine rechtliche Einordnung, sondern erläutert Ihnen auch die Handlungsspielräume der öffentlichen Auftraggeber und gibt zudem konkrete Handlungsempfehlungen für Ihre Büropraxis. |

Der rechtliche Rahmen rund um die Gewichtung des Preises

Die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen unterliegt speziellen gesetzlichen Regelungen, insbesondere § 76 der Vergabeverordnung (VgV). Dieser schreibt vor, dass die Leistungen im Leistungswettbewerb zu vergeben sind. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit der Preis als Zuschlagskriterium berücksichtigt werden darf, ohne gegen die gesetzliche Vorgabe zu verstoßen, dass die Qualität der Leistung im Vordergrund stehen muss.

§ 76 Abs. 1 S. 1 VgV – Vorrang des Leistungswettbewerbs

Gemäß § 76 Abs. 1 S. 1 VgV sollen Architekten- und Ingenieurleistungen im Leistungswettbewerb vergeben werden, wobei die Qualität der Leistung das wesentliche Zuschlagskriterium darstellen soll. Dies impliziert, dass ein reiner Preiswettbewerb ausgeschlossen ist. Der öffentliche Auftraggeber hat ein intendiertes Ermessen, nicht-monetäre Zuschlagskriterien zu nutzen, wobei der Preis als Zuschlagskriterium zwar nicht völlig ausgeschlossen ist, jedoch nicht dominieren darf (vgl. Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Ingerowski, VgV/UVgO, 3. Aufl. 2022, VgV § 76 Rz. 2).

Das bedeutet, der Preis darf als eines von mehreren Zuschlagskriterien berücksichtigt werden, solange er nicht so stark gewichtet wird, dass die qualitative Bewertung verdrängt wird. Eine übermäßige Preisgewichtung würde den Leistungswettbewerb zu einem Preiswettbewerb machen, was mit § 76 Abs. 1 S. 1 VgV unvereinbar wäre (Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß/Geitel, Kommentar zur VgV, 2. Aufl. 2022, VgV § 76 Rz. 5).

Nach überwiegender Meinung in der Literatur gilt als Orientierungswert eine Preisgewichtung von 20 bis max. 50 Prozent als zulässig (Leinemann/Otting/Kirch/Homann/Offermann, 1. Aufl. 2024, VgV § 76 Rz. 2–9; Dörr ZfBR 2021, 360). Eine stärkere Gewichtung könnte den Vorrang des Leistungswettbewerbs gefährden (Schnepel/Zimmermann ZfBR 2021, 714). Andere Stimmen vertreten, dass bereits eine Gewichtung von mehr als 25 Prozent unzulässig sei, da dem Preis dadurch eine zu große Bedeutung zukomme (Schnepel/Zimmermann ZfBR 2021, 714).

Die in den Fachkreisen kontrovers geführte Diskussion zeigt das Spannungsfeld zwischen dem Leistungswettbewerb und dem wirtschaftlichen Interesse des Auftraggebers, den günstigsten Anbieter zu bevorzugen.

Der Vorrang des Leistungswettbewerbs nach § 76 VgV steht somit in einem Spannungsverhältnis zu § 127 Abs. 1 S. 3 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) und § 58 Abs. 2 S. 1 VgV, wonach das wirtschaftlichste Angebot das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bieten muss. § 76 VgV stellt insofern eine Sonderregelung dar, die die Gewichtung von Qualitätskriterien besonders betont (Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß/Geitel, Kommentar zur VgV, 2. Aufl. 2022, VgV § 76 Rz. 6).

§ 76 Abs. 1 S. 2 VgV – Wegfall der Bindung an die HOAI

Die Diskussion um die zulässige Gewichtung des Preises wurde durch das Urteil des EuGH vom 04.07.2019 (Rs. C-377/17, Abruf-Nr. 209725) und die Novellierung der HOAI 2021 zusätzlich verschärft. Der EuGH entschied, dass die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI gegen die Dienstleistungsrichtlinie und die Niederlassungsfreiheit verstoßen. Dies führte zur Novellierung der HOAI 2021, wodurch die Preisvorgaben nur noch als unverbindliche Orientierungswerte gelten.

Mit der Novelle entfiel demnach die Pflicht zur Berücksichtigung der verbindlichen Preisrahmen. § 76 Abs. 1 S. 2 VgV stellt klar, dass Honorarordnungen unberührt bleiben, was jedoch lediglich die Möglichkeit eröffnet, Honorartabellen als Orientierung zu nutzen. Der Wegfall des verbindlichen Preisrechts beseitigte den bisherigen Grund für den Leistungswettbewerb, da die Honorare nun frei verhandelt werden können (Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Ingerowski, VgV/UVgO, 3. Aufl. 2022, VgV § 76 Rz. 6, 8).

Mit der Anpassung des § 76 Abs. 1 S. 2 VgV wurde die frühere Verpflichtung zur Berücksichtigung gesetzlicher Honorarsätze aufgehoben. Öffentliche Auftraggeber dürfen Honorarangebote nun frei bewerten, müssen aber weiterhin Dumpingangebote gemäß § 60 VgV ausschließen, wenn diese um mehr als 20 Prozent vom Marktpreis abweichen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.08.2017, Az. VII-Verg 17/17, Abruf-Nr. 199945).

§ 50 UVgO – Übertragbarkeit des Leistungswettbewerbs

Neben den europaweiten Vergaben nach der VgV unterliegt auch die Vergabe freiberuflicher Leistungen im Unterschwellenbereich besonderen Regeln. Nach § 50 Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) sind öffentliche Aufträge über Leistungen, die im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit erbracht oder im Wettbewerb mit freiberuflich Tätigen angeboten werden, grundsätzlich im Wettbewerb zu vergeben. Dabei ist so viel Wettbewerb zu schaffen, wie es die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände zulassen.

Diese Regelung betrifft insbesondere Architekten- und Ingenieurleistungen, die häufig als freiberufliche Dienstleistungen erbracht werden. Zwar gibt § 50 UVgO keine konkreten Vorgaben zur Gewichtung von Preis- und Qualitätskriterien, jedoch verpflichtet die Norm den öffentlichen Auftraggeber, ein angemessenes Maß an Wettbewerb sicherzustellen. Dies schließt die Berücksichtigung qualitativer Kriterien ebenso ein, wie eine sachgerechte Berücksichtigung des Preises.

Während der Leistungswettbewerb bei europaweiten Vergaben nach VgV ausdrücklich geregelt ist, enthält die UVgO keine vergleichbare Vorgabe. Dennoch verlangt § 50 UVgO, dass auch bei der Vergabe freiberuflicher Leistungen die Wettbewerbsmöglichkeiten voll ausgeschöpft werden. Dies bedeutet, dass auch hier eine ausgewogene Gewichtung zwischen Preis und Qualität erfolgen muss.

Ein reiner Preiswettbewerb würde diesem Grundsatz widersprechen, da bei freiberuflichen Leistungen – insbesondere bei komplexen Planungsaufgaben – die Qualität der Leistung maßgeblich für den wirtschaftlichen Erfolg des Projekts ist. Daher ist auch im Unterschwellenbereich eine starke Gewichtung qualitativer Kriterien gerechtfertigt, selbst wenn § 50 UVgO dies nicht ausdrücklich vorschreibt.

Da § 50 UVgO keine spezifischen Vorgaben zur Gewichtung der Zuschlagskriterien macht, haben öffentliche Auftraggeber hier grundsätzlich einen größeren Spielraum. Dennoch sind sie verpflichtet, die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Eine übermäßige Preisgewichtung könnte diesem Grundsatz zuwiderlaufen, wenn sie dazu führt, dass qualitativ minderwertige Leistungen den Zuschlag erhalten.

Vor diesem Hintergrund ist auch im Anwendungsbereich des § 50 UVgO eine ausgewogene Berücksichtigung von Preis und Qualität erforderlich. Die bisherige Praxis, den Preis bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen mit nur zehn Prozent zu gewichten, könnte jedoch auch hier problematisch sein, wenn dies nicht ausreichend begründet wird. Umgekehrt wäre eine Gewichtung des Preises mit 50 Prozent oder mehr ebenfalls kritisch, da dies den Leistungswettbewerb faktisch ausschließen könnte.

Handlungsspielräume der öffentlichen Auftraggeber

Öffentliche Auftraggeber haben bei der Gestaltung der Zuschlagskriterien einen gewissen Ermessensspielraum. Sie können den Preis als Zuschlagskriterium berücksichtigen, müssen jedoch sicherstellen, dass die Qualität der Leistung im Mittelpunkt steht. Besonders bei Standardprojekten kann eine stärkere Preisgewichtung zulässig sein, während bei komplexen Projekten eine hohe Gewichtung qualitativer Kriterien erforderlich ist.

Die Möglichkeit, Festpreise oder Festkosten nach § 58 Abs. 2 S. 3 VgV vorzugeben, steht dem Auftraggeber weiterhin offen. Die bisherige Orientierung an den HOAI-Mindestsätzen kann freiwillig fortgeführt werden (Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Ingerowski, VgV/UVgO, 3. Aufl. 2022, VgV § 76 Rz. 2).

Komplexe Rechtslage führt zu kontroverser Diskussion

Die Diskussion über die zulässige Preisgewichtung wird in der Fachwelt durchaus kontrovers geführt:

Pro höhere Preisgewichtung

Befürworter argumentieren, dass mit dem Wegfall der HOAI-Mindestsätze eine stärkere Preisgewichtung erforderlich ist, um Wirtschaftlichkeit sicherzustellen.

Die bislang häufig praktizierte untergeordnete Gewichtung des Preises etwa mit zehn Prozent bis 20 Prozent bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen sei rechtlich nicht mehr geboten. Sowohl Haushaltsrecht als auch Vergaberecht weisen vielmehr auf die Bedeutung des Preises als wichtiges Zuschlagskriterium hin.

Es sei rechtlich zulässig, den Preis als Zuschlagskriterium mit 50 oder mehr Prozent zu gewichten. Die Vorgabe des Leistungswettbewerbs in § 76 VgV als einziger rechtlicher Ansatzpunkt für die bisher vertretene Praxis erfasse nur einen Teilbereich eines Vollauftrags und ist zudem änderungsbedürftig, da das zur Begründung maßgeblich herangezogene zwingende Preisrecht der HOAI nicht mehr gilt. (Leinemann/Otting/Kirch/Homann/Offermann, 1. Aufl. 2024, VgV § 76 Rz. 2-9; Dörr ZfBR 2021, 360; Lindner ZfBR 2021, 714; Lindner ZfBR 2021, 835).

Contra höhere Preisgewichtung

Kritiker warnen, dass bereits eine Gewichtung über 25 Prozent den Leistungswettbewerb unterläuft und nicht mehr dem Sinn und Zweck des § 76 VgV entspricht. Die Änderungen der HOAI 2021 führen nicht zu einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen.

Weiterhin seien diese im Leistungswettbewerb zu vergeben. Der Preis kann dabei grundsätzlich auch mitberücksichtigt werden, darf aber keine alleinige oder hervorgehobene Rolle spielen. In der Regel könnte er mit zehn bis 20 Prozent bei den Zuschlagskriterien berücksichtigt werden (Schnepel/Zimmermann ZfBR 2021, 714).

Was sich aus der komplexen Rechtslage ableiten lässt

Die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen nach § 76 VgV erfordert eine sachgerechte Balance zwischen Preis- und Qualitätskriterien. Der Preis darf eine wichtige, jedoch nicht dominierende Rolle spielen. Auftraggeber sollten daher eine ausgewogene Gewichtung vornehmen, die den Anforderungen des Leistungswettbewerbs gerecht wird.

§ 50 UVgO verpflichtet öffentliche Auftraggeber, bei der Vergabe freiberuflicher Leistungen – einschließlich Architekten- und Ingenieurleistungen – einen angemessenen Wettbewerb sicherzustellen. Auch wenn der Begriff des Leistungswettbewerbs nicht ausdrücklich genannt wird, verlangt die Norm, dass qualitative Zuschlagskriterien angemessen berücksichtigt werden. Eine zu starke Gewichtung des Preises ist daher auch im Unterschwellenbereich kritisch zu hinterfragen.

Damit lassen sich die Grundsätze des § 76 VgV auf nationale Vergaben im Rahmen des § 50 UVgO übertragen. Öffentliche Auftraggeber sind daher auch hier verpflichtet, die Qualität der Leistungserbringung angemessen in die Zuschlagsentscheidung einzubeziehen und den Preis nicht übermäßig zu gewichten.

Praktische Handlungsempfehlungen für Ihr Planungsbüro

Diese Unsicherheit in der Rechtslage birgt für Auftraggeber und Bieter gleichermaßen Risiken. Auftraggeber sollten Zuschlagskriterien unbedingt klar und transparent gestalten. Gemäß § 97 Abs. 1 GWB sind VgV-Verfahren im Übrigen zur Transparenz verpflichtet und es besteht eine umfassende Informationspflicht der Auslober gegenüber den Bietern. Als Bieter sollten Sie also wachsam sein und Ihre Rechte im Vergabeverfahren aktiv wahren.

Praxistipps | Aus den in diesem Beitrag dargestellten rechtlichen Rahmenbedingungen lassen sich bei einem VgV-Verfahren folgende Handlungsempfehlungen für Ihre Büropraxis ableiten:
  • Sollte der öffentliche Auftraggeber den Preis unangemessen hoch gewichten (z. B. über 50 Prozent), besteht für Sie als Bieter die Verpflichtung zur Rüge nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB. Eine unterlassene Rüge führt zum Verlust des Nachprüfungsrechts.
  • Wird einer berechtigten Rüge durch den Auftraggeber nicht abgeholfen, sollten Sie umgehend ein Nachprüfungsverfahren vor der zuständigen Vergabekammer einleiten. Dies schützt vor einer vergaberechtswidrigen Entscheidung und wahrt Ihre Rechte.
  • Bei auffällig niedrigen Honoraren Ihrerseits kann der öffentliche Auftraggeber eine Preisprüfung nach § 60 VgV durchführen. Als Bieter sollten Sie daher Ihre Kalkulation nachvollziehbar dokumentieren und plausibel erläutern können, um einen Ausschluss zu vermeiden.
  • Die Qualität der Leistung sollte in Präsentationen und Konzepten gezielt herausgestellt werden. Insbesondere die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des Personals gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VgV sollten präzise und nachvollziehbar dargestellt werden.
FAZIT | Für Bieter ist es wichtig, die Ausschreibungsunterlagen genau zu prüfen und bei Anzeichen einer unzulässigen Preisdominanz frühzeitig ihre Rechte geltend zu machen. Die rechtliche Unsicherheit und die divergierenden Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur verdeutlichen die Notwendigkeit einer sorgfältigen und rechtssicheren Gestaltung von Vergabeverfahren von Seiten der öffentlichen Hand.
Weiterführende Hinweise
  • Die Bundesarchitektenkammer und weitere Verbände haben zusammen mit öffentlichen Trägern einen Leitfaden herausgegeben: „Vergabe von Architektenleistungen: Leitfaden Vergabeverordnung VgV“. Diesen finden Sie auf iww.de/pbp → Abruf-Nr. 246305
  • Wie Sie öffentliche Aufträge erfolgreich akquirieren, erfahren Sie in dem zweitägigen Lehrgang „VgV-Training“. Das nächste VgV-Training am 11./12.03.2025 in Würzburg ist schon ausgebucht. Vom 11.-12.11.2025 bieten wir aber ein weiteres Training an: www.iww.de/s12438

AUSGABE: PBP 3/2025, S. 17 · ID: 50291697

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