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InflationsausgleichsprämieBAG versagt tarifvertraglichen Ausschluss von Arbeitnehmern in Passivphase der Altersteilzeit
| Am 31.12.24 endet für Arbeitgeber die Möglichkeit, Arbeitnehmern eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie (IAP) zu zahlen. Das BAG (12.11.24, 9 AZR 71/24, Abruf-Nr. 244736) hat nun entschieden, dass bei einer tarifvertraglich vereinbarten IAP Arbeitnehmer in Altersteilzeit nicht ohne Weiteres von der IAP ausgeschlossen werden dürfen. BBP erläutert, worauf Arbeitgeber jetzt noch achten sollten. |
1. Hintergrund der IAP
Mit dem sog. dritten Entlastungspaket hat die Ampelkoalition eine IAP auf den Weg gebracht. Hintergrund waren die gestiegenen Verbraucherpreise und die hohen Energiekosten. Mit der IAP können Arbeitgeber ihren Beschäftigten im Zeitraum vom 26.10.22 bis 31.12.24 eine Prämie von insgesamt bis zu 3.000 EUR als Inflationsausgleich in Form von zusätzlichen Zuschüssen oder Sachbezügen zahlen. Rechtsgrundlage ist § 3 Nr. 11c EStG, der durch das Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz (19.10.22, BGBl I 22, 1743) eingefügt wurde.
2. Sachverhalt
Der Kläger ist Arbeitnehmer eines Energiewirtschaftsunternehmens und hatte Altersteilzeit im Blockmodell mit Beginn der Passivphase am 1.5.22 vereinbart. Der zuständige Arbeitgeberverband einigte sich mit den Gewerkschaften ver.di und IG BCE anlässlich der Tarifrunde 2023 in dem „Tarifvertrag über eine einmalige Sonderzahlung gemäß § 3 Nr. 11c EStG“ (TV IAP) auf die Gewährung einer IAP, die unabhängig vom individuellen Beschäftigungsgrad 3.000 EUR beträgt. Es handelte sich nach der Protokollnotiz zum TV IAP um eine Beihilfe bzw. Unterstützung des Arbeitgebers zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise. Von der Zahlung sind gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 TV IAP insbesondere Arbeitnehmer ausgeschlossen, die sich am 31.5.23 in der Passivphase der Altersteilzeit oder im Vorruhestand befanden.
Mit seiner Klage begehrt der Arbeitnehmer die IAP i. H. v. 3.000 EUR. Er ist der Ansicht, der Anspruchsausschluss von Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit stelle eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen der Teilzeit dar. Die IAP werde ausschließlich als Leistung zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise gezahlt und verfolge daneben keinen arbeitsleistungsbezogenen Zweck.
3. Entscheidungsgründe
Anders als die Vorinstanzen (zuletzt LAG Düsseldorf 5.3.24, 14 Sa 1148/23) hat das BAG dem Kläger Recht gegeben und einen Anspruch auf die IAP bejaht.
3.1 Verstoß gegen Schlechterstellungsverbot bei Teilzeitarbeitnehmern
Der Ausschluss von Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit durch § 1 Abs. 2 S. 3 TV IAP verstößt im Streitfall gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Danach darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.
3.2 Kein sachlicher Differenzierungsgrund
Eine Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten kann zwar sachlich gerechtfertigt sein, wenn sich der Grund der Ungleichbehandlung aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt. In der Bestimmung des Leistungszwecks sind die Tarifvertragsparteien dabei gemäß Art. 9 Abs. 3 GG weitgehend frei. Mit der Regelung des § 1 Abs. 2 S. 3 TV IAP haben die Tarifparteien im Streitfall nach Ansicht des BAG aber ihre durch § 4 Abs. 1 TzBfG begrenzte Rechtsetzungsbefugnis überschritten.
Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern aufgrund der Freistellung in der Altersteilzeit gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten lässt sich aus den erkennbaren Leistungszwecken und dem Umfang der Teilzeitarbeit nicht herleiten. Die Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen lässt im Streitfall nicht den Schluss zu, dass es sich bei der IAP auch um eine Gegenleistung für erbrachte Arbeit handelt. Auch hinsichtlich der vergangenen Betriebstreue sind keine Aspekte ersichtlich, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Von einer zukünftigen Betriebstreue haben die Tarifvertragsparteien den Anspruch nicht abhängig gemacht. Unterschiede für einen unterschiedlichen Bedarf aufgrund der gestiegenen Verbraucherpreise zwischen Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten, die sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befinden, sind ebenfalls nicht erkennbar.
4. Relevanz für die Praxis
Alle Fragen rund um die IAP hat das BMF in einem umfangreichen FAQ-Katalog beantwortet: www.iww.de/s12006. Auf einige praxisrelevante Punkte soll jedoch nochmals besonders hingewiesen werden.
4.1 Auszahlungsfrist endet am 31.12.24
Eine Verlängerung der IAP über den 31.12.24 hinaus wird es nach dem Gesetzeswortlaut nicht geben. Der Arbeitgeber kann die IAP auch in Raten über mehrere Jahre, auch in unterschiedlicher Höhe, auszahlen, solange der Gesamtbetrag von 3.000 EUR nicht überschritten wird und im Übrigen die Voraussetzungen des § 3 Nr. 11c EStG erfüllt sind. Arbeitgeber, die also den Gesamtbetrag von 3.000 EUR noch nicht ausgeschöpft haben, können dies bis zum Jahresende nachholen.
Auch Prämien, deren Auszahlung bereits vor Beginn des Begünstigungszeitraums beschlossen wurde (d. h. ein bereits vor dem 26.10.22 zugesagter Zuschuss zum Ausgleich inflationsbedingter Mehrkosten), können begünstigt sein. Entscheidend ist der Zufluss beim Arbeitnehmer. Dieser muss innerhalb des Begünstigungszeitraums erfolgen. Der Arbeitnehmer muss wirtschaftlich über das Geld verfügen können, d. h. die Gutschrift auf dem Konto muss erfolgt sein. Es reicht also auch nicht aus, wenn der Arbeitnehmer seine Gehaltsabrechnung für Dezember noch im Jahr 2024 erhält, die Kontogutschrift aber erst am 2.1.25 erfolgt. In diesem Fall wäre die IAP steuerpflichtig und überdies zu verbeitragen.
4.2 Zusätzlichkeit und Freiwilligkeit
Die IAP muss nach § 3 Nr. 11c EStG „zusätzlich“ gezahlt werden, darf also kein fester Gehaltsbestandteil sein. Die Zahlung muss „freiwillig“ sein, d. h. es darf kein Rechtsanspruch bestehen. Ein Arbeitgeber kann also jetzt nicht das im Jahr 2024 fällige Weihnachtsgeld „umwidmen“, wenn darauf ein individueller oder tarifvertraglicher Anspruch besteht. Nur wenn bisher Weihnachtsgeld ohne Rechtsanspruch gezahlt wurde, kann der Arbeitgeber bis zu insgesamt 3.000 EUR als IAP „zum Ausgleich des Inflationsanstiegs“ anstelle von Weihnachtsgeld zahlen.
4.3 Mehrfacher Bezug der IAP
Die IAP kann für jedes Dienst-/Arbeitsverhältnis steuerfrei gewährt werden. Wechselt der Arbeitnehmer den Arbeitgeber oder hat er mehrere Beschäftigungsverhältnisse nebeneinander, so kann er die IAP von jedem Arbeitgeber erhalten, wenn die Voraussetzungen des § 3 Nr. 11c EStG erfüllt sind. Dies ist auch für Minijobber interessant, die pro Minijob bis zu 3.000 EUR IAP erhalten können, ohne dass eine Anrechnung auf die Minijob-Verdienstgrenze erfolgt.
4.4 Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Aus steuerrechtlicher Sicht ist der Arbeitgeber grundsätzlich frei zu entscheiden, ob, wem und in welcher Höhe er eine IAP gewährt. Bei der Frage, welchen Arbeitnehmern in welcher Höhe eine IAP gewährt wird, sind jedoch mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen zu bedenken. Arbeitgeber haben nämlich insbesondere den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten, dürfen also nicht ohne sachlichen Grund einen Teil der Belegschaft von der IAP ausnehmen. Zu beachten ist auch, dass der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hat. Dies wird bei der IAP dann relevant, wenn nicht alle Beschäftigten die Prämie (in gleicher Höhe) erhalten, wie das aktuelle BAG-Urteil zeigt.
AUSGABE: BBP 12/2024, S. 311 · ID: 50246141