Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Aug. 2025 abgeschlossen.
GebührenrechtGOÄ: Potenziale und Grenzen innovativer Analogabrechnung
| Die GOÄ enthält zwar rund 2.400 Gebührenordnungspositionen, gleichwohl werden damit nicht alle denkbaren ärztlichen Leistungen abgedeckt. Das liegt bekanntlich am Alter der GOÄ. Ihre letzte vollständige Überarbeitung stammt aus dem Jahr 1982. Das Spannungsverhältnis zwischen der Statik ihres Gebührenkatalogs und der laufenden Fortentwicklung der Medizin löst die GOÄ über die sogenannte Analogabrechnung. Mit ihr kann eine ärztliche Leistung, die in der GOÄ nicht enthalten ist, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden (§ 6 Abs. 2 GOÄ). Welche Kreativität dabei möglich ist, zeigt ein jüngst vom Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschiedener Fall. Das Urteil ist rechtskräftig (Urteil vom 04.02.2025, Az. 26 U 116/24). |
Uniklinik berechnet Nr. 5855 GOÄ zweimal und oberhalb des Regelsatzes ...
Ein Universitätsklinikum behandelte ein CUP-Syndrom (= Cancer of Unknown Primary, Krebserkrankung mit unbekanntem Primärtumor) im Bereich der Ohrspeicheldrüse mit sechs ambulanten Bestrahlungen in Form einer sogenannten Protonenstrahlentherapie. Im Gegensatz zur herkömmlichen Strahlentherapie mit Röntgen- bzw. Gammastrahlen arbeitet die Protonenstrahlentherapie mit hoch beschleunigten, geladenen Atomkernen. Wegen der damit verbundenen hohen Präzision können auch relativ strahlenunsensible Tumore in besonders sensiblen Körperregionen mit ausreichend hoher Dosis behandelt werden.
Das Klinikum rechnete jede Bestrahlung analog nach der Nr. 5855 GOÄ (Intraoperative Strahlenbehandlung mit Elektronen, kurz IORT; bewertet mit 6.900 Punkten, das entspricht beim Regelsatz [1,8-fach] 723,93 Euro) ab, setzte dabei aber diese Position nicht nur einmal, sondern zweimal pro Bestrahlung an und ging zudem jeweils über den 1,8-fachen Satz, den sogenannten Regelsatz, hinaus. Die Patientin wandte sich zwar nicht gegen die Analogabrechnung als solche, jedoch gegen den doppelten Ansatz pro Bestrahlung sowie gegen die Überschreitung des Regelsatzes.
... und setzt sich damit vor Gericht durch!
Das Universitätsklinikum setzte sich in beiden Punkten vor Gericht durch. Die doppelte Analogabrechnung der Nr. 5855 GOÄ pro Fraktion sei, so das Gericht, unter Berücksichtigung des deutlich erhöhten Aufwands, der mit der durchgeführten Behandlung verbunden war, gerechtfertigt. Dazu stützte sich das Gericht auf das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen und seine ergänzende mündliche Anhörung im Verhandlungstermin. Im Vergleich zu der unter der Nr. 5855 GOÄ beschriebenen IORT erfordere die Protonenstrahlentherapie einen vielfachen
- zeitlichen,
- personellen,
- materiellen und
- finanziellen Aufwand.
Der Sachverständige stellte dafür nicht nur auf die Anschaffungskosten für das Gerät ab, die in etwa um den Faktor 10 bis 20 höher lägen. Auch die Personal- und Unterhaltungskosten seien bei der Protonenstrahlentherapie etwa um den Faktor von 5 bis 10 erhöht. Beispielsweise müssten bei der Protonenstrahlentherapie regelmäßig zwei Ingenieure im Umfang „24/7“ anwesend sei, um das Gerät funktionsfähig zu erhalten. Zudem dauere auch der eigentliche Bestrahlungsvorgang bei der Protonenstrahlentherapie deutlich länger als bei der IORT.
Das Gericht konnte sich für seine Entscheidung auch auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) stützen, das die doppelte Abrechnung einer Gebührenposition zur Schließung einer Regelungslücke für zulässig gehalten hatte, wenn die vorgenommenen ärztlichen Leistungen ihrer Art nach den zwei- bis vierfachen zeitlichen Aufwand verlange (BGH, Urteil vom 15.05.2004, Az. III ZR 344/03).
Darüber hinaus hielt das Gericht auch die Überschreitung des Regelsatzes für gerechtfertigt. An diesem Punkt ist die Entscheidung allerdings mit Vorsicht zu lesen, denn der Sachverständige hatte die Abrechnung nur innerhalb des Gebührenrahmens von 1,0 bis 1,8 gesehen. Das Gericht gab gleichwohl dem Klinikum recht und verwies dazu nicht nur auf den vom Sachverständigen dargestellten erheblichen Aufwand der Protonenstrahlentherapie, sondern auch darauf, dass die beklagte Patientin vorprozessual einen 2,3-fachen Steigerungssatz akzeptiert hatte (freilich unter der Prämisse einer nur einmaligen Abrechnung der GOÄ-Ziffer 5855). An diesem Punkt hätte der Rechtsstreit also möglicherweise anders verlaufen können, wenn es im Vorfeld keine Akzeptanz gegeben hätte.
Fazit | Das Urteil, dass sich auf die zurzeit noch geltende GOÄ bezieht, bestätigt in erfreulicher Weise, dass sich mit der „veralteten“ GOÄ auskömmliche Vergütungen erzielen lassen, wenn zum erhöhten Aufwand einer Therapie faktenbasiert argumentiert wird. Auch im neuen GOÄ-Entwurf (GOÄ-E) soll die Möglichkeit der Analogabrechnung erhalten bleiben (CB 07/2025, Seite 3 ff.). Allerdings enthält die GOÄ-E mit der Nr. 13633 eine Abrechnungsposition für die im Urteil streitgegenständliche Protonentherapie. Hier wäre dann eine Analogabrechnung nicht mehr erforderlich. Ob für andere Leistungen künftig von der Analogabrechnung Gebrauch gemacht werden muss, hängt von dem neuen Leistungskatalog und dessen Aktualität ab. Da allerdings noch unklar ist, ob die GOÄ-E, so umgesetzt wird, wie sie der Deutsche Ärztetag beschlossen hat bzw. wann sie in Kraft tritt, sind hierzu noch keine klaren Aussagen möglich. |
- BGH klärt Fragen zur Analogabrechnung einer selbstständigen Leistung nach GOÄ (Abruf-Nr. 47967553)
- Die CB-Sonderausgabe „Mehr Honorar durch Faktorsteigerung“, können Sie als PDF unter Abruf-Nr. 48259176 herunterladen
AUSGABE: CB 8/2025, S. 12 · ID: 50458187