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KanzleiorganisationSie glauben, Ihre Kanzleistrukturen seien „alternativlos“? Na, dann warten Sie mal ab.

Abo-Inhalt16.04.20256 Min. LesedauerVon Ralf Ecker, Bexbach

| Stellen Sie sich vor, Sie kämen als „Besucher“ in die eigene Kanzlei und ließen sich Strukturen, Rollenverteilungen und Aufgabenverteilungen erklären. Was wäre wohl Ihr erster Eindruck? Meine Herren, sind die gut organisiert. Oder: Du liebe Güte, und die können so arbeiten? Oder vielleicht etwas dazwischen? In diesem Beitrag möchte ich mich mit der Strukturebene der Kanzlei beschäftigen. Diese ist jedoch sehr stark mit den handelnden Personen verknüpft, weswegen wir den Faktor Mensch nicht komplett ausblenden können. Immer wieder ist zu erleben, wie eine personelle Veränderung an einer Schlüsselstelle zu sehr positiven Effekten auf die Organisation führen kann. |

Von der Notwendigkeit, agil zu sein

Im Idealfall laufen die Dinge in der Kanzlei so: Ein wesentlicher Teil der monatlichen und der jährlichen Aufträge kann wie geplant umgesetzt werden. Denn die Anforderungen, was zu tun ist, sind klar (Löhne, FiBus, Deklarationen etc.) und die Mittel dafür stehen zur Verfügung. Mit diesem Idealfall kommt jede zweckmäßig eingerichtete Organisation zurecht.

Häufig funktioniert die Welt aber nicht so. Da fällt plötzlich einer der Abschlussmitarbeiter krankheitsbedingt aus und ein wichtiger Mandant braucht ganz dringend seinen Abschluss für die Bank. Mit einem Mal stimmt das Gefüge aus Anforderungen und Mitteln nicht mehr. Die Organisation ist nun bemüht, das „Gleichgewicht“ – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – wieder herzustellen. Es wird versucht, interne Ressourcen umzuverlagern (die zuverlässige Mitarbeiterin B. bekommt noch mehr aufgebürdet), vorbereitende Arbeiten für andere Mandate werden vorläufig aufgeschoben und andere Aufgaben (z. B. kanzleiinterne Projekte) werden hinten angestellt. Noch einmal geht es gut. Doch nach einer Weile machen die anderen Mandanten Druck, Mitarbeiterin B. kündigt, weil ihr der Stress zu viel wird, und die Krankschreibung des Mitarbeiters geht in die Verlängerung. Eine starre Organisation macht solche Belastungen nicht lange mit.

Man kann diese Situation mit einer Stacey-Matrix beschreiben. Die Stacey-Matrix, konzipiert von Ralph Douglas Stacey, ist ein Werkzeug zur Bewertung der Projektkomplexität. Im Prinzip haben Sie mehrere monatliche Projekte, wie Lohn, FiBu, BWA sowie jährliche Projekte, wie Einkommensteuererklärungen und Abschlüsse. Dazu kommen weitere permanente Projekte, wie Führung von Mitarbeitern, Umgang mit Problemen und Krisen, Digitalisierung, Beratung und Gestaltung, Aus- und Fortbildung sowie Sonder- und Einzelfallprojekte. Die Projekte werden in der Stacey-Matrix mittels der Kriterien (Achsen) „Klarheit der Projektanforderungen“ und „Klarheit des Lösungsansatzes“ in einfach, kompliziert, komplex und chaotisch eingeteilt.

KP-Grafik_Stacy-Matrix.eps (Bild: KP-Grafik)
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Bild: KP-Grafik
  • Einfach: Viele Projekte befinden sich (hoffentlich) in aller Regel im linken unteren Feld („einfach“). Die Anforderungen sind klar; die Lösungsansätze bekannt. Das Ergebnis ist wegen der linearen Ursache-Wirkung-Relation vorhersehbar. Diese Projekte könnten unmittelbar umgesetzt werden (Beispiel: die monatliche FiBu erstellen).
  • Kompliziert: In diese Kategorie fallen Projekte, deren Ergebnis noch vorhersehbar ist. Hinsichtlich der Bewertung der Anforderungen, des Lösungsansatzes oder des Ergebnisses besteht Uneinigkeit. Bereits hier ist Agilität gefragt, denn eine einheitliche Bewertung stellt sich nicht von selbst ein. Sie kann aber z. B. durch eine bessere Informationslage und/oder auf dem Verhandlungsweg hergestellt werden (Beispiel: Wechsel zu einem anderen Kanzleisoftware-Anbieter).
  • Komplex: In diesem Bereich herrscht Unsicherheit. Es ist nicht mehr möglich, einen Plan zu erstellen und dann stur umzusetzen. Denn weder ist sicher, das geplante Ergebnis auch zu erzielen (keine eindeutigen Ursache-Wirkung-Zusammenhänge mehr), noch besteht Klarheit hinsichtlich der Anforderungen und Lösungsansätze. Solche Projekte erfordern erst recht Agilität, wenn sie nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt sein sollen, also die beständige Kommunikation aller Beteiligten und ein iteratives Vorgehen (Beispiel: KI in der Kanzlei als Arbeitsmittel einführen).
  • Chaos: Wenn nicht die Chance besteht, solche Projekte in die Komplex-Zone zu verschieben, sollte man die Finger davon lassen.

In vielen Steuerkanzleien passiert aus meiner Sicht Folgendes: Das Projektportfolio verschiebt sich aus der Einfach-Zone in die Kompliziert-Zone. Denken Sie an die eingangs geschilderte Situation. Zwar ist das Ergebnis immer noch vorhersehbar, aber über den Lösungsansatz herrscht Uneinigkeit zwischen Kanzleileitung („Ihr schafft das schon.“) und Mitarbeitenden („Noch mehr geht nicht.“).

Agilität oder „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“

Sie werden es schon bemerkt haben, dass ich auf den Punkt der Agilität hinauswill. Agilität bedeutet in der Steuerberatungskanzlei aus meiner Sicht, dass sie flexibel auf Veränderungen reagieren kann, Prozesse kontinuierlich überprüft und verbessert werden und dass alle (Führung, Mitarbeitende, Mandanten) regelmäßig kommunizieren. Agilität geht damit weit über einen rein strukturellen Ansatz hinaus und beschreibt ein anderes Set an Einstellungen und Verhaltensweisen, als das, das zu den Problemen geführt hat. Agilität ist als Wert auf der Kulturebene zu implementieren, gibt für die Prozess- und Strukturebene die Richtung vor (Leitplanke nicht Zwangsjacke) und muss von den handelnden Menschen gelebt und umgesetzt werden.

Die Ziele für eine agile Kanzlei könnten z. B. so aussehen:

Beispiele für agile Ziele

  • 1. Exzellente Servicequalität und Mandantenzufriedenheit
der Mandate
  • 2. Finanzielle Gesundheit der Kanzlei durch gute Deckungsbeiträge
  • 3. Prozessoptimierung und Effizienz:
  • Orientierung an Prioritäten
  • Fokussierung auf die täglichen Aufgaben, aber keine Fixierung
  • Stetige Verbesserung der Prozesse
  • Strukturierte Kommunikationsprozesse
  • Schnelle Entscheidungsprozesse
  • 4. Mitarbeiterentwicklung und Arbeitskultur:
  • Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter
  • Rollenklarheit und Orientierung
  • Optimierung der Belastungssteuerung
  • Reduktion der (vorhandenen) Überlastung

Indem Agilität bewusst die Mitarbeitenden einbezieht, zahlt sie auch auf die Arbeitgebermarke ein – gerade bei den jüngeren Mitarbeitenden. Agile Methoden und Strukturen fördern flexible und selbstorganisierte Lösungen komplexer Probleme mit dem Bestreben, strategische Ziele zu erreichen und Mandantenbedürfnisse optimal zu befriedigen. Agile Methoden und Strukturen zeichnen sich durch einen hohen Grad an Interaktion und Kommunikation mit Mandanten, Mitarbeitenden und anderen Stakeholdern der Kanzlei aus.

Denkanstöße für mehr Agilität

Im letzten Teil dieses Beitrags möchte ich einige Denkanstöße vermitteln, wie Sie das Thema Agilität in Ihrer Kanzlei auf den Weg bringen. Die Ideen stammen aus Kanzleien, die ich betreue, und wurden dort erfolgreich umgesetzt.

Quick-wins für mehr Agilität

ABC-Analyse und „Veredelung“ der Mandanten: Prüfen Sie, ob die Deckungsbeiträge im Verhältnis zum Aufwand (Arbeitsaufwand, aber auch Belastung aus der Persönlichkeit des Mandanten) stehen oder ob ein grobes Missverhältnis herrscht. In einem zweiten Schritt können dann entweder die Honorare angepasst bzw. die Mandate gekündigt werden, sodass mehr Raum entsteht, „werthaltigere“ Leistungen anzubieten und zu fakturieren.
Neuer Auftrag für den Sekretariatsbereich: Geben Sie den Kolleginnen und Kollegen ein neues Selbstverständnis und verwandeln Sie sie von einer eher reaktiven und zuarbeitenden Verwaltung hin zu einer Kommunikationsschnittstelle und modernen Assistenz der Geschäftsleitung mit hoher Eigenverantwortlichkeit. Sie können sie auch die Prozesse für Mandanten, Lohn, FiBu und Abschluss managen bzw. wichtige Zukunftsthemen wie Digitalisierung und KI angehen lassen.
Strukturierte Kommunikationsprozesse intern wie extern: Der Mandant weiß genau, wann und wie er die Kanzlei erreichen kann, dank proaktiver Rückruf- und Telefontermine sowie digitaler Kalenderstrukturen, die ihm buchbare Zeitfenster anzeigen. Die Erreichbarkeit wurde komprimiert, was zu mehr produktiven Arbeitszeiten ohne negatives Feedback führt. Intern können ebenfalls verbindliche Termine gebucht werden, um Störungen zu vermeiden und relevante Themen effizient zu besprechen. Diese Struktur bietet allen erhebliche Vorteile. Führen Sie einen internen Kalender für die Kanzlei und einen digitalen Kalender für die Mandanten ein. So lässt sich auch immer eine Mindestbesetzung der Kanzlei darstellen, während die anderen Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice sind.
Eigenverantwortlichkeit stärken: Gestehen Sie Ihren Teamleitern so viel Eigenverantwortlichkeit zu, dass diese quasi als Ihr verlängerter Arm agieren können. Diese sind sehr viel näher am Mitarbeiter und Mandanten dran, wodurch Probleme frühzeitig erkannt und gelöst werden können und sich die Partner stärker auf Führungsaufgaben fokussieren können.
Auslagerung von Aufträgen: Wenn Sie Löhne oder auch einmal eine FiBu an verlässliche Dienstleister und Freelancer auslagern können, verfügen Sie immer über ein „Instrument“, um Belastungsspitzen zu kappen und sich auf Tätigkeiten mit besseren Deckungsbeiträgen zu fokussieren.
Fokussierung auf Kernkompetenzen und bestimmte Mandantengruppen sowie konsequente Auslagerung bzw. Ablehnung von Themen und Anfragen, in denen Ihnen Kernkompetenz, Routine und Expertise fehlen.
Netzwerke bilden: Eine gute Vernetzung mit anderen Beratern, Anwälten, Banken und sonstigen Netzwerkpartnern ermöglicht es Ihnen, vielen Mandanten einen Service „aus einer Hand“ zu bieten.

AUSGABE: KP 5/2025, S. 76 · ID: 50254131

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