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ArbG Marburg widerspricht Geringfügigkeitsrichtlinien400-Euro-Grenze gilt auch bei Beginn oder Ende der Beschäftigung während des Monats
Endet das Arbeitsverhältnis eines geringfügig beschäftigten Arbeitnehmers (Minijob) nicht exakt zum Monatsende, sondern zu einem früheren Zeitpunkt im Monat, ist das in diesem Monat erzielte Entgelt nicht auf eine fiktive Monatsvergütung hochzurechnen. Das hat das ArbG Marburg gegen den Wortlaut der Geringfügigkeitsrichtlinien entschieden.
Endet das Arbeitsverhältnis eines geringfügig beschäftigten Arbeitnehmers (Minijob) nicht exakt zum Monatsende, sondern zu einem früheren Zeitpunkt im Monat, ist das in diesem Monat erzielte Entgelt nicht auf eine fiktive Monatsvergütung hochzurechnen. Das hat das ArbG Marburg gegen den Wortlaut der Geringfügigkeitsrichtlinien entschieden.
Hochrechnung entsprechend den Geringfügigkeitsrichtlinien
Um die Entscheidung des ArbG Marburg nachvollziehen zu können, erläutern wir Ihnen zunächst die Regelung nach den Geringfügigkeitsrichtlinien. Danach müssen für Teilmonate folgende anteiligen Geringfügigkeitsgrenzen angesetzt werden.
Anteilige Geringfügigkeitsgrenzen
Zeitraum für die AbrechnungArbeitsentgeltgrenzeMonat400,00 EuroKalendertag (bei einer 7-Tage-Woche)13,33 Euroeine Woche93,33 Eurozwei Wochen186,67 Eurovier Wochen373,33 Eurofünf Wochen466,67 Euro
Beispiel
Ein Hotelportier (ledig und kinderlos) hat vom 1. August 2008 bis zum 20. August 2008 an zwanzig Tagen (sieben Tagen pro Woche) gearbeitet und einen Bruttolohn in Höhe von 390 Euro erhalten.In diesem Fall besteht Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Es dürfen keine Pauschalbeiträge (Kranken- und Rentenversicherung und pauschale Lohnsteuer) entrichtet werden, weil der erzielte Bruttolohn in Höhe von 390 Euro die anteilige Geringfügigkeitsgrenze von 266,60 Euro (= 400 Euro : 30 Tage x 20 Tage) übersteigt. Die erzielten 390 Euro werden auf eine fiktive Monatsvergütung in Höhe von 585 Euro (= 390 Euro : 20 Tage x 30 Tage) hochgerechnet. Entsprechend der Gleitzonenregelung ergibt sich eine fiktive Beitragsbemessungsgrundlage in Höhe von 536,24 Euro für den vollen Monat August 2008. Die Beitragsbemessungsgrundlage für die Beschäftigung vom 1. August bis 20. August 2008 beträgt 357,49 Euro (536,24 Euro : 30 Tage x 20 Tage). Bei einem Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenkasse von 15 Prozent. ergibt sich für den Arbeitnehmer ein Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 69,35 Euro. Der Arbeitgeber zahlt deshalb an den Arbeitnehmer nur 320,65 Euro aus (= 390 Euro ./. 69,35 Euro). Der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung beträgt 78,30 Euro.
Entscheidung des ArbG Marburg
Mit einem ähnlichen Fall musste sich das ArbG Marburg beschäftigen und das entschied im Sinne der klagenden Arbeitnehmerin.
Urteilsfall
Eine Verkäuferin war seit 1. Januar 2006 auf 400-Euro-Basis als Aushilfe beschäftigt. Ihr Arbeitgeber zahlte Pauschalbeiträge an die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung, sowie die pauschale Lohnsteuer in Höhe von zwei Prozent. Am 4. Juni 2007 vereinbarten die Verkäuferin und der Arbeitgeber im Wege eines außergerichtlichen Vergleichs, dass das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt durch ordentliche Kündigung am 15. Juni 2007 beendet wird. Der Vergleich sah vor, dass die Verkäuferin, für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis zum 15.Juni 2007 noch ein Bruttogehalt in Höhe von 344,86 Euro erhält. Ihr Arbeitgeber zahlte der Verkäuferin aber nur ein Nettogehalt von 219,64 Euro aus. Das Nettogehalt in Höhe von 219,64 Euro ergab sich dadurch, dass der Arbeitgeber (nach Rücksprache mit der Krankenkasse) - wegen des Ausscheidens während des laufenden Monats - den Lohn fiktiv auf ein volles Monatsgehalt hochgerechnet hatte. Das ergab ein fiktives Bruttogehalt von 689,72 Euro. Der Arbeitgeber rechnete das Gehalt deshalb nicht mehr als geringfügiges Arbeitsentgelt ab und die Verkäuferin musste die nach dem fiktiven Bruttogehalt berechneten Steuern und Sozialabgaben aus dem vereinbarten Bruttogehalt in Höhe von 344,86 Euro entrichten.
Arbeitnehmerin klagt vor dem ArbG
Mit dieser Abrechnung war die Verkäuferin nicht einverstanden und klagte vor dem ArbG Marburg. Sie war der Meinung, dass die vom Arbeitgeber vorgenommene fiktive Berechnungsweise gesetzeswidrig sei. Ohne die fiktive Berechnungsweise hätte das Bruttogehalt im Juni 2007 die 400-Euro-Grenze nicht überschritten. Der Arbeitgeber hätte für zu hohe Steuern Sozialabgaben abgeführt.
Sie stellte sich auf den Standpunkt, im SGB IV stehe nichts von einer fiktiven Berechnung. Auch gehe aus den gesetzlichen Vorschriften nicht hervor, an wie vielen Arbeitstagen die 400 Euro erzielt werden müssten. Der Arbeitgeber hätte ihr deshalb unter Übernahme der Pauschalbeiträge den vereinbarten Betrag in Höhe von 344,86 Euro brutto für netto auszahlen müssen. Die Verkäuferin forderte von ihrem ehemaligen Arbeitgeber deshalb den Differenzbetrag in Höhe von 125,22 Euro (= 344,86 Euro abzüglich 219,64 Euro) nebst Zinsen.
Entscheidung des ArbG Marburg
Das ArbG Marburg gab der Verkäuferin Recht. In dem Vergleich sei nicht vereinbart worden, dass der Bruttobetrag für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis zum 15. Juni 2007 auf einen vollen Monatsbetrag hochzurechnen sei. Es sei für die Arbeitnehmerin nicht erkennbar, warum - abweichend von der vorangegangenen Monaten - jetzt nicht mehr der vereinbarte Betrag ausgezahlt werden solle (Urteil vom 25.4.2008, Az: 2 Ca 9/08; Abruf-Nr. 081634081634).
Gesetz sieht keine fiktive Hochrechnung vor
Das ArbG stellte zudem fest, dass das SGB IV die fiktive Hochrechnung von Bezügen nicht verlange. Dem Wortlaut des SGB sei nicht zu entnehmen, ob die 400 Euro an einem Tag oder in einem ganzen Monat erzielt werden müssen. Das ArbG kam deshalb unter Auslegung von § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV zu dem Ergebnis, dass allein entscheidend sei, ob das Gehalt in einem Monat die 400 Euro übersteigt oder nicht. Aus Sicht des ArbG spielt es also keine Rolle, ob ein Arbeitsverhältnis einen ganzen Monat dauert oder bereits im Laufe eines Monats beendet wurde.
Sozialversicherungsrechtliche Posse am Rande
Die Richter am ArbG Marburg hatten - nachdem sie im Gesetz keine Regelung für die fiktive Hochrechnung finden konnten - die Deutsche Rentenversicherung telefonisch um Stellungnahme gebeten. Und die antwortete - anders als es die Krankenkasse getan hatte und es in den Geringfügigkeitsrichtlinien steht -, dass bei einem monatlichem Entgelt bis 400 Euro immer Versicherungsfreiheit vorliege, unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses in diesem Monat. Kurz gesagt: Der auskunftgebende Beamte kannte seine eigenen Richtlinien nicht.
Fiktive Hochrechnung auch in der Gleitzone
Analog zur geringfügigen Beschäftigung ist auch bei einer innerhalb eines Monats beginnenden bzw. endenden Beschäftigung in der Gleitzone das Bruttoentgelt hochzurechnen. Alternativ ist auch eine anteilige arbeitstägliche Berechnung möglich (Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger, Besprechungsergebnis vom 21./22.11.2006; Abruf-Nr. 082926082926).
Beispiel
Eine Aushilfe verdient monatlich 550 Euro. Ihr Arbeitsverhältnis endet zum 21. August 2008. Tatsächlich hat die Aushilfe im August insgesamt 15 Tage gearbeitet. Das hochgerechnete Arbeitsentgelt beträgt somit 770 Euro (= 550 Euro : 15 Tage x 21 Tage) und führt zu höheren Sozialabgaben.
Beachten Sie: Auch hier gilt: Legt man die Überlegungen des ArbG Marburg zugrunde, dürfte das Arbeitsentgelt nicht hochgerechnet werden.
Rechtslage bleibt zunächst ungeklärt
Der Arbeitgeber im Fall des ArbG Marburg hat darauf verzichtet, Berufung einzulegen. Somit ist das Urteil rechtskräftig und die Frage der fiktiven Hochrechnung bleibt zunächst ungeklärt.
Beachten Sie: Die Sozialversicherungsträger wird das Urteil des ArbG Marburg und auch mögliche weitere Urteile anderer Arbeitsgerichte wahrscheinlich wenig beeindrucken. Eine endgültige Entscheidung kann daher erst ein Verfahren vor den Sozialgerichten bringen. Bis dahin werden die Sozialversicherungsträger weiter entsprechend ihrer Richtlinien verfahren.
AUSGABE: LGP 10/2008, S. 177 · ID: 121981