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VorsorgevollmachtEs besteht keine Pflicht zur persönlichen Betreuung durch eine Vorsorgevollmacht

Abo-Inhalt01.01.2024509 Min. LesedauerVon RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen

| Soweit in einer Vorsorgevollmacht keine anderweitigen Regelungen enthalten sind, berechtigt die Vorsorgevollmacht den Bevollmächtigten nur zur rechtlichen Vertretung, verpflichtet aber nicht zur persönlichen Betreuung des Vollmachtgebers. Der Vorsorgebevollmächtigte muss nur die notwendigen tatsächlichen Hilfen besorgen, nicht jedoch selbst Hilfe leisten. Das hat der BGH klargestellt. |

Sachverhalt

Die Betroffene B wendet sich gegen ihre Betreuung. Sie leidet an einer paranoiden Schizophrenie sowie einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung und einer chronischen Schmerzstörung. Bereits Anfang 2019 wurde daher eine Betreuung eingerichtet und eine Berufsbetreuerin mit einem umfassenden Aufgabenkreis bestellt. Im Winter 2022 war die B auf Antrag ihrer Betreuerin mit betreuungsgerichtlicher Genehmigung geschlossen untergebracht. 2021 hatte die B ihrem Ehemann M eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilt. In dieser wurde auch angeordnet, dass im Fall der Erforderlichkeit einer Betreuung der M zum Betreuer bestellt werden soll. Unter Bezugnahme auf die Vollmacht hat die B beantragt, entweder die Betreuung aufzuheben oder aber M zum Betreuer zu bestellen. Das AG hat nach Anhörung aller Beteiligten sowohl die Aufhebung der Betreuung als auch den beantragten Betreuerwechsel abgelehnt. Gegen beide Beschlüsse haben B und M Beschwerde eingelegt. Das LG hat erneut persönliche Anhörungen vorgenommen und sodann in einem einheitlichen Beschluss die Beschwerden zurückgewiesen (LG Münster, 10.5.22, 5 T 1668/21, 5 T 1678/21). Hiergegen wenden sich B und M erfolgreich mit ihren Rechtsbeschwerden (BGH 16.11.22, XII ZB 212/22, Abruf-Nr. 232996).

Entscheidungsgründe

Das LG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Bestellung eines Betreuers trotz des Vorliegens einer wirksamen Vorsorgevollmacht erforderlich wäre. Ein Betreuer darf nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut besorgt werden können. Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen.

Steht wie vorliegend fest, dass die Vorsorgevollmacht wirksam ist, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint. Über diese Frage muss das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen befinden.

Zwar begründet allein die räumliche Entfernung des Vorsorgebevollmächtigten vom Wohnort des Vollmachtgebers grundsätzlich nicht die Erforderlichkeit, einen Betreuer zu bestellen. Es kann aber i. d. R. davon ausgegangen werden, dass der Vollmachtgeber diesen Umstand berücksichtigt hat. Die räumliche Entfernung muss zu einem konkreten Hinderungsgrund für zu regelnde Angelegenheiten führen. Solche oder vergleichbare Umstände hat das Beschwerdegericht bislang nicht festgestellt. Es ist zwar nachvollziehbar, dass es aufgrund der Erkrankung der B in besonderem Maße eines persönlichen Kontakts bedarf, um Verschlechterungen des Gesundheitszustands der B frühzeitig wahrzunehmen und entsprechend zu handeln.

Soweit in einer Vorsorgevollmacht wie hier keine anderweitigen Regelungen enthalten sind, berechtigt die Vorsorgevollmacht den Bevollmächtigten nur zur rechtlichen Vertretung. Damit geht aber nicht die Pflicht einher, den Vollmachtgeber persönlich zu betreuen. Die Rechtsstellung unterscheidet sich insoweit nicht von der eines Betreuers, der nur solche Tätigkeiten erbringen muss, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betroffenen rechtlich zu besorgen.

Die Entscheidung des LG war daher aufzuheben. Die Sache war an das LG zurückzuverweisen. Es fehlt an tragfähigen Feststellungen dafür, ob die Wahrnehmung der Interessen der B durch den umfassend bevollmächtigten M eine konkrete Gefahr für ihr Wohl begründet. Auch ist gesondert festzustellen und für jeden einzelnen Aufgabenkreise zu begründen, ob trotz der umfassenden Vorsorgevollmacht eine Betreuung insoweit erforderlich ist oder nicht.

Relevanz für die Praxis

Die Einrichtung einer Betreuung ist ein Institut des Erwachsenenschutzes. Soweit ein Betroffener seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen kann, wird für ihn eine Betreuung eingerichtet. Wenn eine Vorsorgevollmacht erteilt worden ist, ist eine Betreuung dagegen für die gegenständlichen Aufgabenkreise regelmäßig entbehrlich.

Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So ist es ständige Rechtsprechung des Betreuungssenats, dass trotz des Vorliegens einer wirksamen Vollmacht eine Betreuung erforderlich ist, wenn dem Bevollmächtigten die Eignung fehlt (zuletzt etwa BGH 15.6.22, XII ZB 85/22, Abruf-Nr. 230642). Hierzu muss das Tatsachengericht nach pflichtgemäßem Ermessen ermitteln und entsprechende Feststellungen in den Entscheidungsgründen treffen.

Die vorliegende Entscheidung ist indes aus einem zweiten Aspekt sehr praxisrelevant. Der Betreuungssenat stellt zutreffend klar, dass es nicht Aufgabe des Bevollmächtigten ist, die tatsächlichen Lebens- und Pflegebedürfnisse des Betroffenen in eigener Person zu befriedigen. Dieser muss genauso wie ein Betreuer nur die notwendigen tatsächlichen Hilfen besorgen, nicht jedoch selbst Hilfe leisten. Tatsächliche Pflegeleistungen oder andere persönliche Hilfe im Alltag werden rechtlich nicht geschuldet (siehe bereits BGH 17.2.16, XII ZB 498/15, Abruf-Nr. 189605).

AUSGABE: FK 1/2024, S. 8 · ID: 48978910

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