Vertragsarztrecht
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ArzthaftungRisiken der Behandlung müssen im Aufklärungsgespräch mündlich genannt werden
| Eine wirksame Einwilligung des Patienten in den ärztlichen Eingriff setzt ein Aufklärungsgespräch voraus. Dabei genügt die Aufklärung „im Großen und Ganzen“ (CB 03/2024, Seite 10 f.). Gleichwohl müssen die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und Gefahren mündlich benannt werden. Lediglich ergänzend, kann (muss aber nicht) auf Informationen in Textform Bezug genommen werden. Das heißt, der Text darf nur als Gedächtnisstütze, der bildlichen Darstellung zur Verbesserung des Verständnisses des mündlich Erläuterten und der Vermittlung vertiefender Informationen dienen, die hilfreich, für das Verständnis der Risiken aber nicht unbedingt notwendig sind. Jedenfalls der für die selbstbestimmte Entscheidung notwendige Inhalt mündlich mitgeteilt werden (Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 05.11.2024, Az. VI ZR 188/23). Das Urteil betrifft Ärzte im Krankenhaus und Niedergelassene gleichermaßen. |
Patient klagt gegen fehlerhafte Aufklärung und obsiegt
Der beklagte Arzt betreibt eine unfallchirurgische Praxis und stellte beim Kläger die Indikation für eine Arthroskopie am rechten Sprunggelenk zur Entfernung freier Gelenkkörper. Im Rahmen der Arthroskopie wurden 14 freie Gelenkkörper, in einer sich anschließenden weiteren Operation wurden 17 weitere freie Gelenkkörper entfernt. Bereits vor der zweiten Operation klagte der Kläger über Missempfindungen bei Berührungen des Fußrückens und zunehmende Schmerzen im rechten Fuß. Eine neurologische Abklärung ergab ein Neurom im Bereich des Fußrückens an der Einstichstelle des Arthroskops sowie eine Hyperalgesie im Bereich des Innervationsgebietes des Nervus peroneus superficialis. Es wurde festgestellt, dass es im Rahmen der Arthroskopie intraoperativ zu einer Nervenschädigung gekommen war.
Der Kläger machte geltend, er sei nicht über die Behandlungsalternativen sowie das Risiko der Arthroskopie, insbesondere über das Risiko der Nervenschädigung, aufgeklärt worden. Auch habe der Arzt ihn fehlerhaft nicht darauf hingewiesen, dass die Operation nur relative Erfolgschancen biete und möglicherweise nicht alle Gelenkkörper entfernt werden könnten.
Im persönlichen Aufklärungsgespräch vor dem Eingriff wurde weder über Risiken noch über Komplikationen des Eingriffs gesprochen, sondern lediglich über die Möglichkeit einer ambulanten oder stationären Entfernung der Gelenkkörper. Lediglich der dem Kläger ausgehändigte Aufklärungsbogen enthielt den Hinweis, dass im Allgemeinen Verletzungen von Nerven nur selten bis sehr selten vorkämen.
Der BGH verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Die Vorinstanz hatte sich noch auf hypothetische Einwilligung berufen Merke | Die beiden Vorinstanzen (Landgericht [LG] Darmstadt, Urteil vom 16.05.2022, Az. 27 O 275/19 und Oberlandesgericht [OLG] Frankfurt, Urteil vom 25.03.2023, Az. 22 U 141/22) hatten noch zugunsten des beklagten Arztes entschieden. Das OLG Frankfurt sah die Aufklärung nicht als fehlerhaft an, da der Arzt sich auf den Grundsatz der „hypothetischen Einwilligung“ (vgl. CB 04/2022, Seite 9 ff.) habe berufen können. |
Der BGH stützt sich auf § 630e Abs. 2 BGB ...
Der BGH stellte in seinen Entscheidungsgründen fest, dass die Informationen im schriftlichen Aufklärungsbogen inhaltlich den an die Aufklärung zu stellenden Anforderungen genügten, doch hätte das Risiko einer Nervenschädigung und ihre Auswirkungen im Aufklärungsgespräch ausdrücklich benannt werden müssen. Das Gericht stützt sich dabei auf den Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 630e Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Demnach habe die Aufklärung mündlich zu erfolgen. Lediglich ergänzend könne auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält. Zum Zwecke der Aufklärung bedürfe es grundsätzlich eines vertrauensvollen persönlichen Gesprächs zwischen Arzt und Patient, in dem der Patienten die Möglichkeit erhält, gegebenenfalls Rückfragen zu stellen. Dies auch, wenn dem Patienten zuvor ein Aufklärungsbogen zum Selbststudium überlassen worden sei.
... und ergänzt seine bisherige Rechtsprechung!
Insofern ergänzt der BGH seine bisherige Rechtsprechung, nach der für eine ordnungsgemäße Aufklärung eine Kombination aus Aufklärungsbogen und persönlichem Gespräch ausreichend sei, und stellt klar, dass letztendlich das persönliche Gespräch für die Aufklärung entscheidend ist.
Auch das verwendete Kommunikationsmittel muss ordnungsgemäß sein Praxistipp | Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Aufklärung ist nicht nur deren Inhalt, sondern auch das dabei verwendete Mittel der Kommunikation. Der Patient muss grundsätzlich mündlich in einem persönlichen und vertrauensvollen Gespräch mit dem behandelnden Arzt aufgeklärt werden. Lediglich ergänzend und nur zur Wiederholung des mündlich Erläuterten kann auf Informations- und Aufklärungsbögen Bezug genommen werden. Diese können ein mündliches Gespräch nicht – auch nicht in Kombination mit diesem – ersetzen. |
- Der Aufklärungsbogen ist kein Vollbeweis für eine hinreichende Aufklärung des Patienten (CB 01/2025)
- Gericht gibt Arztseite Recht: Patientenaufklärung „im Großen und Ganzen“ genügt (CB 03/2024, Seite 10 f.)
- Rechtssichere Aufklärung und Einwilligung – worüber und wie ist der Patient aufzuklären? (CB 07/2023, Seite 10 ff.)
- Neuere Gerichtsurteile zur Patientenaufklärung – was Chefärztinnen und Chefärzte wissen sollten (CB 03/2023, Seite 5 ff.)
- Aufklärungsbogen nur ein Indiz im Arzthaftungsprozess! (CB 09/2022, Seite 10 f.)
- Aufklärungsbogen allein reicht nicht zum Nachweis einer ausreichenden Patientenaufklärung (CB 11/2019, Seite 2)
AUSGABE: CB 4/2025, S. 8 · ID: 50324294