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EntscheidungsprozesseBesser entscheiden mit Entscheidungsteams
| Die Qualität von Entscheidungen spielt eine zentrale Rolle, wenn Unternehmen erfolgreich agieren. Traditionell werden Entscheidungen häufig von Einzelpersonen getroffen – je kleiner das Unternehmen, desto eher. Aus dem Kontext größerer Unternehmen kennt man hingegen Entscheidungsteams. Durch die Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven kann die Entscheidungsqualität signifikant verbessert werden. Entscheidungsteams sorgen nicht nur für eine breitere Wissensbasis, sondern mindern auch das Risiko von Fehlentscheidungen. Dieser Beitrag beleuchtet, wie Kanzleien von solchen Teams und Prozessen profitieren können. |
Selbst entscheiden oder im Team?
Dass bei einzelnen Entscheidern die Entscheidungsqualität schwankt ist eine Binsenweisheit, die jeder Leser im persönlichen Rückblick bestätigen wird. Bessere, vor allem ausgeglichene Entscheidungen werden von einer größeren Gruppe erwartet, wobei die Qualität bei möglichst unterschiedlichen Gruppenmitgliedern weiter verbessert werden soll, ein oft angebrachtes Argument für möglichst diverse Teams. Einfache Versuche bestätigen diese Perspektive.
Beispiel |
Soll die Anzahl von Kugeln in einem Glas geschätzt werden, liegen Versuchsteilnehmer fast immer deutlich daneben. Wird aber eine größere Anzahl von Schätzungen gemittelt, ist das Ergebnis deutlich näher an der tatsächlichen Zahl. |
Unternehmen setzen diese Sichtweise bei wesentlichen Entscheidungen durch die Einrichtung von Projekt- bzw. Entscheidungsteams um. Es geht nicht darum, irgendetwas formal abzunicken, sondern darum gemeinsam, kritisch-konstruktiv die beste Lösung zu finden.
Wie das Team personell zusammengestellt wird, ist natürlich eine Entscheidung im Einzelfall. Dennoch gibt es gewisse Leitlinien. So sollte darauf geachtet werden, dass von vornherein unterschiedliche Perspektiven in den Entscheidungsprozess involviert werden. Unter Umständen ist es sogar sinnvoll, externe Berater einzubeziehen. Diese multidisziplinäre Zusammenarbeit fördert eine ausgewogene Betrachtung der verschiedenen Dimensionen einer Entscheidung und mindert gleichzeitig das Risiko von Fehlentscheidungen, da potenzielle blinde Flecken identifiziert und geschlossen werden.
Entscheidungsdynamiken in Unternehmen/Kanzleien
In der Praxis beginnt die Einleitung einer Entscheidung meist mit einem Testballon. Ein Entscheider hat eine Idee. Insbesondere wenn nur eine Person die Unternehmensleitung innehat, ist sie gut beraten, die Ansichten Dritter einzufordern und anschließend zu berücksichtigen. Informell wird die Idee weiterentwickelt, wobei häufig diejenigen Mitentscheider involviert werden, bei denen eine Zustimmung wahrscheinlich erscheint. Informelle „Deals“, die gegenseitige Unterstützung der eigenen Ideen, sind oftmals Bestandteil dieser Vorbereitung.
Dabei ist zu beobachten, dass sich Mitentscheider strategisch positionieren. Stellt sich die Idee als erfolgreich heraus, können sie sich den Erfolg zwar nicht (unmittelbar) auf die eigene Fahne schreiben, stehen aber wenigstens nicht „dumm da“, weil sie sich zuvor ablehnend geäußert haben. War es ein Misserfolg, nutzt es meist wenig, der einsame Rufer in der Wüste gewesen zu sein. Bei einer Zustimmung sind allerdings auch keine Nachteile zu befürchten, schließlich hatte ein anderer die Idee. Mitentscheider treffen Entscheidungen auch nicht isoliert. Die Mitentscheider werden aufmerksam registrieren, wie die eigenen Vorschläge beschieden werden. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem auch sie eine Zustimmung benötigen. Hinzu kommen weitere persönliche Unterschiede wie Risikobereitschaft, Vorstellungen, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln sollte etc.
Niemand wird also völlig neutral an eine Entscheidung herantreten und daher gibt es allen Grund für eine Verobjektivierung des Entscheidungsprozesses. Im Weiteren wird das „Entscheidungsprotokoll“ vorgestellt, welches strukturierte Entscheidungen ermöglicht. Dieses Vorgehen bietet keine absolute Sicherheit, verbessert jedoch die Entscheidungsqualität deutlich, wie der Träger des Wirtschaftsnobelpreises Daniel Kahneman nachwies. Dabei sind Möglichkeiten, die Qualität grundsätzlicher Entscheidungen zu verbessern, relativ, nicht absolut. Natürlich kann ein einzelner Entscheider besser als eine Gruppe liegen, aber nicht dauerhaft.
Hintergrund |
Der hier vorgeschlagene Ansatz folgt einem erweiterten Verständnis aus dem Unternehmens-Controlling weg von der nahezu ausschließlichen Konzentration auf finanzielle Kennzahlen, hin zu einer ganzheitlichen Entscheidungsfindung. Auf der Grundlage eines strukturierten Vorgehens soll demnach das Controlling die Entscheidungsfindung moderieren und dokumentieren, damit wichtige Entscheidungen formal getroffen und entsprechend dokumentiert werden. Insbesondere bei Entscheidungen mit finanziellen Auswirkungen ist in größeren Unternehmen das Controlling involviert, stellt Berechnungsmodelle zur Verfügung mit denen das Erreichen der Mindestziele, ausgedrückt in finanziellen Kenngrößen, dokumentiert wird, plausibilisiert die Angabe Dritter, verantwortet teilweise die Entscheidungsfindung. |
Entscheidungsprotokoll zur Objektivierung
Ein Entscheider versucht alle relevanten Kriterien einbeziehen, nur gelingt dies dem Einzelnen selten. Ein Techniker hat eine andere Perspektive als ein Betriebswirt. Wer seinen Arbeitsschwerpunkt auf den Vertrieb legt, sieht Dinge anders, als derjenige, der der Produktqualität den höchsten Stellenwert einräumt. Das Controlling hat einen anderen Blick als das Personalwesen. Wenn auch völlige Objektivität nicht möglich ist, gibt es dennoch Möglichkeiten der Objektivierung.
Dazu wird eine Checkliste mit allen notwendigen Perspektiven und Informationen zusammengestellt, woraus sich einzelne Dimensionen ableiten lassen, wie Finanzen, Technik und Kunden. Daraufhin werden die einzelnen Dimensionen an verschiedene Verantwortliche übergeben, wobei ein Einzelner mehrere Dimensionen übernehmen kann, falls keine Alternativen bestehen. Die Einnahme einer Außenperspektive objektiviert die Informationssammlung. Zwar gelingt dies Unternehmensangehörigen nur beschränkt, allerdings gibt es Hilfestellungen. Wo immer möglich sollte eine Basisrate, eine Referenzklasse gefunden werden. Wenn z. B. eine neue Technologie eingesetzt werden soll, finden sich oft Berufskollegen, die sie schon einsetzen.
Wichtig ist auch, dass kein Teammitglied andere im Vorfeld beeinflusst, weshalb informelle Gespräche über die eigene Einschätzung unterlassen werden sollten, nicht als falsch verstandene „Geheimniskrämerei“, sondern zum Zweck einer besseren Entscheidungsqualität. Die Zusammenführung einzelner, isolierter Entscheidungen führt zu besseren Entscheidungen als die gemeinsame Entscheidungsfindung. Ein vergleichbares Bild zeigt das Fernsehquiz „Wer wird Millionär“, wo der „Publikumsjoker“, die anonymisierte Meinung des Publikums im Fernsehstudio, fast immer eindeutig und richtig ist.
Entscheidungssitzung nach intensiver Vorbereitung
Mit der aufgezeigten Vorbereitung wird eine Entscheidungssitzung ihrem Namen gerecht. Keine bereits informell abgestimmte Lösung wird nur noch formal vollzogen, sondern tatsächlich entschieden. Dazu bringt der Initiator die Bereitschaft mit, seine Idee zu „beerdigen“, wenn es sinnvoll ist.
Unterschiedliche Bewertungen der einzelnen Dimensionen sollen und werden zu Diskussionen führen. Dabei stellt der Informationsaustausch, nicht der Meinungskonsens das Ziel dar. Nachdem eine einzelne Dimension diskutiert wurde, gibt jeder Teilnehmer seine Bewertung ab. Dies erfolgt verdeckt, wobei spezielle Apps benutzt werden können, aber auch einfach Zettel ausgefüllt werden können, ein Beteiligter diese einsammelt und ablegt. Die Anonymität wird ernst genommen, nicht zum Nachbar herübergeblinzelt oder dessen Lächeln bzw. Stirnrunzeln berücksichtigt. Hier reicht eine einfache Quantifizierung mit Werten von 0 bis 10 aus.
Auf diesem Wege werden die verschiedenen Dimensionen thematisiert und die Ergebnisse für alle visualisiert. Bei der Zusammenführung werden die einzelnen Dimensionen nicht gewichtet, sondern gleichwertig angesetzt. Was nicht wichtig ist, ist keine Zieldimension; was eine Zieldimension ist, ist wichtig. Damit wird sichergestellt, dass nicht ein Fachbereich bzw. -vertreter die anderen überstrahlt und der Eindruck entsteht, dass der eigene Beitrag allenfalls als Beiwerk dient. Selbstverständlich können einzelne Punkte als „K.-o.-Kriterien“ identifiziert werden, die eine positive Entscheidung schlicht unmöglich erscheinen lassen, worauf deutlich hingewiesen wird.
Nach Abschluss der Diskussion erfolgt erneut eine anonymisierte Bewertung. Dabei geht es schlicht darum, ein Projekt durchzuführen oder zu unterlassen. Die Mitglieder des Entscheidungsteams geben ihre Meinung ab – fundiert auf Basis der Bewertungen der Einzelpunkte.
Dem Bauchgefühl – an der richtigen Stelle – Raum geben
Dabei kann und soll das Bauchgefühl zum Einsatz kommen. Gigerenzer betont, dass Bauchgefühl oder Intuition in Entscheidungsprozessen eine wichtige Rolle spielen kann, besonders wenn es auf Erfahrung und Fachwissen basiert. Er widerspricht der weit verbreiteten Meinung, dass Intuition unsystematisch und unzuverlässig ist. Stattdessen beschreibt er das Bauchgefühl als eine Form von gefühltem Wissen, das schnell und oft effektiv zu Entscheidungen führt, insbesondere in komplexen oder unsicheren Situationen. Dieses Gefühl beruht auf erlernten Faustregeln und Erfahrungen, die unbewusst abgerufen werden. Gigerenzer definiert das Bauchgefühl als ein Urteil, das rasch im Bewusstsein auftaucht; dessen tiefere Gründe nicht vollkommen bewusst sind; das stark genug ist, dass Menschen danach handeln.
Gigerenzer argumentiert, dass Intuition besonders dann wertvoll ist, wenn Menschen auf ihren Fachgebieten reichlich Erfahrung gesammelt haben. In diesen Fällen können intuitive Entscheidungen sogar schneller und effizienter sein als rein analytische Ansätze. Er hebt hervor, dass Intuition nicht mit willkürlichen Eingebungen verwechselt werden darf. Sie ist vielmehr eine Strategie, um in unsicheren und dynamischen Umfeldern handlungsfähig zu bleiben. Ein Beispiel dafür ist seine Kritik an „Big Data“, wo reine Datenanalysen oft scheitern, wenn sich die Umstände plötzlich ändern, während ein erfahrungsbasiertes Bauchgefühl flexibler reagieren kann.
Gigerenzer weist darauf hin, dass das Bauchgefühl nicht als willkürliche Eingebung betrachtet werden sollte, sondern als das Ergebnis unbewusster Faustregeln, die sich aus der Erfahrung einer Person ableiten. Dies gilt insbesondere in Situationen, in denen schnelle Entscheidungen notwendig sind oder wenn unvorhersehbare Elemente auftauchen, die durch reine Datenanalyse nicht erfasst werden können. Daher sollte das Bauchgefühl in einem Entscheidungsprozess nicht anfangs dominieren, sondern nach der gründlichen Analyse der Fakten die finale Entscheidung beeinflussen.
Laut Gigerenzer ist das Bauchgefühl besonders in den späteren Phasen des Entscheidungsprozesses eine wertvolle und rationale Entscheidungshilfe. Er betont, dass Bauchentscheidungen, wenn sie auf umfangreicher Erfahrung und Wissen beruhen, eine effektive Ergänzung zu analytischen Prozessen sein können. Zu Beginn der Entscheidungsfindung sollten Fakten und rationale Überlegungen im Vordergrund stehen. Nachdem die wesentlichen Informationen analysiert wurden, kann das Bauchgefühl als ein „Gegencheck“ fungieren, um die zuvor getroffenen rationalen Schlüsse zu bewerten und zu bestätigen.
AUSGABE: KP 1/2025, S. 9 · ID: 50175601