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CBChefärzteBrief

ArzthaftungSectio bei Risikofaktoren: Unzureichende Strukturen und Abläufe können Haftung auslösen

Abo-Inhalt20.06.20256664 Min. LesedauerVon RA, FA MedR, Dr. Rainer Hellweg, Hannover

| Sind Risikofaktoren vorhanden, die eine kontinuierliche Überwachung der Herztöne des Kindes erfordern, darf die Mutter zur Durchführung der Sectio nicht „einfach“ in den OP verlegt werden. Vielmehr müssen nach einer zwischenzeitlich veröffentlichten Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg (Urteil vom 24.04.2023, Az. 4 U 16/20) besondere organisatorische Vorkehrungen getroffen werden. Dies sollten nicht nur gynäkologische Chefärzte wissen, da strukturell Vorsorge getroffen werden und der OP-Bereich und die Abläufe entsprechend ausgestaltet sein sollten. |

Unterversorgung führt zur Zerebralparese des Neugeborenen

In dem vom OLG Bamberg entschiedenen Fall ging es um eine medizinisch indizierte sekundäre Sectio caesarea. Die Schwangerschaft der Kindesmutter war dabei unauffällig gewesen. Es handelte sich um ihre zweite Schwangerschaft – bei der Geburt zuvor musste bereits wegen Geburtsstillstand ein Kaiserschnitt vorgenommen werden. Stationär aufgenommen wurde die Kindesmutter in der SSW 41 + 4 mit ersten Wehen. Sie wurde sogleich in den Kreißsaal verlegt, wobei die Wehentätigkeit zu diesem Zeitpunkt relativ kräftig war bei 5 cm eröffnetem Muttermund.

Bei Durchführung der Amniotomie kam es zum Abgang von grünem Fruchtwasser, was sich wenig später wiederholte. Die Kindesmutter gab starke Schmerzen über der Schambeinfuge an. Das CTG zeigte Dip I sowie variable Dezelerationen. Der Muttermund war weiterhin bei 5 cm geöffnet, das Kind unverändert im Beckeneingang. In dieser Situation wurde die Patientin im OP-Bereich zur Sectio angemeldet. Nachdem das Legen einer Spinalanästhesie mehrfach fehlgeschlagen war, konnten dann wieder kindliche Herztöne festgestellt werden, die allerdings bradykard waren. Eine Notfall-Sectio wurde eingeleitet. Dabei zeigte sich eine Ruptur der vorderen Uteruswand, und zwar im Bereich der (alten) Sectionarbe. Ca. ein halber Liter Blut befand sich im Bauchraum, die Plazenta lag vollständig gelöst im Uterus. Das Neugeborene musste 10 Minuten lang reanimiert und konnte gerettet werden. Trotzdem führte die Unterversorgung zu einer Zerebralparese in Form einer Tetraspastik.

Haftungsklage erfolgreich: 350.000 Euro Schmerzensgeld

Die Patientenseite erhob daraufhin Klage. Ihr Vorwurf: Der Symptomatik mit insbesondere den abdominalen Schmerzen und der Druckempfindlichkeit des Bauches bei Unwirksamkeit von Schmerzmitteln sei nicht hinreichend Beachtung geschenkt worden, obwohl dies mögliche Anzeichen für eine Uterusruptur bzw. drohende Uterusruptur gewesen seien. Außerdem seien die Vorbereitungen für die Sectio im OP ungenügend gewesen. Die CTG-Überwachung hätte kontinuierlich vorgenommen werden müssen, was aber über eine halbe Stunde unterblieben sei. Gefordert im Rahmen der Klage wurden ein Schmerzensgeld von mindestens 250.000 Euro sowie eine monatliche Schmerzensgeldrente von ca. 500 Euro. Die Behandlerseite verteidigte sich mit dem Argument, die Uterusruptur habe man nicht vorhersehen können, zudem sei diese allenfalls zu einem späten Geburtszeitpunkt eingetreten. Das OLG Bamberg als Berufungsinstanz gab der Klage statt und sprach den Klägern ein Schmerzensgeld in Höhe von 350.000 Euro sowie eine Schmerzensgeldrente von 300 Euro monatlich zu.

Merke | Noch in erster Instanz hatte die Behandlerseite obsiegt. Zwar sei es behandlungsfehlerhaft gewesen, die Vitalparameter des Kindes über eine halbe Stunde nicht zu kontrollieren, aber die Kausalität für den Gesundheitsschaden sei nicht nachgewiesen Es sei unklar, welches Ergebnis eine fehlerfreie Kontrolle der kindlichen Herztöne per CTG gebracht hätte – so die Sichtweise des Gerichts (Landgericht Bamberg, Urteil vom 16.12.2019, Az. 2 O 239/09).

Darum sah das OLG einen Schmerzensgeldanspruch

Die Richter kamen nach Durchspielen verschiedener Ursachenvarianten zu dem Ergebnis, dass sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bei fehlerfreier Vitalparameterkontrolle ein reaktionspflichtiger Befund gezeigt hätte. Es sei ein Behandlungsfehler in Form eines Befunderhebungsfehlers zu bejahen. Dies habe zu der Uterusruptur mit Plazentalösung sowie der vorgeburtlich eingetretenen Schädigung bei schwerer perinataler Asphyxie geführt. Hierzu hatte der vom OLG beauftragte ärztliche Gutachter hervorgehoben, dass in den letzten 20 Minuten vor der festgestellten kindlichen Bradykardie ein deutlich pathologisches CTG fiktiv angenommen werden könne – eine Uterusruptur bei Zustand nach vorangegangener Sectio sei meist kein völlig abruptes, sondern ein sich entwickelndes Ereignis.

Vor allem legte das OLG Bamberg den Finger in die Wunde, was die CTG-Überwachungslücke bei Verlegung der Mutter vom Kreißsaal in den OP-Bereich angeht. Die Forderung der Richter: Es hätte durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden müssen, dass entweder die Sectio unmittelbar nach dem Eintreffen der Mutter durchgeführt oder die Überwachung des Kindes im Operationsbereich fortgesetzt worden wäre. Die CTG-Überwachungslücke von 35 Minuten sei in der Behandlungssituation jedenfalls zu lang gewesen.

Dabei verkannte das Gericht nicht, dass eine durchgehende Überwachung mittels CTG nicht möglich gewesen sei, da eine Gebärende bei Einleitung der Spinalanästhesie sitzen müsse. Allerdings hätten punktuelle Kontrollen der kindlichen Herztöne erfolgen müssen. Dies sei geboten gewesen aufgrund der zu diesem Zeitpunkt im dortigen Behandlungsfall vorliegenden Risikofaktoren, und zwar Zustand nach vorangegangener Sectio, auffällige CTGs, Schmerzäußerungen durch die Mutter.

Praxistipp | Bei Verlegung einer Gebärenden in den OP-Bereich zur Durchführung einer Sectio sollte die Sectio entweder sofort erfolgen oder die CTG-Überwachung des Kindes fortgesetzt werden, zumindest wenn Risikofaktoren im konkreten Behandlungsfall hierzu Anlass geben. Dafür sollten die organisatorischen Abläufe sichergestellt und die apparative Ausstattung vorbereitet sein.

AUSGABE: CB 8/2025, S. 18 · ID: 50443638

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