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Neue VerfahrenErstattungsproblematik – Leistung ist angeblich wissenschaftlich nicht anerkannt

Abo-Inhalt25.10.2024720 Min. LesedauerVon Sabine Schmidt, Abrechnungsexpertin, Weinstadt

| Häufig erstatten private Krankenversicherungen und Beihilfestellen bestimmte zahnärztliche Leistungen nicht. Ein immer wieder vorgebrachtes Argument ist, dass die Leistung angeblich wissenschaftlich nicht anerkannt und somit medizinisch nicht notwendig ist. Oft handelt es sich hierbei um neue Methoden oder die Durchführung von zahnärztlichen Leistungen, die erst durch ein neues Verfahren oder Produkt möglich geworden sind. Diese neuen Leistungen werden häufig als Analogleistungen nach § 6 Abs. 1 GOZ berechnet – für viele private Kostenträger ein „rotes Tuch“. |

Wie argumentieren private Kostenträger?

In den meisten Fällen erstatten private Krankenversicherungen und Beihilfestellen nur die Analogleistungen, die auch vom Beratungsforum für Gebührenordnungsfragen bestätigt wurden (iww.de/s11411). Klassische Beispiele für nicht anerkannte Leistungen zu dieser Thematik sind:

  • PRGF-Verfahren
  • die antimikrobielle photodynamische Therapie
  • Keramikimplantate
  • usw.

Patienten erhalten in diesen Fällen stets dieselben Ablehnungsschreiben, mit den folgenden (oder ähnlichen) Formulierungen:

„Die Kosten für die photodynamische Therapie können wir Ihnen nicht erstatten. Gerne erklären wir Ihnen den Grund:

  • Wir erstatten die Kosten für Maßnahmen und Behandlungen, die medizinisch notwendig sind. Das bedeutet: Die angewandten Methoden oder Mittel sind aus medizinischer Sicht geeignet, ein Leiden zu heilen oder zu lindern.
  • Darüber hinaus muss die Wirksamkeit einer Behandlung in aktuellen wissenschaftlichen Studien ausreichend nachgewiesen sein. Dieser Nachweis liegt bisher nicht vor.

Somit handelt es sich um eine Wunschleistung (Verlangensleistung). Diese Kosten können wir nicht übernehmen. Ihr Versicherungsschutz sieht hierfür keine Leistungen vor. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir daher nicht anders entscheiden können.“

In diesem Fall wird die Leistung – ergänzend zum Thema wissenschaftliche Anerkennung – völlig zu Unrecht in eine Verlangensleistung nach § 2 Abs. 3 GOZ umgewandelt. Dies meist mit dem Hintergrund, dass sogenannte Wunschleistungen tariflich bedingt nicht erstattet werden müssen.

Kommt es, wie im vorliegenden Fall, zu keiner Erstattung, wendet sich der Patient in der Regel an die Zahnarztpraxis und bittet um Hilfe bzw. gleicht nur einen Teil der Rechnung aus.

Wie sollte die Praxis in einem solchen Fall reagieren?

Dem Patienten muss zunächst erläutert werden, dass die Aussage seines privaten Kostenträgers nicht korrekt ist. Gleichzeitig müssen Sie ihm Argumente an die Hand geben, die er gegen die Nicht-Erstattung ins Feld führen kann. Unabhängig davon müssen Sie aber auch immer betonen, dass die Rechnung unabhängig vom Erstattungsverhalten des privaten Kostenträgers beglichen werden muss. Die gesetzliche Grundlage hierfür liefert § 10 Abs. 1 GOZ.

Welche Argumente sollten in einer Stellungnahme für den Patienten aufgeführt werden?

Wichtig ist zunächst die Aussage, dass durch den Ansatz einer originären oder einer Analogleistung nach § 6 Abs. 1 GOZ die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme bestätigt wird. Ergänzend muss darauf verwiesen werden, dass die Erstattungspflicht auch gegeben ist, wenn keine Langzeitstudien oder Leitlinien vorliegen. In diesem Zusammenhang existiert auch eine Vielzahl an höchstinstanzlicher Rechtsprechung seitens des Bundesgerichtshofs (BGH), z. B.:

„Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände dürfen nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Dies gilt in besonderem Maße für Leitlinien, die erst nach der zu beurteilenden medizinischen Behandlung veröffentlicht worden sind. Leitlinien ersetzen kein Sachverständigengutachten. Zwar können sie im Einzelfall den medizinischen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben; sie können aber auch Standards ärztlicher Behandlung fortentwickeln oder ihrerseits veralten“ (Urteil vom 15.04.2014 – Az. VI ZR 382/12; Details in PA 08/2014, Seite 1).

Sollte das Thema Leitlinien seitens der privaten Kostenträger aufgegriffen werden, kann die brandaktuelle Stellungnahme der Bundeszahnärztekammer zu diesem Thema („Bedeutung von Leitlinien für die Berechnungsfähigkeit zahnärztlicher Leistungen“) als Argumentationshilfe verwendet werden – diese wurde im Juli 2024 veröffentlicht: iww.de/s11412.

In dieser Stellungnahme positioniert sich die BZÄK eindeutig zum Thema wissenschaftliche Leitlinien und Erstattungsverhalten und führt als Fazit unter anderem auf: „Die beschriebene rechtliche Einordnung von Leitlinien in Bezug auf medizinische/zahnmedizinische Leistungen basiert auf dem in Art. 12 GG garantierten Recht auf Berufsausübungsfreiheit: Dieses kann lediglich auf gesetzlicher Grundlage, nicht jedoch durch Feststellungen privatrechtlicher Institutionen geregelt oder beschränkt werden.“

Als Hilfestellung erhalten Sie nachfolgend einen Mustertext, der individuell auf die Argumente der privaten Kostenträger angepasst werden muss.

Musterschreiben / Argumentationshilfe PKV/Beihilfe

Im vorliegenden Behandlungsfall wurde in Verbindung mit der endodontischen Behandlung die antimikrobielle photodynamische Therapie eingesetzt. Mithilfe dieses laserunterstützten Verfahrens werden Mikroorganismen auch in schwer erreichbaren Arealen reduziert, wodurch der Erfolg der Therapie gesichert wird.

Es ist weder unter fachlichen noch unter gebührenrechtlichen Aspekten nachvollziehbar, weshalb die medizinische Notwendigkeit der Leistung infrage gestellt wird, zumal die Methode schon viele Jahre erfolgreich in Zahnarztpraxen angewandt wird.

Die Argumentation, dass für dieses Verfahren keine wissenschaftlichen Langzeitstudien vorliegen und daher keine medizinische Notwendigkeit besteht, weisen wir entschieden zurück.

Mit dieser Thematik hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) bereits mehrfach beschäftigt.

Die sogenannte „Wissenschaftsklausel“ (§ 5/1 AVB) wurde bereits 1993 vom BGH (Urteil vom 23.06.1993, Az. IV ZR 135/92) für unwirksam erklärt, weil diese Einschränkung den Vertragszweck gefährde.

Die Rechtsprechung des BGH definiert die medizinische Notwendigkeit seit Jahrzehnten mit folgender Formel:

„Von der Notwendigkeit einer Behandlung ist auszugehen, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar ist, sie als medizinisch notwendig anzusehen“ (BGH, Urteile vom 17.12.1986, Az. IVa ZR 78/85 und 29.05.1991, Az. IV ZR 151/90 sowie vom 12.03.2003, Az. IV ZR 278/01).

Ergänzend verweisen wir darauf, dass sowohl der § 192 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) als auch die Musterbedingungen der Krankenversicherungen in § 1 eindeutig darlegen, dass medizinisch notwendige Heilbehandlungen der Erstattungspflicht unterliegen.

Aus diesem Grund besteht keine rechtliche Grundlage, die Erstattung der Leistung zu verweigern.

Anmerkung

Sollten wissenschaftliche Studien vorliegen, können diese in der Stellungnahme noch benannt oder dem Schreiben beigelegt werden. Wird die Analogie infrage gestellt, sollte natürlich noch ergänzend auf dieses Thema eingegangen werden.

Sonderausgabe „Erstattungsprobleme lösen“

Diese 28-seitige Sonderausgabe zeigt typische Probleme bei der Erstattung von Privatleistungen auf und erläutert, wie Sie damit umgehen. Zahlreiche Musterschreiben runden die Ausgabe ab (iww.de/pa > Abruf-Nr. 46105608).

AUSGABE: PA 11/2024, S. 8 · ID: 50126196

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