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Kampf ums RechtMeinungsfreiheit geht im Zweifel vor
| Das Spannungsverhältnis zwischen der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und den Ehrverletzungsdelikten (§§ 185 ff. StGB) beschäftigt immer wieder die Rechtsprechung. Das BVerfG hat jetzt wieder einmal Strafgerichte in die Schranken verwiesen, weil sie die Bedeutung des Verfassungsrechts nicht genügend beachtet haben (BVerfG 16.1.25, 1 BvR 1182/24). |
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin war ersichtlich mit den Leistungen ihres bisherigen Rechtsbeistands unzufrieden und hatte diesem per E-Mail mehrfach Inkompetenz und betrügerisches Verhalten vorgeworfen. AG und LG verurteilten die Angeklagte wegen Beleidigung. Ihre Revision wurde durch das OLG formelhaft verworfen. Zu Unrecht: Das BVerfG hob zum wiederholten Male strafgerichtliche Entscheidungen auf und betonte die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit im Spannungsverhältnis zu den Strafbestimmungen.
Entscheidungsgründe
Das BVerfG verweist explizit auf seine bisherige Rechtsprechung, nach der zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Deutung einer Äußerung gehört, dass sie unter Einbeziehung ihres Kontextes ausgelegt und ihr kein Sinn zugemessen wird, den sie objektiv nicht haben kann. Maßgeblich für die Deutung einer Aussage ist hiernach weder die subjektive Absicht der sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von den Ausführungen Betroffenen, sondern grundsätzlich der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (BVerfG 4.4.24, 1 BvR 820/24). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht.
Eine Ausnahme gilt nur, wenn es sich um Äußerungen handelt, die sich als Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen (BVerfG 19.5.20, 1 BvR 2397/19). Im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen, also beim „Kampf um das Recht“, ist es – wie in der vorliegenden Sache vom BVerfG explizit gebilligt – insbesondere erlaubt, besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen, so etwa die Bezeichnung eines Justizangehörigen als „dämlicher Staatsanwalt“ (BVerfG 9.2.22, 1 BvR 2588/20). Der Ehrschutz hat hier hinter die Meinungsfreiheit zurückzutreten.
Relevanz für die Praxis
Das BVerfG räumt der „Machtkritik“ immer mehr Vorrang ein. Nicht erlaubt sind lediglich persönliche Schmähungen, z. B. durch Fäkalausdrücke oder direkte unsachliche Angriffe, die keinen unmittelbaren Bezug zu den jeweiligen Verfahren aufweisen.
AUSGABE: KP 5/2025, S. 90 · ID: 50314534