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Arbeitsorganisation„Unsere Vorschläge zur Entbürokratisierung sind konkret und umsetzbar!“
| Prof. Dr. Henriette Neumeyer ist Leiterin des 2022 entstandenen Geschäftsbereichs „Krankenhauspersonal und Politik“ der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und stellvertretende DKG-Vorstandsvorsitzende. Dr. Lisa Brandl ist Referentin im Bereich „Krankenhauspersonal und Politik“ und zuständig für die Arbeitsgruppe Bürokratieabbau. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte die beiden approbierten Ärztinnen nach Wegen aus der Bürokratiefalle. |
Frage: Die DKG hat 55 Vorschläge zum Abbau von Bürokratie unterbreitet. Wo könnten Überschneidungen bei den Vorgaben des Medizinischen Dienstes (MD) wegfallen?
Dr. Brandl: Allein die Richtlinie zur Einhaltung von Strukturmerkmalen von OPS-Codes (StrOPS-Richtlinie) hat insgesamt 497 Seiten. Zusätzlich gibt es weitere Vorgaben, etwa in den Qualitätskontroll-Richtlinien des G-BA und den daraus abgeleiteten MD-Prüfungen. Und der MD führt noch Abrechnungsprüfungen durch. Ein Beispiel: Um den OPS-Code zur aufwendigen intensivmedizinischen Komplexbehandlung (8–98f) abrechnen zu dürfen, muss nachgewiesen werden, dass 24 Stunden am Tag eine radiologische Untersuchung mittels CT und MRT zur Verfügung steht. Dazu braucht es einerseits eine Inventarliste und anderseits detaillierte Angaben zu ärztlichem und nicht ärztlichem Personal, z. B. Dienstpläne und Qualifikationsnachweise. Selbstverständliches muss nachgewiesen werden. Auch wenn verschiedene Richtlinien die gleiche Anforderung vorschreiben, muss immer wieder nachgewiesen werden. Wir brauchen ein gemeinsames Portal, bei dem die Nachweise nur einmal hochgeladen werden müssten.
Frage: Gibt es Vorgaben, die Ihrer Ansicht nach gänzlich wegfallen könnten?
Prof. Dr. Neumeyer: Um auszumisten, müsste man z. B. die StrOPS-Anforderungen, die Qualitätsrichtlinien des G-BA und weitere Verordnungen, etwa zum vorgehaltenen medizinischen Personal, einzeln durchgehen und Prüfrichtlinien, die sich widersprechen oder über ergänzen, streichen. Viele Anforderungen haben mit der medizinischen Qualität nichts zu tun. Doch sie vermehren sich wie in einem Schattenreich, weil neue Anforderungen hinzukommen und alte nicht hinterfragt werden. Es ist ein Bürokratie-Nirvana und spricht letztlich die Sprache eines großen Misstrauens gegen die Fachkräfte.
Dr. Brandl: Innerhalb der StrOPS-Richtlinie sollte beispielsweise die Nachweispflicht für nicht unmittelbar erforderliche Unterlagen wie Arbeitsverträge, Arbeitszeugnisse und Dienstpläne entfallen. Auch dass ein Krankenhaus bereits drei Monate im Voraus sämtliche geforderten Strukturmerkmale einhalten und das bei Antragstellung nachweisen muss, erschließt sich nicht und erzeugt unnötigen Aufwand und Kosten. Dazu braucht es eine Änderung im § 275d SGB V.
Frage: Ein zweiter von Ihnen genannter Punkt sind die Anträge zu Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB). Wo ließe sich Bürokratie abbauen?
Dr. Brandl: Ursprünglich sollten NUB-Leistungen schnell ins System der DRG-Fallpauschalen integriert werden – gut, um sachgerecht zu vergüten. Doch das dauert oft länger als ursprünglich angedacht: Viele Leistungen werden nicht oder erst verzögert in die Regelfinanzierung übernommen.
Prof. Dr. Neumeyer: Aus dem sinnvollen Prozess, Innovationen geordnet ins DRG-System zu integrieren, wurde ein nicht mehr nachvollziehbarer bürokratischer Aufwand. Unser Lösungsvorschlag ist, die gesetzliche Pflicht, NUB jährlich wiederkehrend von jedem Krankenhaus einzeln beim InEK zu beantragen, abzuschaffen. Man könnte Krankenhäuser auch in die Lage versetzen, NUB gemeinsam zu beantragen, denn die wissenschaftliche Begründung ähnelt sich. Gut wäre, wenn das InEK als Verwalter des Verfahrens zur zentralen Informationsstelle würde. Auch die Fachgesellschaften, die Leitlinien zu neuen Verfahren entwickeln, könnten zur Informationsbeschaffung beitragen. Eine NUB einmal zu beantragen, ist für Ärztinnen und Ärzte spannend. Doch die Redundanz macht keinen Spaß.
Frage: Frau Prof. Dr. Neumeyer, Sie waren auch als Strategieberaterin für Digital Health tätig. Wie kann die Digitalisierung helfen, Bürokratie abzubauen?
Prof. Dr. Neumeyer: Zurzeit ist sie kein Lösungsszenario. Stattdessen erleben wir einen digitalen Rebound. Statt uns zu fragen, warum wir Daten eigentlich anfordern, fügen wir händisch in unterschiedlichen Meldestrukturen mit verschiedenen Schnittstellen und Meldewegen immer die gleichen Daten ein. So ist ein digitaler Schutzschild entstanden, hinter dem sich eine schlecht organisierte Bürokratie versteckt. Wir müssen also zunächst einen Schritt zurückgehen: Meldungen müssen erst standardisiert und vereinfacht werden, bevor wir die digitalen Prozesse optimieren.
Frage: Die DKG hat 55 Vorschläge gemacht. Was muss passieren, damit sie in die Tat umgesetzt werden?
Dr. Brandl: Beim Bürokratieentlastungsgesetz IV ist das Bundesjustizministerium federführend. Das Bundesgesundheitsministerium hat sich daran nicht beteiligt, weil es schon Ende 2023 ein eigenes Gesetz vorlegen wollte. Davon sehen wir leider noch immer nichts.
Prof. Dr. Neumeyer: Statt Bürokratie abzubauen, kommt durch neue Gesetze sogar neue Bürokratie hinzu. Beispiel Medizinforschungsgesetz: Der Bundesgesundheitsminister will von den Fachärzten in den Krankenhäusern die minutengenaue Dokumentation und Zuordnung von ärztlichen Leistungen zu jeder Leistungsgruppe. Wenn wir das nicht stoppen, wird es ein immenser Bürokratieauswuchs. Langfristig muss gelten, dass neue Anforderungen ein Verfallsdatum bekommen, wenn sie sich erübrigt haben.
Frau Prof. Dr. Neumeyer, Frau Dr. Brandl, vielen Dank!
AUSGABE: CB 9/2024, S. 4 · ID: 50132729