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HonorargestaltungVerlängerte Lph 8 wegen Streik und der (Zusatz-)Honoraranspruch des Objektüberwachers

Abo-Inhalt15.05.20249 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin Gabriela Böhm, Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht, Partnerin Leinemann & Partner Rechtsanwälte mbB, Frankfurt a. M.

| Am Dienstag den 13.05.2024 haben die ersten Streiks auf dem Bau begonnen. Ende und Ausmaß offen. In diesem Kontext erörtert der vorliegende Beitrag die juristischen Konsequenzen solcher Streikmaßnahmen, insbesondere im Hinblick auf daraus resultierende Bauzeitverlängerungen und die Zusatzhonoraransprüche in der Objektüberwachung. |

Bauzeitverzögerung kann sich auf Honorierung auswirken

Die Streiks der Bauunternehmer dürften zu Störungen im Bauablauf und daraus resultierende Verzögerungen führen, die für die Objektüberwachung mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen insbesondere während der Ausführung der Lph 8 verbunden sein können. Während der voraussichtlichen Bauzeit hat der Architekt oder Ingenieur die erforderlichen Bauleitungskapazitäten in ausreichendem Umfang vorzuhalten.

Insbesondere das für die Überwachung zuständige Personal arbeitet unter diesen Umständen weniger effizient und muss über einen verlängerten Zeitraum bereitgestellt und eingesetzt werden. Eine direkte honorarmäßige Kompensation für diese Mehrleistungen sieht das Vergütungsmodell der HOAI nicht vor, da es primär aufwand- und zeitunabhängig konzipiert ist.

Die Voraussetzungen für den Mehrvergütungsanspruch

Einen finanziellen Ausgleich für die zusätzlich entstandenen Aufwendungen bei Bauzeitverzögerungen können Sie – wenn auch mit hohen Hürden verbunden – nur beanspruchen, wenn vertraglich (wirksame) Regelungen vereinbart sind und/oder die Voraussetzungen gesetzlicher Regelungsinstitute, wie § 642 BGB und § 313 BGB, erfüllt sind.

Vertragsklauseln und das AGB-Recht

Bestimmte Faktoren führen dazu, dass solche Klauseln in der Regel nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und daher in einem rechtlichen Konfliktfall als unwirksam betrachtet werden könnten. Denn die Inhaltskontrolle in § 307 BGB dient dem Schutz des Auftragnehmers vor unangemessenen Vertragsbedingungen und spielt eine zentrale Rolle bei der Beurteilung der Wirksamkeit von AGB-Klauseln.

Verschiebung der Ausführungsfristen um ... Prozent

Klauseln, die bspw. regeln, dass dem Auftragnehmer keine zusätzliche Vergütung zusteht, falls sich die Ausführungsfristen um bis zu 20  Prozent verlängern, sind in der Regel unwirksam (Westphalen, Graf von/Thüsing/Pamp/Schmidt, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Rn. 168 ff.; Thode/Kuffer/Wirth/Kuhn § 21 Rn. 40; Kues/v. Kiedrowski/Bolz/Ryll, AGB-Klausel in Bauverträgen, 1. Aufl., Rn. ). Solche Bestimmungen widersprechen dem gesetzlichen Leitbild des § 642 BGB. § 642 BGB räumt dem Auftragnehmer ein Recht auf angemessene Entschädigung für Zeiten ein, in denen der Besteller sich im Annahmeverzug befindet. Weiterhin beschränken sie unzulässigerweise die Möglichkeit, Schadenersatz für vom Auftraggeber zu vertretende Pflichtverletzungen zu fordern (BGH, Urteil vom 10.05.2007, Az. VII ZR 288/05; BGH, Urteil vom 19.01.2023, Az. VII ZR 34/20). Bei angemessener Berücksichtigung beider Interessen dürfte vertretbar sein, dass in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers eine Anpassung des Honorars erst ab einer Projektlaufzeitverlängerung von zehn  Prozent erfolgt, sofern gesetzliche Ansprüche nach § 642 BGB und § 313 BGB im sog. Karenzzeitraum nicht ausgeschlossen sind (Beck‘scher HOAI- und Architektenrechtskommentar, Fuchs/Berger/Seifert-Sonntag, 3. Aufl., vor §§ 650p ff., Rn. 312 ff.).

Recht zur Anordnung zusätzlicher Leistungen bei Bauzeitverlängerung

Klauseln, die dem Auftraggeber ein einseitiges Recht zur Anordnung zusätzlicher Leistungen bei einer Bauzeitverlängerung einräumen, sind problematisch. Sie widersprechen dem gesetzlichen Leitbild, das vorsieht, dass die Hauptleistungspflichten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abschließend definiert sind. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB muss zudem nach billigem Ermessen ausgeübt werden, was eine angemessene Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsparteien erfordert.

Vollständiger Ausschluss von Zusatzhonoraransprüchen

Klauseln, die zu einem vollständigen oder teilweisen Ausschluss von Ansprüchen des Planers bei einer Bauzeitverlängerung führen, sind unwirksam, wenn sie gegen § 313 BGB oder § 642 BGB verstoßen. Diese Regelungen schützen den Planer davor, für Verzögerungen, die er nicht zu verantworten hat, finanziell benachteiligt zu werden.

Ausschlussregelung in § 10.2 AVB der (öffentlichen) Auftraggeber

Die Regelung in § 10.2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AVB), die typischerweise eine abschließende Regelung für Fälle von Bauzeitverzögerungen darstellt und Ansprüche nach § 642 BGB sowie §§ 280 ff. BGB ausschließen möchte, ist häufig unwirksam. Diese Unwirksamkeit ergibt sich aus mehreren Gründen:

  • Verstoß gegen § 307 BGB: Die Klausel könnte als eine allzu umfassende Beschränkung der Rechte des Auftragnehmers betrachtet werden, insbesondere da sie Ansprüche ausschließt, die gesetzlich vorgesehen und zum Schutz des Auftragnehmers gedacht sind. Nach § 307 BGB sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
  • Transparenzprobleme: Die Klausel könnte an Transparenzmängeln leiden, wenn aus ihr nicht eindeutig hervorgeht, was genau unter der vereinbarten (Soll-)Bauzeit zu verstehen ist. Eine Klausel muss klar und verständlich sein, um wirksam zu sein.
  • Fehlende Parameter für Honoraranpassungen: Das Fehlen konkreter Parameter zur Ermittlung der Honorarhöhe bei verlängerter Bauzeit könnte ebenfalls als problematisch angesehen werden. Wenn einerseits von Mehraufwendungen die Rede ist, andererseits aber ein zusätzliches Honorar an die ursprüngliche Honorarvereinbarung anknüpft, entsteht ein Widerspruch, der die Klausel als intransparent und möglicherweise als irreführend erscheinen lässt.

Der Honoraranspruch nach § 642 BGB

Auch der Architekt oder Ingenieur kann bei Bauzeitverlängerungen eine zusätzliche Entschädigung für verlängerte Bauzeiten gemäß § 642 BGB geltend machen. Die Anwendung des verschuldensunabhängigen und vergütungsähnlichen (Entschädigungs-)Anspruchs nach § 642 BGB setzt jedoch voraus, dass der Besteller (Auftraggeber) durch das Unterlassen einer erforderlichen Mitwirkungshandlung in Annahmeverzug gerät.

Die Durchsetzung eines Entschädigungsanspruchs durch den Architekten gemäß § 642 BGB aufgrund eines Streiks kann herausfordernd sein, vor allem wegen der strengen Anforderungen an den Nachweis von Annahmeverzug des Auftraggebers und der direkten Kausalität zwischen diesem Verzug und den nicht durchführbaren Architektenleistungen. Knackpunkte für die Durchsetzung sind:

Annahmeverzug

Sie müssen konkret nachweisen, dass der Auftraggeber eine erforderliche Mitwirkungshandlung im Zusammenhang mit der Ausführung der Grundleistungen der Lph 8 unterlassen hat, die für die Fortführung Ihrer Leistung notwendig ist. Dies erfordert, dass Sie klar darlegen, welche spezifischen Handlungen unterlassen wurden und wie diese Unterlassung die Erfüllung Ihrer eigenen Leistungen direkt beeinträchtigt hat. Bereits diese Anforderung ist in der Praxis nicht unproblematisch.

Kausalität

Es muss ein direkter Zusammenhang zwischen dem Unterlassen der Mitwirkungshandlung durch den Auftraggeber und der Unmöglichkeit der Leistungserbringung durch Sie bestehen. Der Auftraggeber gerät dann nicht in Annahmeverzug, wenn Sie trotz eines Streiks der Bauunternehmer weiterhin bestimmte Grundleistungen der Lph 8 erbringen können, die nicht direkt von dem Streik betroffen sind. Denn Annahmeverzug setzt voraus, dass der Auftraggeber eine erforderliche Mitwirkungshandlung unterlässt, die für die Erbringung der vom Architekten geschuldeten Leistung notwendig ist.

Von der Lph 8 umfasst ist u. a. die Objektüberwachung, die Dokumentation des Projektfortschritts, die Rechnungsprüfung und das Koordinieren der beteiligten Gewerke. Wenn Sie diese Aufgaben ohne die Notwendigkeit weiterer Mitwirkung durch den Auftraggeber ausführen können, wie etwa das Prüfen und Abnehmen von bereits erbrachten Leistungen oder das Verwalten von Dokumenten, dann würde ein Streik der Bauunternehmer diese spezifischen Tätigkeiten nicht beeinträchtigen.

Abgrenzung zu höherer Gewalt

Streiks können in manchen Fällen als höhere Gewalt angesehen werden, die den Auftraggeber von der Haftung für Annahmeverzug befreien könnte, sofern sie unvorhersehbar und unvermeidbar waren. Im Kontext von Streiks oder ähnlichen unvorhersehbaren Ereignissen, die einem „höheren Gewalt“-Szenario ähneln könnten, ist somit fraglich, ob und inwieweit der Auftraggeber von seinen Mitwirkungshandlungen während der Objektüberwachung befreit bzw. entlastet ist. Hindert der Streik den Auftraggeber direkt daran, seine Mitwirkungshandlungen zu erfüllen, und sind keine alternativen Maßnahmen möglich, würde § 642 BGB nicht greifen.

Praxistipp | Insgesamt ist die Durchsetzung eines Entschädigungsanspruchs nach § 642 BGB in Streiksituationen nicht einfach. Um erfolgreich einen Anspruch geltend zu machen, ist eine umfassende Dokumentation der Kommunikation zwischen Ihnen und dem Auftraggeber sowie aller relevanten Vorkommnisse rund um den Streik und dessen Auswirkungen auf das Projekt unerlässlich.

Honoraranpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Eine weitere Möglichkeit zur Anpassung des Honorars bietet § 313 BGB. Er greift, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, schwerwiegend geändert haben.

Das Kriterium „wesentliche Bauzeitverzögerung“

Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass eine „ungewöhnlich lange dauernde Leistung” vorliegt, die Bauzeit „weit über eine unter normalen Umständen benötigte Zeit hinausgeht” und die dadurch bedingte Bauzeitverlängerung „erheblichen Mehraufwand” nach sich zieht (BGH, Urteil vom 30.09.2004, Az. VII ZR 456/01, Abruf-Nr. 043041). In einem derartigen Fall soll nach dem BGH eine unzumutbare und nicht mehr hinnehmbare Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen. Die Folge ist, dass eine Anpassung des Vertrags und der Vertragshonorierung zugunsten des Architekten erfolgen muss, ggf. sogar ein Rücktritt des Architekten vom Vertrag möglich ist. Nämlich dann, wenn ihm die Fortsetzung seiner Tätigkeit (ganz ausnahmsweise) vollkommen unzumutbar ist.

Wann liegt eine „wesentliche Bauzeitverzögerung“ vor?

Von einer „wesentlichen Bauzeitverzögerung“ als Anspruchsvoraussetzung ist grundsätzlich auszugehen, wenn die tatsächliche Bauzeit (Ist-Bauzeit) die ursprünglich vorgesehene Bauzeit (Soll-Bauzeit) überschreitet.

Zunächst muss zur Bestimmung einer Bauzeitverzögerung die Soll-Bauzeit festgelegt werden. Dies ist in der Praxis regelmäßig eine Herausforderung, weil die vertraglichen Regelungen häufig keine ausreichend konkreten Angaben enthalten. Ideal wäre eine direkte Festlegung der Soll-Bauzeit in der entsprechenden Vertragsklausel, sei es durch die Nennung einer bestimmten Dauer oder durch Verweis auf eine andere Vertragsklausel oder -anlage, die explizite Zeitangaben macht. Oftmals bieten die vertraglichen Bestimmungen allerdings keine ausreichende Grundlage zur eindeutigen Bestimmung der Soll-Bauzeit.

Legt der Vertrag z. B. lediglich ein Datum für die „Baufertigstellung“ fest, ohne einen korrespondierenden Baubeginn anzugeben, lassen sich daraus keine validen Schlüsse auf die geplante Bauzeit ziehen. Die Soll-Bauzeit kann sich jedoch auch aus anderen Umständen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ergeben. In Frage kommen etwa Zeitpläne, die Teil der Vergabeunterlagen bei öffentlichen Ausschreibungen waren oder die von den Bietern im Rahmen ihrer Angebotsabgabe erstellt wurden. Darüber hinaus ist auch eine nachträgliche Festlegung der Soll-Bauzeit möglich, insbesondere basierend auf Zeitplänen, die Sie als Planer gemäß Ihrer vertraglichen Leistungspflichten zu erstellen und im Verlauf fortzuschreiben haben. Die genauen Anforderungen an die nachträgliche Festlegung der Soll-Bauzeit sind allerdings rechtlich nicht abschließend geklärt.

Gegenüberstellung von Ist- und Soll-Bauzeit

Dem gegenüberzustellen ist die Ist-Bauzeit, die mit dem Beginn der ersten von Ihnen zu überwachenden Ausführungsleistung (Ist-Baubeginn) anfängt und grundsätzlich mit der Fertigstellung der letzten Ausführungsleistung (Ist-Baufertigstellung) endet. Für die Ermittlung der relevanten Ist-Termine können Sie in der Regel auf das Bautagebuch und die Tagesberichte der ausführenden Unternehmen zurückgreifen. Zur Konkretisierung der Begriffe „Beginn“ und „Fertigstellung“ können die aus den §§ 640 Abs. 2 BGB, § 12 Abs.1 VOB/B, § 14 Abs. 3 VOB/B und § 5 Abs. 2 VOB/B entwickelten rechtlichen Grundsätze als Interpretationshilfe herangezogen werden.

Gerichte fordern eine bauablaufbezogene Darstellung

Die Durchsetzung von Ansprüchen aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB, insbesondere bei Architektenverträgen und im Zusammenhang mit Bauzeitverlängerungen, kann komplex und herausfordernd sein.

Die Gerichte fordern häufig, dass jede einzelne Behinderung und deren spezifische Auswirkungen auf den Bauablauf und die Kosten detailliert dargestellt werden. Diese bauablaufbezogene Darstellung ist entscheidend, um die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität nachzuweisen (z. B. OLG Celle, Urteil vom 06.10.2021, Az. 14 U 39/21, Abruf-Nr. 225850; OLG Köln, Urteil vom 15.01.2021, Az. 19 U 15/20, Abruf-Nr. 231862; BGH, Beschluss vom 04.05.2022, Az. VII ZR 87/21, NZB zurückgewiesen). Ohne eine detaillierte Darstellung ist es schwierig, den Anspruch auf eine Anpassung der Vergütung oder auf Entschädigung erfolgreich durchzusetzen.

Fazit | Angesichts der Tatsache, dass Streiks als höhere Gewalt oder ähnliche unvermeidbare Ereignisse angesehen werden können, ist es ratsam, dass sowohl Auftraggeber als auch Architekten (wirksame) vertragliche Regelungen zu Bauzeit und möglicher Honoraranpassungen bei unvorhersehbaren Verzögerungen festlegen. Ein unverbindliches Muster für eine solche Vertragsklausel finden Sie auf pbp.iww.de → Abruf-Nr. 50033522). Die aktuellen Streiks stellen ein anschauliches Beispiel für solche unvorhersehbaren Ereignisse dar, die rechtliche Neubewertungen bestehender Vertragsverhältnisse erforderlich machen.

AUSGABE: PBP 6/2024, S. 10 · ID: 50030322

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