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ArztHaftungNicht deutlich genug auf nötige Klinikeinweisung hingewiesen: 500.000 Euro Schmerzensgeld
| Ein niedergelassener Gynäkologe teilte seiner Patientin mit, dass sie aufgrund ihres pathologischen CTG möglichst bald ins Krankenhaus müsse – dieser Hinweis erfolgte nach Ansicht des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm aber nicht eindringlich genug. Für die sich aus dem Versäumnis ergebende Schädigung des Neugeborenen hafteten daher nicht die Ärzte der Klinik, in der die Entbindung stattfand, sondern deren niedergelassener Kollege (Urteil vom 17.12.2021, Az. 26 U 102/20). |
Bleibende Schädigung des Kindes nach verspäteter Sectio
Kläger war der 2005 geborene Sohn der damals 33 Jahre alten Patientin. Sie hatte bereits zwei Kinder. Eines davon musste wegen eines pathologischen CTG per Sectio entbunden werden.
Bei der dritten Schwangerschaft führte der Gynäkologe insgesamt zehn Untersuchungen durch. Schwangerschaftsverlauf und Kindesentwicklung waren unauffällig – bis zu dem Tag, an dem die Geburt stattfand. Am Vormittag dieses Tages konsultierte die Patientin – wie auch an den beiden Tagen zuvor – ihren Gynäkologen in der Praxis. Dieser nahm eine vaginale sowie eine Ultraschalluntersuchung vor. Zudem wurde ein 12-minütiges CTG angefertigt. Auf dem Einweisungsschein vom gleichen Tag hielt der Gynäkologe die Diagnosen „Gravidität über dem Termin“ und „Oligohydramnie bei Gravidität“ fest. Befunde des CTG waren weder im Mutterpass noch als Zusatz zur Einweisung eingetragen. Am Abend desselben Tages wurde die Patientin im Kreißsaal der Klinik vorstellig, weil sie das Gefühl hatte, die Kindsbewegungen hätten abgenommen. Sie wurde daraufhin an ein CTG-Gerät angeschlossen, auf dem sich sofort ein eingeschränkt oszillatorischer Verlauf der fetalen Herzfrequenz, keine Akzelerationen, einmalig Dip Typ II im Stehen sowie ausreichende Nulldurchgänge zeigten. Weckversuche und Seitenwechsel der Mutter bewirkten keine Veränderung. Eine Sectio war erfolgreich. Allerdings erlitt der Sohn eine perinatale Asphyxie mit konsekutiver schwerer HIE.
Seither besteht eine schwere geistige und körperliche Störung mit symptomatischer fokaler Epilepsie, Mikrozephalie, schwerer psychosomatischer Retardierung sowie einer zentralen Sehminderung. Verklagt wurden sowohl der niedergelassene Gynäkologe als auch die Behandler in der Klinik. Der Vorwurf von Patientenseite: Durch Fehlverhalten der Ärzte sei die Sectio letztlich erst verspätet durchgeführt worden. Dadurch sei es zu einer mehrstündigen Sauerstoffunterversorgung beim Nasciturus gekommen, die vermeidbar gewesen sei.
Das Gericht gab der Klage statt und verurteilte den niedergelassenen Arzt zur Zahlung von 500.000 Euro Schmerzensgeld.
Klinikärzte haften nicht
Das OLG verneinte eine Haftung der Klinikärzte. Zwar hätten diese behandlungsfehlerhaft gehandelt, weil die Sectio etwa eine bis anderthalb Stunden später erfolgte, als sie hätte durchgeführt werden können und müssen. Allerdings habe diese Verzögerung nicht zu einer messbaren Verschlechterung des ohnehin schon subakuten Mangelzustands des Kindes geführt. Eine Kausalität für die sich post partum darstellende kindliche Mangelsituation sei daher zulasten der Klinikärzte nicht herzuleiten – so die Richter.
Grobe Behandlungsfehler: Der niedergelassene Gynäkologe hätte ...
Das OLG sah ein zweifaches grob behandlungsfehlerhaftes Verhalten des niedergelassenen Gynäkologen.
... die Mutter notfalls „bis zum Eklat“ auf die Notwendigkeit einer Krankenhauseinweisung hinweisen müssen
Zum einen habe er die Mutter nicht dringlich genug ersucht, sich sofort in ein Krankenhaus zu begeben. Er habe ihr den Ernst der Lage nicht klar genug verdeutlicht. Der Gynäkologe wurde vom Gericht persönlich angehört und verteidigte sich damit, dass er das auffällige Ergebnis des CTG mit der Patientin besprochen und ihr gesagt habe, dass sie „möglichst bald“ ins Krankenhaus gehen solle. Er habe ihr sogar angeboten, ihr aus der Praxis heraus ein Taxi zu bestellen. Dies genügte den Richtern aber nicht. Vielmehr hätte er der Mutter mit allem Nachdruck und mit deutlichen Worten – notfalls „bis zum Eklat“ – vor Augen führen müssen, welche Konsequenzen es haben könne, wenn sie das Krankenhaus nicht sofort aufsuche. Wegen der besonderen Dringlichkeit hätte der Gynäkologe sicherstellen müssen, dass die Patientin den Ernst der Lage begreift und sich in ein Krankenhaus begibt.
... das Krankenhaus über die eintreffende Patientin informieren müssen
Zum anderen sei es grob fehlerhaft gewesen, die Klinik über die in Kürze eintreffende Patientin nicht vorab zu informieren. Der niedergelassene Gynäkologe hätte dort Bescheid sagen und auf die dringliche Situation hinweisen müssen, damit die Patientin nicht im Rahmen der Aufnahme „in der Verwaltung hängenbleibe“, befand das OLG Hamm.
Praxistipp | Das Urteil des OLG Hamm zeigt, welch hohe Anforderungen die Gerichte gerade in solch eilbedürftigen Situationen an eine unmissverständliche Aufklärung der Patientinnen stellen. Halten Sie gerade in besonders dringenden und außergewöhnlichen Fällen in der Behandlungsdokumentation detailliert fest, was veranlasst und worauf die Patientin hingewiesen wurde. Damit können Sie Ihr Prozessrisiko in haftungsträchtigen Situationen minimieren. |
- Wann muss die Hebamme bei Schwierigkeiten bei der Geburt einen Facharzt herbeirufen? (CB 04/2022, Seite 12)
- Fehlende Klingel im Kreißsaal begründet groben Behandlungsfehler – Krankenhaus haftet (CB 03/2022, Seite 15 f.)
AUSGABE: CB 7/2022, S. 6 · ID: 48206193