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DRG-AbrechnungVerstoß gegen G-BA-Qualitätsvorgaben führt nicht automatisch zum Wegfall der Vergütung
| Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat für zugelassene Krankenhäuser Richtlinien zur Qualitätssicherung erlassen. Krankenhäuser, die nach Prüfung durch den Medizinischen Dienst (MD) diese Richtlinien nicht erfüllen, müssen mit Vergütungsausfall bzw. mit einer Rückforderung bereits gezahlter Vergütung rechnen (vgl. CB 07/2023, Seite 2 ff.). Nach Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) Sachsen-Anhalt bewirkt eine teilweise Nichterfüllung der G-BA-Qualitätsvorgaben diesbezüglich aber keinen Automatismus (Urteil vom 12.10.2023, Az. L 6 KR 75/21). Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da die beklagte Krankenkasse Revision zum Bundessozialgericht (BSG) eingelegt hat (Az. B 1 RR 30/23 R). |
Krankenkasse fordert Vergütung wegen Nichteinhaltung der strukturellen Vorgaben zurück
Ein Krankenhaus und eine Krankenkasse stritten um die Vergütung einer stationären Behandlung. Strittig war, ob der Vergütungsanspruch vollständig ausgeschlossen ist, weil das Krankenhaus die Anforderungen der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu minimalinvasiven Herzklappeninterventionen (MHI-RL) teilweise nicht eingehalten hatte.
Das Krankenhaus hatte eine damals bei der Krankenkasse gesetzlich versicherte Patientin im Zeitraum vom 11. bis 18.01.2016 stationär behandelt. Bei einer Selbstbeteiligung der Patienten von 80 Euro hatte das Krankenhaus gegenüber der Krankenkasse insgesamt 33.150,72 Euro abgerechnet.
Rahmendaten zur Abrechnung laut Entlassungsbericht vom 18.01.2016 | |
Geplante Behandlung | Stationäre Aufnahme der Patientin zur geplanten MitraClip-Implantation bei hochgradiger funktioneller Mitralklappeninsuffizienz bei konsekutiver pulmonaler Hypertonie und deutlicher Rechts-Herz-Belastung. Der Eingriff wurde am 13.01.2016 durchgeführt. |
Berechnungsgrundlage | Hauptdiagnose I 34.O (Mitralklappeninsuffizienz sowie u. a. OPS 5-35a.41 (Mitralklappen-Konstruktion transvenös inklusive transvenöse Clip-Rekonstruktion) |
Berechnete Leistung | DRG F98C (komplexe minimalinvasive Operationen an Herzklappen ohne minimalinvasiven Eingriff an mehreren Herzklappen, ohne hochkomplexen Eingriff, ohne komplexe Diagnose, Alter > als 15 Jahre, ohne sehr komplexen Eingriff) |
Behandlungskosten | 33.230,73 Euro (abzgl. 80 Euro Selbstbeteiligung) |
Die Krankenkasse hatte zunächst gezahlt, dann aber am 31.01.2017 die Vergütung von 33.230,72 Euro (inkl. Selbstbeteiligung der Patientin) zurückgefordert. Aufgrund einer Prüfung des MD sei festgestellt worden, dass in dem Krankenhaus vom 25.07.2015 bis zum 24.03.2016 die nach der MHI-RL nötigen strukturellen Voraussetzungen zur Leistungserbringung nicht erfüllt gewesen seien.
Zum Behandlungszeitpunkt habe das Krankenhaus nicht die Voraussetzungen von § 5 Abs. 10 MHI-RL erfüllt. Danach sei in Krankenhäusern mit einer Fachabteilung für Herzchirurgie eine herzchirurgische Versorgung durch permanente Präsenz eines Operationsteams sicherzustellen. Dabei müsse der Operationsdienst über herzchirurgische Erfahrungen verfügen. Die Nichteinhaltung der Vorgaben einer Qualitätssicherungs-Richtlinie habe nach ständiger Rechtsprechung des BSG einen vollständigen Vergütungsverlust zur Folge (BSG, Urteil vom 01.07.2014, Az. B 1 KR 15/13 R, CB 09/2014, Seite 1; Abruf-Nr. 42854514).
Klage des Krankenhauses hat in zweiter Instanz Erfolg
Da das Krankenhaus die Rückzahlung ablehnte, verrechnete die Krankenkasse den Betrag mit unstrittigen Forderungen des Krankenhauses aus anderen Behandlungsfällen. Gegen diese Aufrechnung erhob das Krankenhaus Klage. Während das Krankenhaus in der ersten Instanz unterlag (Sozialgericht [SG] Halle/Saale, Urteil vom 13.07.2021, Az. S 8 KR 7943/19), hatte die Berufung beim LSG Sachsen-Anhalt Erfolg.
Zur Begründung der Berufung berief sich das Krankenhaus auf Argumente in der Sache und auf juristische Argumente.
So argumentierte das Krankenhaus in der Sache
Das Krankenhaus war der Auffassung, die Vorgaben der MHI-RL seien seit deren Inkrafttreten am 25.07.2015 erfüllt gewesen:
- Beanstandet worden sei vom MD eine fehlende permanente Präsenz des Bereitschaftspersonals im OP-Dienst der Herzchirurgie. Dabei sei es im Prüfzeitraum von August 2015 bis zum 03.02.2016 lediglich um Einzeltage gegangen, an denen statt eines Bereitschaftsdienstes lediglich ein Rufdienst eingeplant gewesen sei.
- Im Rahmen des Prüfverfahrens habe das Krankenhaus den MD darauf hingewiesen, dass in den exemplarisch bereitgestellten Dienstplänen für August und September 2015 an den Wochenenden jeweils zwei Mitarbeiter der Herzchirurgie im OP-Bereitschaftsdienst ausgewiesen seien und dass es sich – unabhängig von einer möglicherweise fehlerhaften Bezeichnung der Dienstart – um Bereitschaftsdienst im engeren Sinne gehandelt habe.
- Gleichwohl sei in der Folge der MD-Prüfung im Hinblick auf die Auslegung der MHI-RL der Zentral-OP reorganisiert worden. Dadurch sei der bis dahin vorhandene Bereitschaftsdienst der Herzchirurgie durch einen Hausdienst, also einen Bereitschaftsdienst mit Anwesenheit im Klinikum und einem zusätzlichen – sogenannten – Rufbereitschaftsdienst besetzt gewesen.
- Tatsächlich habe aber jederzeit ein OP-Team zur Verfügung gestanden, wobei allein 10 Mitarbeiter des OP-Dienstes im Zentral-OP und weitere 12 Mitarbeiter der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin mit Erfahrung in der Herzchirurgie ausgewiesen gewesen seien.
Außerdem könne ein Wegfall der Vergütung nur denjenigen Bestandteil betreffen, auf den sich die Vorgaben der MHI-RL bezögen. Selbst wenn OPS 5-35a.41 gestrichen werde, sei immer noch die übrige stationäre Versorgung der Versicherten zu vergüten, deren Abrechnung die beklagte Krankenkasse weder im Rahmen der Einzelfallprüfung noch anderweitig beanstandet hätte. Entsprechend seien jedenfalls die Kosten eines fiktiven offenen chirurgischen Eingriffs nach der DRG F03F zu erstatten.
Merke | Im Berufungsverfahren hatte das Krankenhaus auch die Kosten eines solchen fiktiven offenen Eingriffs nach der DRG F30F geltend gemacht. Es hatte hilfsweise beantragt, die Krankenkasse zu verurteilen, anstelle des üblichen Rechnungsbetrags zumindest 15.642,18 Euro nebst Zinsen zu zahlen. |
So argumentierte das Krankenhaus in juristischer Hinsicht
In juristischer Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass die vonseiten des SG Halle zitierte BSG-Rechtsprechung inzwischen obsolet sei. Die alte Ermächtigungsgrundlage des § 137 Abs. 1 Satz 2 SGB V hatte den G-BA berechtigt, in Qualitätssicherungs-Richtlinien als Sanktion den Wegfall des Vergütungsanspruchs vorzusehen. Mit Wirkung zum 01.01.2016 sei für die Missachtung von Qualitätsanforderungen in § 137 Abs. 1 SGB V ein gestuftes Sanktionssystem vorgesehen. Dabei eröffne § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB V das vollständige Entfallen des Vergütungsanspruchs nur dann, wenn dies in der jeweiligen Qualitätssicherungs-Richtlinie des G-BA ausdrücklich vorgesehen sei. Darüber hinaus müsse die Sanktionierung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Dies sei nicht denkbar sei, wenn jeder Verstoß einen vollständigen Vergütungsausschluss nach sich ziehe.
So begründete das LSG seine Entscheidung
Das LSG Sachsen-Anhalt stellte zur Begründung zunächst fest, dass § 137 Abs. 1 SGB V in der ab dem 01.01.2016 gültigen Fassung einem Automatismus zwischen Nichterfüllung von Anforderungen aus Qualitätssicherungs-Richtlinien und vollständigem Vergütungsausschluss entgegenstehen würde. Nach dieser Vorschrift könne der G-BA im Rahmen eines gestuften Sanktionssystems auch einen Wegfall des Vergütungsanspruchs vorsehen, er müsse dies aber nicht. Zudem sei der Wegfall des Vergütungsanspruchs auch nur eine Möglichkeit von vielen.
Was Mindestvorgabe ist, bestimmen allein die G-BA-Richtlinien
Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Qualitätssicherungs-Richtlinien sei § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Nach Auffassung des LSG Sachsen-Anhalt obliegt es der Regelungskompetenz des G-BA, ob er jede in einer Qualitätssicherungs-Richtlinie enthaltene Vorgabe als Mindestanforderung einstuft und deren Nichterfüllung mit Vergütungswegfall sanktioniert, dies unterlässt oder weitere Differenzierungen vornimmt. Dies ergebe sich aus den §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 2 Abs. 5 Satz 1 der Qualitätsförderungs- und Durchsetzungsrichtlinie des G-BA (QFD-RL). Demnach sei die Festlegung der Voraussetzung eines Wegfalls des Vergütungsanspruchs den einzelnen themenspezifischen Richtlinien vorbehalten. Das habe seine Grundlage in § 137 Abs. 1 Satz 6 SGB V. Deshalb werde dort nicht bestimmt, was unter einer Mindestanforderung im Einzelnen zu verstehen sei. Diese Festlegungen und weiteren Konkretisierungen seien vielmehr den jeweiligen Einzelrichtlinien vorbehalten.
Der Wegfall der Vergütung muss durch eine G-BA-Richtlinie geregelt sein
Das LSG weist dann weiterhin in seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass ein vollständiger Wegfall des Vergütungsanspruchs als schärfstes Sanktionsmittel nur dann eine Folge einer Nichterfüllung von Mindestanforderungen sein kann, wenn dies die jeweils einschlägige Einzelrichtlinie des G-BA (hier die MHI-RL) unter speziell geregelten und im betreffenden Einzelfall erfüllten Voraussetzungen themenspezifisch vorsehe. Etwas anderes gelte nur, wenn das Gesetz einen Vergütungswegfall wie bspw. in § 136b Abs. 5 Satz 2 SGB V hinsichtlich eines Verstoßes gegen Mindestmengenregelungen selbst ausdrücklich vorgäbe. Weder in der MHI-RL noch in der Qualitätssicherungs-Richtlinie zum Bauchaortenaneurysma, der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene oder aber der Richtlinie zur Kinderherzchirurgie sei ein Wegfall des Vergütungsanspruchs vorgesehen. Daher sei die Klage des Krankenhauses begründet.
Einordnung der Entscheidung: Klage gegen Wegfall der Vergütung und sogar Berufung können sich lohnen!
Das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt ist von grundsätzlicher Bedeutung, weil es auch auf andere Qualitätssicherungs-Richtlinien übertragbar ist, worauf in den Entscheidungsgründen ausdrücklich hingewiesen wird.
Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Noch führt nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG jede noch so kleine Nichtbeachtung von Vorgaben in Qualitätssicherungs-Richtlinien zum vollständigen Vergütungsverlust. Allerdings wird das höchste deutsche Sozialgericht an seiner bisherigen Auffassung kaum festhalten können. Denn zwischenzeitlich ist die Grundlage für diese Rechtsprechung in § 137 Abs. 1 SGB V geändert worden. Die Vorschrift des § 137 Abs. 1 SGB V verlangt seit dem 01.01.2016 ein abgestuftes Sanktionssystem, wenn Vorgaben einer Qualitätssicherungs-Richtlinie nicht eingehalten werden, die teilweise beschrieben werden. Die Sanktionen müssen zudem verhältnismäßig und angemessen sein. Damit ist eine Rechtsprechung, wonach es immer zum vollständigen Vergütungsverlust kommt, nicht vereinbar.
Insbesondere im Bereich der Qualitätssicherungs-Richtlinie zum Bauchaortenaneurysma, wo Krankenhäuser, vor allem in Norddeutschland, derzeit Schwierigkeiten haben, die Leistungen bei Vorlage dieser Indikation weiterhin abgerechnet zu bekommen, kann den Häusern nur empfohlen werden, sich auf das Urteil zu berufen.
- Bei MD-Prüfung zur Qualitätssicherungsrichtlinie Bauchaortenaneurysma durchgefallen – und jetzt? (CB 07/2023, Seite 2 ff.)
- Keine Vergütung bei Verstoß gegen Vorgaben des G-BA zur Qualitätssicherung! (CB 09/2014, Seite 1; Abruf-Nr. 42854514)
AUSGABE: CB 7/2024, S. 10 · ID: 50047369