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KrankenhausplanungKrankenhaus Rating Report 2025: Genügt der Koalitionsvertrag für einen Neuanfang?
| Seit dem 01.01.2025 gilt das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). Es sieht den Abbau von Überkapazitäten und die Bildung von Schwerpunkten und Zentren zugunsten der Behandlungsqualität und Wirtschaftlichkeit vor. Die seit Mai 2025 amtierende neue Bundesregierung hat nun die Aufgabe, das unter der Vorgängerregierung beschlossene KHVVG weiter umzusetzen. Hinzu kommt die weiterhin mehr als angespannte finanzielle Lage der Krankenhäuser sowie der Krankenkassen. Ob die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen ausreichen, den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu stoppen, ist eine der zentralen Fragestellungen des Krankenhaus Rating Reports (KRR) 2025. |

Etwa jedes siebte Krankenhaus 2024 in hoher Insolvenzgefahr
Was die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser angeht, setzt sich der durch die Coronapandemie unterbrochene Abwärtstrend fort (vgl. CB 08/2024, Seite 6 ff.). Bis zum Jahr 2023 stieg die durchschnittliche Insolvenzgefahr auf 1,8 % an. Dabei befanden sich 16 % der Krankenhäuser im roten Bereich mit erhöhter Insolvenzgefahr, 21 % im gelben und 63 % im grünen Bereich. 43 % der Krankenhäuser schrieben im Jahr 2023 auf Konzernebene einen Jahresverlust (2020 nur 22 %). Das durchschnittliche Jahresergebnis fiel 2023 erstmals seit dem Jahr 2007 unter null auf -0,2 % der Erlöse (2020: 1,6 %). Die o. g. Zahlen basieren auf einer Stichprobe von 446 Jahresabschlüssen aus dem Jahr 2022 und 442 Abschlüssen aus 2023.
Eine erstmals berücksichtigte Stichprobe der Solidaris Revisions-GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft, die 124 geprüfte Jahresabschlüsse aus dem Kreis ihrer Mandanten umfasst, zeigt für das Jahr 2024 eine erneute deutliche Verschlechterung: Die Umsatzrendite sank um 1,4 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr und die EBITDA-Marge (Gewinn vor Zinsen, Steuern sowie Abschreibungen auf Sachanlagen und immaterielle Vermögensgegenstände) war im Jahr 2024 erstmals negativ (-0,7 %). Die Hälfte der 124 Krankenhäuser könnte mit ihrem freien Geldmittelbestand den Finanzbedarf von höchstens zwei Wochen decken. Benötigt werden erfahrungsgemäß freie Geldmittel für mindestens vier Wochen. Rund 14 % der Krankenhäuser befanden sich in dieser Stichprobe in hoher Insolvenzgefahr.
Steigende Personalmenge und sinkende Produktivität
Die Zahl der stationären Fälle stieg im Jahr 2023 um 2,4 %, sie lag allerdings immer noch um 11,4 % niedriger als vor der Pandemie (2019). Im Jahr 2024 stieg die stationäre Fallzahl nur um 0,8 % im Vergleich zum Vorjahr; allerdings wurden erstmals fast 300.000 Hybrid-DRG erbracht. Für stationäre Fälle und Hybrid-DRG zusammen lag der Zuwachs im Jahr 2024 ebenfalls bei 2,4 %.
Trotz des erheblichen Rückgangs der Fallzahl im Jahr 2020 lag die Zahl der Vollkräfte im Jahr 2023 um 6,3 % höher als 2019. Damit ist die Produktivität stark gesunken. Bezogen auf die Leistungsmenge wurden im Jahr 2023 fast 16 % mehr Vollkräfte eingesetzt als 2019.
So könnte sich die Lage weiterentwickeln
Die Einführung der Vorhaltefinanzierung könnte zunächst noch zu einem Anstieg der stationären Fallzahlen bis 2027 führen. Sobald die Vorhaltefinanzierung scharf geschaltet ist, sollte jedoch die Ambulantisierung von Leistungen für Krankenhäuser attraktiver werden, die stationäre Fallzahl dürfte dann sinken. Gleichzeitig würden die Hybrid-DRG an Bedeutung gewinnen, sodass die gesamte Leistungsmenge von Krankenhäusern trotzdem steigen kann.
Diese beiden Szenarien sind möglich: |
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Diese Reformen halten die Autoren für erforderlich
Ohne Reformen würden die Sozialabgaben weiterhin stark wachsen. Dies würde die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten weiter senken und dazu führen, dass Unternehmen wegen der hohen Produktionskosten aus Deutschland abwandern. Tiefgreifende Reformen sind daher erforderlich, um dies zu vermeiden:
Beispiel: Konzept der Regionalbudgets |
Einzelne Regionen werden nach Zuteilung eines festen Budgets an ihren Ergebnissen gemessen und stehen untereinander im Wettbewerb. Vorhaltebudgets könnten dahin gehend weiterentwickelt werden. Geeignete Regionen dafür sind z. B. Teile Sachsens, Thüringens und Baden-Württembergs. Dort erreichen nur wenige Krankenkassen zusammen einen hohen Marktanteil und es müssten nur wenige Partner in die Verhandlungen einbezogen werden. |
- Die Einführung eines Primärarztsystems und die Etablierung professioneller Leitstellen, unterstützt durch künstliche Intelligenz (KI) und die elektronische Patientenakte (ePA), würden dazu führen, dass weniger Leistungen im Gesundheitswesen in Anspruch genommen und Patienten effizienter auf die Basisversorgung bzw. auf Spezialisten verteilt werden. Unnötige Inanspruchnahmen müssten vermieden werden.
- Der Rettungsdienst sollte ein autonomes Leistungssegment des Sozialgesetzbuchs (SGB) V werden und ein bundesweit einheitliches Vergütungssystem erhalten. Der bereits vorliegende Gesetzentwurf zur Reform der Notfallversorgung sollte zügig in den Gesetzgebungsprozess überführt werden.Rettungsdienst sollte eigenständiges Leistungssegment im SGB V werden
- Auch die Gesundheitskompetenz der Bürger sollte gestärkt werden. Dabei könnte KI – kombiniert mit der ePA – als individualisierter Berater für jeden Menschen einen großen Beitrag leisten. Zudem wäre eine sozial abgefederte Eigenbeteiligung der Patienten an ihren Gesundheitskosten sinnvoll.
- Insgesamt ist mehr Gestaltungsfreiheit im Gesundheitswesen nötig, um die Versorgungseffizienz erhöhen zu können. Akteure vor Ort haben oft gute Ideen, wie sich die lokale Versorgung patientenorientierter gestalten, die Ambulantisierung voranbringen, Patienten durch Lotsen unterstützen oder Prävention stärker verankern ließe. Um solchen Ideen Raum zu geben, schlagen die Autoren „Innovationsräume“ vor, in denen regional begrenzt oder für spezifische Angebote bestehende Regeln ausgesetzt werden.Akteure vor Ort sollten mehr Gestaltungsspielraum erhalten
- Um die Sektorengrenze durchlässiger zu gestalten, schlagen die Autoren ein Budgetmodell für Krankheitsbilder mit hohem ambulantem Potenzial als Option für Krankenhäuser und generell eine Liberalisierung der fachärztlichen Versorgung vor: Auch Kliniken sollen die generelle Lizenz zur ambulanten Behandlung erhalten können, über deren Vergabe von neutralen Dritten entschieden würde. Auf diese Weise entstünde ein Wettbewerb zwischen den Sektoren, bei dem nicht von vorneherein klar ist, wer besser abschneiden würde.Auch Kliniken sollten Lizenz zur ambulanten Behandlung erhalten können
- Pflegefachkräfte sollten auch in Deutschland fallabschließend behandeln können. Dazu muss die Fachpflege als eigenständiger Leistungserbringer in das Sozialgesetzbuch (SGB) V aufgenommen werden. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sollte unter Beteiligung der Pflegeverbände, der gemeinsamen Selbstverwaltung und der Länder festlegen, welche Aufgaben die eigenverantwortliche Behandlung umfasst. Zudem müsste für diese Tätigkeiten ein eigenständiges Vergütungssystem entwickelt werden.
- Ein Gesundheitssicherstellungsgesetz sollte für den NATO-Bündnisfall dem Sanitätsdienst der Bundeswehr die Autorität für die Koordination der Verwundetensteuerung übertragen. Dieser muss festlegen, welches Krankenhaus im Ernstfall welche Patienten zu versorgen hat. Länder wie Israel und einige skandinavische Länder sind in der Lage, im Krisenfall die Krankenhausbehandlung in Teilen unterirdisch fortzuführen. Die Bundesregierung sollte prüfen, welche Krankenhäuser solche Vorrichtungen auch in Deutschland vorhalten könnten. Zudem sind Abwehrmechanismen gegen Cyberangriffe und Sabotageakte erforderlich.Gesundheitssicherstellungsgesetz für den NATO-Bündnisfall sinnvoll
- Der Transformationsfonds stellt 50 Mrd. Euro zur Optimierung der Krankenhausstrukturen bereit. Allerdings dauert das Bauen in Deutschland wegen zu vieler Vorschriften viel zu lange. Wenn zehn Jahre von der Entscheidung bis zur Fertigstellung eines Neubaus verstreichen, ist fraglich, ob die alten Standorte so lange überleben und wie gut die Patientenversorgung währenddessen noch sein könnte. Daher wird für den Umbau der Krankenhauslandschaft ein Beschleunigungsgesetz benötigt. Jede von einer lokalen Behörde erteilte Baugenehmigung sollte automatisch in allen Bundesländern gelten. Zumindest sollten die Länder ihre Bauordnungen harmonisieren, und ein Bauantrag sollte als genehmigt gelten, wenn er nach sechs Monaten noch nicht entschieden ist. Ferner werden Baufürsorgebeauftragte und komplett digitale Antragsprozesse benötigt. Schließlich sollten alle Bundesländer bei der Vergabe von Investitionsfördermitteln auf eine Pauschalförderung umsteigen, um Antragsbürokratie abzubauen. (Anm. d. Red.: Eine weitere Lösung wären schlüsselfertige Modulbauten; CB 09/2024, Seite 6 ff.).Bauen dauert in Deutschland zu lange
So ist der neue Koalitionsvertrag zu bewerten
Die neue Regierungskoalition will das KHVVG beibehalten und hat zur weiteren Umsetzung in ihrem Koalitionsvertrag vom April 2025 im Abschnitt „Gesundheit“ einige sinnvolle Ansätze vereinbart:
- Die Stabilisierung der Beitragssätze als oberstes Ziel der Gesundheitspolitik soll eine weitere Belastung der Erwerbstätigen und Verwerfungen, die durch die stetig älter werdende Bevölkerung entstehen, vermeiden.+ Stabilisierung der Beitragssätze
- Um die Ausgabensteigerung in der Kranken- und Pflegeversicherung zu bremsen, ist die Etablierung eines Primärarztsystems vorgesehen, ergänzt um eine Ersteinschätzung über digitale Wege. Zudem soll auch das bereits in der letzten Legislatur ausgearbeitete Gesetz zur Reform der Notfallversorgung zügig auf den Weg gebracht werden. Positiv ist auch der Ansatz, den Facharztzugang im Krankenhaus zu ermöglichen, wenn ein zeitnaher ambulanter Termin in einer Facharztpraxis nicht realisierbar ist.+ Primärarztsystem, digitale Ersteinschätzung und andere Maßnahmen
- Der Koalitionsvertrag spricht sich für die Stärkung der Kompetenzen der Gesundheitsberufe aus, also unter anderem für die Erweiterung der Kompetenzen der Pflege.
- Die Koalition plant auch den Abbau von Bürokratie. Zwar bleibt der Weg vage. Sie scheint aber die wachsende Misstrauenskultur als eine wesentliche Ursache des bisherigen Bürokratieaufwuchses erkannt zu haben. Eine neue Vertrauenskultur soll es erlauben, die vielfältigen Kontrollen von und Vorgaben an Behandlungsprozesse und Strukturen abzubauen.+ Neue Vertrauenskultur soll Bürokratieabbau erlauben
Gleichwohl lässt die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag folgende Aspekte unberücksichtigt:
Fazit | Obwohl einige der im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen begrüßenswert sind, dürften diese kaum ausreichen, um den zu erwartenden Anstieg der Sozialabgaben zu stoppen. Die größte Arbeit soll eine Expertenkommission übernehmen, die – falls sie überhaupt mutig genug sein wird, um unangenehme Wahrheiten offen auszusprechen – erst spät geeignete Maßnahmen auf den Tisch legen würde. Sollten diese danach den politischen Prozess überleben, würden sie ihre ersten sichtbaren Wirkungen wohl erst im Jahr 2030 zeigen. Die Autoren empfehlen daher, zumindest im Bereich von Gesundheit und Pflege den Koalitionsvertrag nicht als Messlatte für Erfolg, sondern bestenfalls als Mindestanforderung zur Stabilisierung der Gesundheitsversorgung im demografischen Wandel zu sehen. |
- Der Vertrag legt den Fokus stark auf die Interessen derjenigen, die nicht am Erwerbsleben teilnehmen. So dürfte der Leistungswille der Erwerbstätigen ebenso wie der erwerbsfähigen Bevölkerung kaum erhalten oder gestärkt werden können. Damit dürfte allerdings auch der Lebensstandard der nicht erwerbstätigen Bevölkerung kaum zu halten sein.- Fokus zu stark auf denen, die nicht (mehr) erwerbstätig sind
- Die Koalition hat sich zwar vorgenommen, zur Stärkung der Einnahmeseite der GKV ein höheres Beschäftigungsniveau zu erreichen. Ob dies tatsächlich gelingen kann, ist allerdings fraglich. Denn der Koalitionsvertrag schließt eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit, die ein wesentlicher Hebel für ein höheres Beschäftigungsniveau wäre, kategorisch aus. Weder soll das Renteneintrittsalter an die inzwischen höhere Lebenserwartung gekoppelt noch die Förderung von Frühverrentung beendet werden; die Ausgabendynamik der Rentenversicherung dürfte sich somit weiter erhöhen.- Fraglich, ob ohne früheres Rentenalter mehr Beschäftigung erreicht wird
- Der Gedanke der Eigenbeteiligung fehlt im Koalitionsvertrag indessen komplett. Hier hat sich die neue Regierungskoalition offensichtlich (noch) nicht getraut, den Menschen den Ernst der Lage mitzuteilen.
- Nicht zur Sprache kommt im Vertrag das Pflegebudget. Es hat sein Ziel, die Erhöhung der Anzahl der Pflegekräfte, erreicht, allerdings mit erheblichen Kollateralschäden. Nun sollte das Pflegebudget auf seinem aktuellen Niveau wieder in die DRG sowie in die neue Vorhaltefinanzierung überführt werden. Nötig wäre zudem die deutliche Stärkung der Prävention, um den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu steigern. Dabei sollte es nicht nur um Vorsorgeuntersuchungen und medizinische Check-ups gehen, sondern um lebensstilverändernde Maßnahmen (z. B. gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung). Beispielsweise könnte eine Zuckersteuer eine entsprechende Anreizwirkung entfalten.- Pflegebudget wird im Koaltitionsvertrag gar nicht erwähnt
- Die neue Koalition will innerhalb des KHVVG Ausnahmen erlauben: Die Mindestanforderungen an die Leistungsgruppen sollen vor allem gesenkt, bestehenden Fristen gestreckt werden. Dies ist bei der vorliegenden komplexen Krankenhausreform zwar verständlich, aber ein Aufweichen der Mindestanforderungen droht den Druck zur stärkeren Zentralisierung der Krankenhausstruktur zu mindern und damit deren Vorteile zu verspielen.- Vorgaben im KHVVG sollen aufgeweicht werden
- Dieser Beitrag basiert auf Augurzky, Boris et al.: Aufbruch aus dem Tal der Tränen: Krankenhaus Rating Report 2025. Ca. 250 Seiten, ISBN 978-3-98800-177-1. Der Report kann für 369 Euro (inkl. 7 Prozent MwSt.) beim Verlag medhochzwei bestellt werden (online unter iww.de/s13165).
AUSGABE: CB 8/2025, S. 3 · ID: 50460650