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VerfahrensbeistandErhöhte Anforderungen an die fachliche Eignung
| Durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder (BGBl. I 2021, 1810) sind die Vorschriften im FamFG über den Verfahrensbeistand neu gefasst worden. Das Gesetz ist seit dem 1.7.21 in Kraft. Der Verfahrensbeistand muss gem. § 158 Abs. 1 FamFG jetzt nicht mehr nur geeignet sein, sondern fachlich und persönlich geeignet sein. Dazu im Einzelnen: |
1. Fachliche Eignung, § 158a Abs. 1 FamFG
Was in § 158 FamFG alte Form geregelt war, ist ergänzt und neu in §§ 158 bis 158c FamFG gefasst worden. Bisher verlangte der Gesetzgeber keine besondere Qualifikation des Verfahrensbeistands. Nun treten mit § 158a FamFG gesetzliche Leitlinien in Kraft, die dessen persönliche und fachliche Eignung betreffen. Der Gesetzgeber hat gesehen, dass der Erwerb und die Vorlage von Qualifizierungs- und Eignungsnachweisen eine gewisse Vorlaufzeit benötigt. Deshalb ist § 158a FamFG erst zum 1.1.22 in Kraft getreten. Die Norm gilt für alle danach neu eingeleiteten Verfahren, § 493 Abs. 4 FamFG.
§ 158a Abs. 1 FamFG verlangt für die fachliche Eignung, dass der Verfahrensbeistand über juristische Grundkenntnisse auf den Gebieten des Familienrechts, insbesondere des Kindschaftsrechts, des Verfahrensrechts in Kindschaftssachen, des Kinder- und Jugendhilferechts und über Kenntnisse auf dem Gebiet der Entwicklungspsychologie des Kindes sowie über kindgerechte Gesprächstechniken verfügt. Diese erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sind auf Verlangen des Gerichts nachzuweisen. Sie können insbesondere durch eine Berufsqualifikation und eine für die Tätigkeit als Verfahrensbeistand spezifische Zusatzqualifikation erbracht werden. Als Berufsqualifikation kommt eine (sozial-)pädagogische, juristische oder psychologische Ausbildung in Betracht. Die Zusatzqualifikation muss die Kenntnisse in den Bereichen erweitern, die von der Berufsausbildung nicht abgedeckt sind.
Unterschiedliche Anforderungen an unterschiedliche Berufsgruppen Merke | Für die unterschiedlichen Berufsgruppen ergeben sich somit unterschiedliche Ausbildungsinhalte und Schwerpunkte, die sich auch auf den Umfang der Zusatzqualifikation auswirken. Die Formulierung als Kannvorschrift ermöglicht es, die Eignung auch in anderer Weise nachzuweisen (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21.10.20, S. 64).  | 
a) Aufgaben
Gem. § 158b FamFG hat der Verfahrensbeistand die Aufgabe, das Interesse des Kindes im Verfahren zur Geltung zu bringen. Er soll ferner das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise informieren und über die Einlegung eines Rechtsmittels entscheiden. Mit einfachen juristischen Grundkenntnissen ist das nur schwerlich möglich. Denn die Aufgabe des Verfahrensbeistands beschränkt sich nicht nur darauf, das Kind zu informieren und zu begleiten.
Die Interessenvertretung umfasst auch nicht nur, den geäußerten Kindeswillen darzustellen. Vielmehr bedeutet es, das Kindeswohl als Ausdruck des objektiven Kindesinteresses zu vertreten. In Kindschaftssachen gilt das Kindeswohl des BGB in Abstufungen als Maßstab aller Entscheidungen. Der Verfahrensbeistand soll gem. § 158b Abs. 1 S. 2 FamFG eine schriftliche Stellungnahme erstatten. Damit ähneln seine Aufgaben noch ein bisschen mehr denjenigen eines Anwalts. Es ist also nach Inhalt und Form eine fundierte juristische Interessenvertretung des Kindes durch den Verfahrensbeistand gefragt. Um das Kindeswohl feststellen zu können, bedarf es umfassender Kenntnisse des Familienrechts und der Rechtsprechung. In Fällen, in denen Kindeswohl und -wille auseinanderfallen, wird der Verfahrensbeistand sorgfältig abwägen müssen, ob er umfassend das Kindeswohl vertreten muss oder aber es verantworten kann, nur dessen Interessen und Wünsche im Verfahren zur Geltung zu bringen. Schließlich sollten alle sonstigen Beteiligten, die (Pflege-)Eltern sowie das Gericht, dieses beraten durch das Jugendamt, vorrangig auch das objektive Kindeswohl im Blick haben.
b) Besondere Kenntnisse und Qualifikationen
Die Kenntnisse auf dem Gebiet der Entwicklungspsychologie und der Gesprächsführung sollen gewährleisten, dass der Verfahrensbeistand in der Lage ist, in einer dem Alter des Kindes entsprechenden Weise die persönliche Sicht des Kindes, seine Wünsche, Bindungen, Neigungen, Ängste zu erkennen, zu werten und entsprechend in das Verfahren einzubringen. Dabei dürfen Kenntnisse auf dem Gebiet der Entwicklungspsychologie nicht dazu führen, dass der Verfahrensbeistand aus seiner Rolle als Interessenvertreter fällt und einen Gutachterauftrag übernimmt. Wenn der Verfahrensbeistand Hochstrittigkeit und Zeichen von Manipulation oder Loyalitätskonflikten, ausgelöst durch Entfremdung, Herabsetzung und Bindungsintoleranz, wahrnimmt, ist genau das zu beschreiben und sachlich darzustellen. Soweit dem Verfahrensbeistand die erweiterten Aufgaben nach § 158b Abs. 2 FamFG übertragen wurden, ist es auch seine Aufgabe an einer einvernehmlichen Regelung mitzuwirken. Er hat aber nicht die Aufgabe, das Kind zu therapieren, nicht einmal es zu überzeugen. Das bleibt in der elterlichen Verantwortung.
c) Fortbildungspflicht
§ 158a Abs. 1 S. 3 FamFG schreibt alle zwei Jahre eine Fortbildung vor, die dem Gericht nur auf Verlangen nachzuweisen ist. Grund: Das Familienrecht unterliegt einer stetigen Anpassung an die sozialgesellschaftlichen Veränderungen. Auch auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur (früh-)kindlichen Entwicklung kommen stets neue Erkenntnisse hinzu. Eine regelmäßige Fortbildung ist daher für die Aufgabenerfüllung des Verfahrensbeistands unerlässlich, um die Veränderungen und Erkenntnisse in die Arbeit mit dem Kind und in seine Stellungnahme einfließen zu lassen. Eigentlich setzt sich der Verfahrensbeistand mit jedem neuen Verfahren, das er übernimmt, mit Veränderungsprozessen in der Gesellschaft auseinander und gelangt in der mündlichen Verhandlung in einen Dialog mit anderen Professionals. So wird jedes vorausgehende Verfahren in gewisser Weise auch Fortbildung für die folgenden. Unter Fortbildung sollte man auch den interdisziplinären Erfahrungsaustausch und Supervision verstehen, soweit und solange es keine zertifizierte Aus- und Fortbildung gibt. Art und Umfang der Fortbildung sind nicht festgelegt. Das heißt, die Fortbildung liegt in der Verantwortung des Verfahrensbeistands.
2. Persönliche Eignung, § 158a Abs. 2 FamFG
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21.10.20, ausführlich beraten mit Verbänden und Interessenvertretern, sah keine weiteren Anforderungen an die persönliche Eignung des Verfahrensbeistands vor. Diese betraf nur die zuverlässige und zeitnahe Erfüllung der Aufgaben und seine Integrität. Die persönliche Eignung könne sich insbesondere aus der Kenntnis des Gerichts über dessen Tätigkeit aus anderen Verfahren ergeben. Im Übrigen könne es den Verfahrensbeistand auffordern, ein aktuelles Führungszeugnis vorzulegen.
Nach Beratungen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages (BT Drucksache 19/27928 vom 24.3.21) erhielt § 158a FamFG einen zweiten Absatz, in dem die Anforderungen an die persönliche Eignung des Verfahrensbeistands festgeschrieben wurden. § 158a Abs. 2 S. 1 FamFG enthält jetzt allgemeine persönliche Eignungskriterien, die erforderlich sind, um die ihm übertragenen Aufgaben zu erfüllen und um ein Vertrauensverhältnis zwischen diesem und dem Kind aufzubauen. Der Verfahrensbeistand soll gewissenhaft, unvoreingenommen und unabhängig die Interessen des Kindes wahrnehmen. Er muss die Interessenvertretung und deren Geltendmachung im Verfahren zuverlässig, sorgfältig und zeitnah wahrnehmen. Dabei verlangt eine unabhängige Vertretung der Kindesinteressen, dass der Verfahrensbeistand sich selbst eine Meinung bildet, und zwar unbeeinflusst von den Ansichten und Interessen der Eltern oder des Jugendamts. Auch wenn ihm die erweiterten Aufgaben nach § 158b Abs. 2 FamFG übertragen wurden, ist er nur dem Kindesinteresse verpflichtet. Er ist einseitiger Parteivertreter des Kindes und nicht zur Neutralität verpflichtet. Er ist nicht allparteilich und kann auch nicht die Rolle eines Mediators übernehmen. Wollen die Eltern eine einvernehmliche Lösung, kann er diese nur unterstützen, wenn sie dem Kindeswohl am besten entspricht.
Eine unvoreingenommene Vertretung der Kindesinteressen beinhaltet die Pflicht, offen und weitestgehend unabhängig von der eigenen Meinung, Einstellungen und Erfahrung die Interessen des Kindes zu vertreten. Es versteht sich von selbst, dass der Verfahrensbeistand vorurteilsfrei dem Kind und seinen Eltern begegnen muss. Vorurteilsfrei muss er aber auch ihren Wünschen, z. B. nach der Betreuung des Kindes in einem Residenzwechsel oder Nestmodell, einer streng religiösen oder atheistischen Erziehung, einer autoritären oder antiautoritären Erziehung, einer schulmedizinischen oder alternativmedizinischen Behandlung, dem Wunsch eines Elternteils nach alleiniger oder gemeinsamer elterlicher Sorge oder nach einem Umzug, begegnen.
3. Erweitertes Führungszeugnis
Das Gericht soll sich ein erweitertes Führungszeugnis (§ 30 Abs. 5 BZRG) zur Vorlage bei Behörden vorlegen lassen, um zu prüfen, ob der Verfahrensbeistand persönlich geeignet ist. Damit dies nicht bei jeder Bestellung erfolgen muss, genügt es, dass es einmalig in das erweiterte Führungszeugnis einsieht, das Ausstellungsdatum und, dass es keine einschlägigen rechtskräftigen Vorstrafen enthält, notiert. Die Einsichtnahme ist aktenkundig zu machen, um Transparenz zu wahren. Die Einsicht ist für diejenigen nachzuweisen, die in zweiter oder dritter Instanz das Verfahren entscheiden, die Akten beiziehen, einsehen oder im Rahmen ihres Akteneinsichtsrechts danach fragen.
So ein erweitertes Führungszeugnis enthält persönliche Daten des Verfahrensbeistands, wie Geburtsdatum, Wohnsitz und dessen Geburtsname, die nicht in eine Gerichtsakte einer anderen Familie gehören. Daneben könnte es strafrechtliche Eintragungen enthalten, die nach § 158b FamFG nicht relevant sind. Der Rechtsausschuss formulierte das Gesetz daher so, dass nur die Tatsache der Einsicht und nicht eine Kopie des Führungszeugnisses zur Akte genommen werden soll. Es ist den Verfahrensbeiständen zu empfehlen, das erweitere Führungszeugnis zusammen mit einem Anschreiben, das in der Akte verbleiben kann, dem Familienrichter vorzulegen:
Musterformulierung / Vorlage erweitertes Führungszeugnis | 
Hiermit lege ich mein erweitertes Führungszeugnis, ausgestellt am …, vor. Es enthält keine Eintragungen.  | 
Das Gericht kann sich darauf das Datum der Einsichtnahme vermerken und unter Bezugnahme auf diesen Nachweis, diesen in jedem weiteren Verfahren verwenden.
4. Qualifikation
Der Verfahrensbeistand der Zukunft soll ausgebildet, zusatzqualifiziert, fortgebildet und erwiesenermaßen nicht einschlägig vorbestraft sein. Es wird sich zeigen, wie die Familienrichter in ihrer richterlichen Unabhängigkeit damit umgehen. Denn letztlich ist für Bestellung des Verfahrensbeistands die Überzeugung des jeweiligen Familienrichters entscheidend. Denn Ausbildung, Zusatzqualifikation und Fortbildung nach § 158a FamFG sind nur auf Verlangen vorzuweisen und anders als das erweiterte Führungszeugnis auch nicht aktenkundig zu machen. Natürlich kann die langjährige Arbeit für ein Gericht auch vom Vorhandensein der erforderlichen Kenntnisse überzeugen – genauso wie sie erkennen lassen kann, dass die erforderlichen Qualitäten nicht vorhanden sind. Nach wie vor muss das Gericht die Auswahl und Bestellung des Verfahrensbeistands nicht begründen, weil sie insbesondere auch nicht anfechtbar ist, § 158 Abs. 5 FamFG. Auch die fehlende Dokumentation der Einsicht in ein erweitertes Führungszeugnis bleibt wohl als Sollvorschrift folgenlos. Wie Gerichte die Eignung der Verfahrensbeistände künftig prüfen, ist noch gar nicht absehbar.
Praxistipp | I. d. R. überzeugen sich Gerichte durch einfache Aufträge von der fachlichen und persönlichen Eignung eines Verfahrensbeistands. Nach einem guten ersten Eindruck gibt es weitere Bestellungen. Ein Weiterbildungszertifikat begründet ebenso wenig einen Anspruch auf Bestellung wie eine jahrelange Tätigkeit als Verfahrensbeistand. Deshalb muss Unabhängigkeit des Verfahrensbeistands auch finanzielle Unabhängigkeit von weiteren Aufträgen bedeuten.  | 
Mit dem Gesetz zur Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder sind nicht nur die Qualifikationsanforderungen für Verfahrensbeistände formuliert worden, sondern nahezu gleichlautende Anforderungen für Familienrichter in § 23b Abs. 3 GVG, die ebenfalls am 1.1.22 in Kraft getreten sind.
AUSGABE: FK 4/2022, S. 67 · ID: 47835909