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Patientenhilfe„Onkolotsinnen sind ein Mehrwert für jede Klinik!“
| Peggy Adeberg ist Onkolotsin (onkolotse.de) in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel. Sie berät und unterstützt Frauen mit der Diagnose Brustkrebs. Möglich wird ihre Arbeit durch Spenden an den Verein der Kieler BrustkrebsSprotten e. V. (brustkrebssprotten.de), der Peggy Adeberg geringfügig beschäftigt. Im Gespräch mit Ursula Katthöfer (textwiese.com) schildert sie ihre Aufgaben. |
Frage: Was kann eine Onkolotsin leisten, was Ärzteschaft und Pflegekräfte nicht können?
Antwort: Die Diagnose Brustkrebs ist für viele Frauen ein Schock. Sie erhalten zahlreiche medizinische Informationen, sind jedoch häufig blockiert. Ich habe dieses Gefühl der Überforderung vor fünf Jahren selbst erlebt. Als ich die Diagnose erhielt, saß ich in einem Pool von Menschen. Fachliche Koryphäen, die mich gut informierten. Doch ich habe nichts von dem aufnehmen können. Zum Glück war meine Freundin bei mir. Heute ist es meine Aufgabe, die Informationen gemeinsam mit den Patientinnen zu sortieren und die Frauen durch die Erkrankung zu begleiten. Im Gegensatz zum Pflegepersonal muss ich nicht auf die Uhr schauen. Ich kann mir Zeit nehmen.
Frage: Wie wichtig ist Ihre eigene Brustkrebserfahrung für das Verhältnis zu den Patientinnen?
Antwort: Es ist authentisch, wenn ich sage: „Ich kann dich verstehen. Ich weiß, wie du dich fühlst.“ Diese Sätze hören die Patientinnen auch im Familien- und Freundeskreis. Doch es fühlt sich für sie oft nicht ehrlich an. Sie empfinden die Anteilnahme nicht als positiv. Manchmal geht es einer Patientin einfach nicht gut. Dann reicht es, wenn ich sage: „Atme mal durch. Wir überlegen, wie wir das gemeinsam regeln, sodass es sich für dich gut anfühlt.“
Frage: Was regeln Sie gemeinsam?
Antwort: Manchmal sind es ganz banale Fragen: „Meine Perücke sitzt doof. Der Perückenmacher will sie nicht zurücknehmen.“ Kürzlich habe ich eine Frau motiviert, für sich selbst einzutreten und ihre Perücken zurückzubringen. Das hat sie gestärkt. Oder es kommen Fragen zur Operation. Der Arzt empfiehlt einen Silikonaufbau. Doch wie fühlt sich das an? Will ich Silikon in mir tragen? Wo kann ich so eine Brust mal anfassen?
Außerdem lotse ich zu weiteren Hilfs- und Versorgungsangeboten: Sozialdienst, Reha, Rentenversicherung, Selbsthilfegruppen, Psychoonkologie oder Familienberatung. Ich fülle keine Anträge aus, sondern nenne konkrete Ansprechpartner. Manche Frauen erzählen, dass ihr Mann überhaupt nicht mit der Diagnose klarkommt. Oder Kinder beziehen die Erkrankung ihrer Mutter direkt auf sich. Dann nenne ich Vereine, die Kinder auffangen und professionell unterstützen. Auch, wie man an eine Haushaltshilfe kommt, kann ich erläutern. Oder dass Bewegung sinnvoll ist. In der Klinik gibt es Sportangebote für Krebspatienten, viele wissen davon. Doch manche Patientinnen brauchen jemanden, der sagt: „Vielleicht tut es dir gut, dich zu bewegen.“
Frage: Die Bedürfnisse der Frauen sind also sehr unterschiedlich.
Antwort: Ja, das hängt auch vom Alter ab. Wichtig ist mir, zu signalisieren: „Mach das in deinem Tempo.“ Manche Frauen sind unter der Chemo weiter berufstätig, aber diesen Anspruch sollte nicht jede haben.
Frage: Duzen Sie die Patientinnen?
Antwort: Ja, ich bin Peggy. Das steht auf meinem Shirt. Betagte Patientinnen sieze ich allerdings. Doch in der Selbsthilfe und mit relativ jungen Patientinnen sind wir alle per du.
Frage: Wie treten Sie mit den Patientinnen in Kontakt?
Antwort: In der Klinik gehe ich auf die Station und in die Chemoambulanz, stelle mich den Patientinnen vor und komme ins Gespräch. Manchmal möchten Frauen keine Informationen, dann lasse ich meine Karte da. Einige sprechen mich bei meinem nächsten Besuch direkt an. Auch aus den gynäkologischen Praxen kommen Frauen auf mich zu. Oder sie erfahren von anderen Patientinnen und rufen mich an. Es gibt noch nicht genug Onkolotsinnen, wir sind noch etwas versteckt. Doch die Frauen tauschen sich untereinander aus und geben meine Daten weiter.
Frage: Was können Chefärzte tun, die ebenfalls eine Onkolotsin für ihre Klinik haben möchten?
Antwort: Sie können sich eine tolle Pflegerin oder MFA aus ihrer Abteilung suchen und sie zur Weiterbildung der Sächsischen Krebsgesellschaft schicken. Die Weiterbildung wendet sich an medizinisches Personal und umfasst 130 Stunden, meist freitags und samstags. Die Kurse finden in Sachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg statt. Die Hälfte kann online im Fernstudium absolviert werden. Auch Supervisionstermine für Onkolotsen werden angeboten. Wichtig ist, dass Chefärzte den Onkolotsinnen Zeit zum Zuhören geben.
Frage: Wie werden Onkolotsen finanziert?
Antwort: Nicht über die Krankenversicherung. Es gibt verschiedene Modelle. Bei Patienten mit einem Pflegegrad kann über die Pflegeversicherung abgerechnet werden. Manche Lotsen arbeiten ehrenamtlich, in anderen Fällen springen Vereine ein, manchmal handelt es sich um eine IGeL-Leistung. Doch Krebs ist echt teuer. Ich hätte mir das damals nicht geleistet. Heute als Onkolotsin sehe ich die andere Seite: Ich bin nicht der Typ Mensch, der für die Beratung Geld von den Patientinnen annehmen würde. Denn ich weiß, in welcher Situation die Frauen stecken. Am schönsten ist es, wenn die Kliniken und Praxen den Mehrwert einer Onkolotsin erkennen und die Kosten selbst tragen.
AUSGABE: CB 7/2022, S. 12 · ID: 48299659