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Erben will gelernt seinSteuerbegünstigungen und Risiken beim „Familienheim“
Viele Erblasser verfügen über eine eigene Wohnung. Im Erbfall kann für dieses „Familienheim“ eine Steuerbefreiung von der Erbschaftsteuer gewährt werden. Allerdings ist diese an viele und komplexe Voraussetzungen geknüpft, welche auch in den zehn Jahren nach dem Erbfall zu erfüllen sind. Andernfalls kann die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit entfallen. Weiterhin bestehen Risiken, wenn sich das Familienheim über mehrere Grundstücke erstreckt. Grund und Anlass genug, sich einmal näher mit dem Familienheim zu beschäftigen. |
Zwei Begünstigungen für geerbte Familienheime
Bewohnt der Erblasser eine in seinem Besitz stehende Eigentumswohnung oder ein eigenes Haus, dann geht das Eigentum im Erbfall auf den Erben über. Sollte das Erbe im Extremfall lediglich aus dieser Immobilie bestehen, könnte das bedeuten, dass der Erbe zur Tilgung der Erbschaftsteuer die Immobilie veräußern muss. Das möchte der Gesetzgeber jedoch weitestgehend vermeiden. Deshalb wurden zwei Steuerbefreiungen für geerbte Familienheime geschaffen:
- 1. § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG bei Erwerb des Familienheims durch den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner (nicht: Verlobte)
- 2. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG bei Erwerb des Familienheims durch eigene Kinder und Stiefkinder i. S. d. der Steuerklasse I Nr. 2. Soweit diese bereits verstorben sein sollten, sind auch deren Kinder bzw. Stiefkinder begünstigt.
Umgekehrt bedeutet diese Einschränkung des begünstigten Personenkreises bereits, dass alle anderen Erwerber nicht von einer Steuerbefreiung für das Familienheim profitieren können. Erwirbt z. B. der Bruder des Verstorbenen das bisher privat genutzte Einfamilienhaus und zieht er in dieses ein, dann unterliegt der vollständige Grundbesitzwert der Erbschaftsteuer.
Praxistipp | Wird das Familienheim „mit warmer Hand“ – also im Rahmen einer Schenkung – an den Ehegatten oder Lebenspartner übergeben, kann der Vorgang ebenfalls s teuerfrei sein. Hier gilt es dann § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG zu prüfen. |
Die beiden Steuerbefreiungen im Detail
Mit Ausnahme des begünstigten Personenkreises ist der Anwendungsbereich beider Steuerbefreiungen grundsätzlich identisch. Während § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG jedoch das von dem überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner erworbene Familienheim in vollem Umfang und ohne Wert- oder Höchstbeträge von der Erbschaftsteuer befreit, geht die Steuerbefreiung für ein von eigenen Kindern oder Stiefkindern i. S. d. Steuerklasse I Nr. 2 geerbtes Familienheim nicht so weit. Bei diesen Erwerbern besagt § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG zwar grundsätzlich ebenfalls, dass das Familienheim für Zwecke der Erbschaftsteuer steuerfrei ist. Allerdings greift die Begünstigung nur insoweit, wie die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt. Damit soll sichergestellt werden, dass nur eine angemessen große Wohnung steuerfrei an Kinder vererbt werden kann.
Beispiele |
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Beachten Sie | Erben können gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG Nachlassverbindlichkeiten von dem der Erbschaftsteuer unterliegenden Vermögen abziehen. Das ist z. B. ein vom Erblasser übernommenes Darlehen für ein geerbtes Haus. Wird das Haus jedoch als Familienheim steuerfrei erworben, dann scheidet ein Abzug von damit in Zusammenhang stehenden Schulden aus (§ 10 Abs. 6a Satz 1 ErbStG). Sollte das Haus nur teilweise als Familienheim steuerfrei sein (siehe Beispiel 2 Variante b), dann ist das Darlehen nur teilweise (hier zu 200/250stel) nicht abzugsfähig.
Praxisproblem: Weitere Anforderungen an die Steuerbefreiung
Ganz so einfach ist es mit dem steuerfrei erworbenen Familienheim jedoch nicht. Denn es sind noch drei weitere Anforderungen zu erfüllen, welche für die Anwendung der Steuerbefreiung zwingend erforderlich sind. Während die Voraussetzungen zu den Positionen 1 und 2 lediglich am Todestag vorliegen müssen, kommt es für die Position 3 auf die kommenden zehn Jahre an.
- 1. Bestimmte Belegenheit des Familienheims
- 2. Selbstnutzung des Familienheims durch den Erblasser
- 3. Selbstnutzung des Familienheims durch den Erwerber
Bestimmte Belegenheit des Familienheims
Die Steuerbefreiung erstreckt sich nicht auf alle Familienheime weltweit. Begünstigt ist das Familienheim nur dann, wenn es sich im Inland, der EU oder dem EWR (EU zzgl. Island, Liechtenstein und Norwegen) befindet. Um was für eine Art von Wohnung es sich dabei konkret handelt, ist unerheblich. Begünstigt sind gemäß § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG Familienheime in
- einem Ein- oder Zweifamilienhaus,
- einem Mietwohngrundstück,
- in Form von Wohnungs- und Teileigentum,
- einem Geschäftsgrundstück und
- einem gemischt genutzten Grundstück.
Soweit das entsprechende Gebäude neben dem Familienheim auch anderweitig genutzt wird, erstreckt sich die Steuerbefreiung nur auf das Familienheim.
Beispiel 3 |
Melanie ist Eigentümerin eines im Inland belegenen Zweifamilienhauses mit zwei gleich großen Wohnungen. Eine Wohnung ist vermietet, die andere nutzt sie mit ihrem Ehemann. Melanie verstirbt. Alleinerbe ist ihr Ehemann. Der festgestellte Grundbesitzwert beträgt für das Zweifamilienhaus 500.000 EUR. Lösung: Von dem Grundbesitzwert entfallen 50 % und damit 250.000 EUR auf das Familienheim. Insoweit greift die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG. Die restlichen 250.000 EUR entfallen auf die vermietete Einheit und sind nicht als Familienheim begünstigt. Insoweit findet jedoch § 13d ErbStG Anwendung und es sind 10 % steuerfrei. Der Erbschaftsteuer unterliegen damit – vor Abzug der persönlichen Freibeträge – 225.000 EUR. |
Praxisproblem: Familienheim über mehrere Flurstücke
Gewöhnlich umfasst das Familienheim nur ein Flurstück. Denn typischerweise hat der Erblasser ein Flurstück erworben, dieses mit dem Familienheim bebaut und ist dann verstorben. In der Praxis kommt es vor allem bei wohlhabenden Erblassern jedoch vermehrt vor, dass das Familienheim nicht nur ein Flurstück, sondern gleich mehrere Flurstücke umfasst. Zum Beispiel wenn zwei Grundstücke erworben wurden, aber nur eines mit dem Haus bebaut und das andere als vergrößerter Hausgarten genutzt wird. Es stellt sich dann die Frage, welcher Grund und Boden vom steuerfreien Familienheim erfasst wird. Nur das mit dem Gebäude bebaute Grundstück oder auch das als vergrößerter Hausgarten genutzte Grundstück? Genau diese Frage ist in der Rechtsprechung bisher nicht endgültig geklärt! Zwar hat der BFH bereits in seinem Urteil vom 23.2.2021 (II R 29/19) ausgeführt, dass es für ihn grundsätzlich zwei denkbare Möglichkeiten gibt:
- 1. Es könnte das Grundstück im zivilrechtlichen Sinne, also die Fläche gemäß Grundbuch maßgebend sein. Dann wären die Flurstücke begünstigt, welche in einem Grundbuchblatt zusammengefasst und mit dem Familienheim bebaut wurden. Unbebaute Flurstücke eines anderen Grundbuchblatts (z. B. Nachbargrundstück) wären nicht begünstigt.
- 2. Es könnte aber auch die sog. wirtschaftliche Einheit i. S. d. § 2 Abs. 1 BewG entscheidend sein, wonach sich die Zugehörigkeit der Flurstücke nach den wirtschaftlichen und örtlichen Gegebenheiten richtet. In diesem Fall wäre auch das als Hausgarten genutzte Flurstück eines anderen Grundbuchblatts (z. B. Nachbargrundstück) begünstigt.
Die Entscheidung, ob für die Steuerbefreiung für das Familienheim der Begriff des Grundstücks i. S. d. BGB oder des BewG maßgebend ist, hat der BFH letztlich aber offengelassen, weil es hierauf in dem zu entscheidenden Fall nicht ankam.
Finanzgerichte für den BGB-Grundstücksbegriff
Anders als der BFH haben sich einige Finanzgerichte bereits zu einer Entscheidung durchgerungen. So urteilten das FG Düsseldorf (16.5.18, 4 K 1063/17) und das FG München (5.4.18. 4 K 2568/16), dass es auf den Begriff des Grundstücks i. S. d. BGB ankommt. Ein unbebautes Flurstück, das an ein mit einem Familienheim bebautes Grundstück angrenzt und im Grundbuch auf einer eigenen Nr. eingetragen ist, ist daher auch dann nicht nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b bzw. 4c ErbStG begünstigt, wenn es nach der Verkehrsanschauung eine wirtschaftliche Einheit mit dem mit dem Familienheim bebauten Grundstück bildet. An das Familienheim angrenzende unbebaute und grundbuchrechtlich eigenständige Flurstücke sind deshalb nicht von der Steuerbefreiung begünstigt. Diese Rechtsauffassung stellt einen erheblichen Nachteil für alle Steuerzahler dar.
FG Niedersachsen stellt auf das einzelne Flurstück ab
Noch strenger sieht es das FG Niedersachsen (12.7.23, 3 K 14/23). Danach kommt es weder auf den Begriff des Grundstücks i. S. d. BGB oder des BewG an. Vielmehr ist nur das tatsächlich mit dem Familienheim bebaute Flurstück von der Erbschaftsteuer befreit. Werden mehrere Flurstücke in einem Grundbuchblatt zusammengefasst, ist aber nur eines der Flurstücke mit dem Familienheim bebaut, ist die Steuerbefreiung nur für das bebaute Flurstück zu gewähren – und für die weiteren Flurstücke zu versagen.
Beispiel 4 |
Im Vermögen des Erblassers befindet sich ein mit einem Familienheim bebautes Grundstück. Dieses besteht aus drei verschiedenen Flurstücken:
Alle drei Flurstücke wurden in einem Grundbuchblatt zusammengefasst und stellen nach der Verkehrsanschauung eine wirtschaftliche Einheit dar. Lösung: Nach Auffassung des FG Niedersachsen ist für die Steuerbefreiung für das Familienheim lediglich das Flurstück 1 zu berücksichtigen. Die Flurstücke 2 und 3 unterliegen ohne anwendbare Steuerbefreiung der Erbschaftsteuer. |
Das Urteil des FG Niedersachsen ist nicht rechtskräftig. Unter dem Az. II R 27/23 läuft beim BFH die Revision. Nun hat erstmals der BFH zu entscheiden, welche Flächen für das Familienheim zu berücksichtigen sind, wenn es sich um eine Gemengelage von benachbarten Flurstücken handelt. Umfasst das Erbe ein Familienheim mit mehreren Flurstücken und gewährt das Finanzamt die Steuerbefreiung nicht für alle Flurstücke, sollte der Erbe daher mit Verweis auf das anhängige Revisionsverfahren gegen belastende Erbschaftsteuerbescheide Einspruch einlegen. Das Einspruchsverfahren ruht dann gemäß § 363 AO so lange, bis der BFH eine Entscheidung gefällt und sich für eine der Sichtweisen entschieden hat. Diese kann dann auf den angefochtenen Bescheid übertragen werden.
Gestaltungsstrategie: Verschmelzung und Vereinigung prüfen!
Um die bisher höchstrichterlich ungeklärte Rechtslage zu umgehen, kann es sich auch anbieten, noch zu Lebzeiten des Erblassers steuergestaltend zu handeln. Konkret könnte der Erblasser zunächst mehrere Flurstücke unterschiedlicher Grundstücke in einem Grundbuchblatt vereinigen lassen. Dazu ist ein Antrag beim Grundbuchamt notwendig, der im Katasteramt oder bei einem öffentlich bestellten Vermessungsingenieur aufgenommen werden kann. Im Anschluss besteht für das gesamte Grundstück nur noch ein Grundbuchblatt. Das Grundstück besteht jedoch weiterhin aus mehreren Flurstücken. Diese Flurstücke können nun in einem zweiten Schritt miteinander verschmolzen werden. Die Verschmelzung kann ebenfalls das Katasteramt vornehmen. Nach der Verschmelzung umfasst das Familienheim lediglich ein Grundstück mit einem Flurstück auf einem Grundbuchblatt. Damit wäre die Steuerbefreiung für das Familienheim auch bei Anwendung der zivilrechtlichen Betrachtung vollumfänglich zu gewähren.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen führt in seinem Urteil vom 12.7.2023 jedoch auch aus, dass bei größeren Flurstücken nicht das ganze Flurstück, sondern nur eine angemessene Zubehörfläche unter die Steuerbefreiung für das Familienheim fällt. Das könnte bei der Gestaltung „Verschmelzung von Flurstücken“ je nach Größe der verschmolzenen Flurstücke zum Problem werden – denn was ist „angemessen“?
Selbstnutzung des Familienheims durch den Erblasser
Damit das Familienheim steuerfrei ist, muss es ein Familienheim sein. Das bedeutet, dass der Erblasser die vererbte Wohnung genutzt haben muss oder er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert gewesen sein muss. In der Wohnung muss sich also der Mittelpunkt des familiären Lebens des Erblassers befunden haben. Die Befreiung eines Erwerbs ist deshalb nicht möglich, wenn
- die Wohnung nur als Ferien- oder Wochenendwohnung genutzt wurde,
- sie für einen Berufspendler nur die Zweitwohnung darstellte oder
- sie unentgeltlich überlassen wurde (z. B. an Kinder) und der Erblasser die Wohnung nicht zugleich mit bewohnt hat.
Beachten Sie | Die Nutzung der Wohnung auch zu anderen als Wohnzwecken ist unschädlich, wenn diese Nutzung von untergeordneter Bedeutung ist. Das ist z. B. bei einem Arbeitszimmer der Fall. Bei einer entgeltlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Mitbenutzung der Wohnung ist die Befreiung allerdings auf den eigenen Wohnzwecken dienenden Teil der Wohnung begrenzt (R E 13.3 Abs. 2 Satz 9 bis 11 ErbStR).
Grundsätzlich muss also der Erblasser die Wohnung bis zum Erbfall bewohnt haben. Doch auch wenn der Erblasser die Wohnung nicht selbst genutzt haben sollte, kann die Steuerbefreiung ausnahmsweise Anwendung finden. Das ist der Fall, wenn der Erblasser die Wohnung zunächst zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat, er die Nutzung jedoch bis zu seinem Tod aus objektiv zwingenden Gründen aufgeben musste. Objektiv zwingende Gründe liegen beispielsweise im Fall einer Pflegebedürftigkeit vor, die die Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr zulässt, nicht dagegen z. B. bei einer beruflichen Versetzung.
Selbstnutzung des Familienheims durch den Erwerber
Das Familienheim muss auch für den Erwerber ein Familienheim darstellen. Deshalb muss die geerbte Wohnung beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt sein und dieser muss ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB) in das Familienheim einziehen – sofern er dort noch nicht wohnen sollte. Die Rechtsprechung des BFH (16.3.22, II R 6/21) und auch die Finanzverwaltung akzeptieren für die Dauer bis zum Einzug regelmäßig einen Übergangszeitraum von bis zu sechs Monaten.
Wird die Selbstnutzung der Wohnung erst nach Ablauf von sechs Monaten aufgenommen, kann zwar ebenfalls eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung vorliegen. Allerdings muss der Erwerber in diesem Fall darlegen und glaubhaft machen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat. Umstände im Einflussbereich des begünstigten Erwerbers, die nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des Einzugs führen (wie z. B. eine Renovierung der Wohnung), sind nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Renovierung deshalb länger hinzieht, weil nach Beginn der Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel der Wohnung entdeckt wird, der vor dem Einzug noch beseitigt werden muss (BFH 1.12.21, II R 18/20).
Das vom FG München abgesegnete Gestaltungsmodell
Das FG München hatte darüber zu entscheiden, ob durch den Abschluss eines festen Mietvertrags der Zeitraum bis zur Selbstnutzung des Familienheims durch den Erwerber über viele Jahre hinausgeschoben werden kann.
Im Streitfall musste die Erblasserin die bisher privat genutzte Wohnung aufgrund eines Umzugs in ein Pflegeheim aufgeben. Nach einem Leerstand vermietete sie die Wohnung befristet für einen Zeitraum von vier Jahren. Als die Erblasserin verstarb, lief der Mietvertrag noch zwei Jahre. Erst nach diesen zwei Jahren renovierte der Erwerber die Wohnung und zog fünf Monate später ein. Er beantragte für die Wohnung die Steuerbefreiung für ein Familienheim nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG, obwohl zwischen dem Tag des Todes und dem Tag des Einzugs fast zweieinhalb Jahre lagen.
Während das Finanzamt die Steuerbefreiung ablehnte, da keine unverzügliche Selbstnutzung durch den Erwerber erfolgt sei, gewährte das FG München mit Urteil vom 26.10.2022 (4 K 2183/21) die Steuerbefreiung. Da die Revision des Finanzamts beim BFH (II R 48/22) zurückgenommen wurde, ist das Urteil des FG rechtskräftig.
Dieses Urteil bietet erheblichen Gestaltungsspielraum. Einerseits kann der Zeitpunkt bis zur künftigen Selbstnutzung durch den Erwerber durch einen zu Lebzeiten des Erblassers geschlossenen Zeitmietvertrag rechtssicher hinausgeschoben werden. Denn nach dem Urteil des FG ist klar, dass ein zu Lebzeiten des Erblassers eingegangener Mietvertrag eine Selbstnutzung durch den Erwerber hindert und dieser erst dann unverzüglich in das Familienheim einziehen muss, wenn der Hinderungsgrund beseitigt wurde. Das ist bei einem Zeitmietvertrag der Zeitpunkt, zu welchem dieser ausläuft. So kann auch bei einem Einzug viele Jahre nach dem Erbfall die Steuerbefreiung für das Familienheim gewährt werden. Wurde kein Zeit-, sondern ein regulärer Mietvertrag geschlossen, sind davon abweichend die ordentlichen Kündigungsfristen maßgebend. Andererseits bietet das Urteil auch Planungssicherheit bei der Finanzierung künftiger Pflegekosten. Familienangehörige können zur Deckung der Heimkosten im Namen des Pflegebedürftigen für das bisher eigengenutzte Familienheim einen befristeten Mietvertrag abschließen, ohne damit das Risiko eingehen zu müssen, dass sie künftig mangels zeitnaher Selbstnutzung die Steuerbefreiung für das Familienheim verlieren.
Beachten Sie | Das FG führt in seinem Urteil aber aus, dass die festgelegte Mietdauer nicht völlig außer Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung des Erblassers nach den Sterbetafeln des statistischen Bundesamts stehen darf. Das grenzt die Gestaltungsmöglichkeiten etwas ein. Die Laufzeit eines befristeten Mietvertrags sollte maximal nur leicht über der statistischen Lebenserwartung liegen. Im Streitfall sah das FG München bei einem Vier-Jahres-Mietvertrag bei einer 96-Jährigen (statistische Lebenserwartung von etwa 2,65 Jahren) keine Probleme.
Praxisproblem: Nachversteuerungsvorbehalt
Die Steuerbefreiung steht unter einem Nachversteuerungsvorbehalt. Wird die Selbstnutzung des Familienheims durch den Erwerber innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren aufgegeben, dann fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weg. Ein bereits erteilter Steuerbescheid ist gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern und in dem Änderungsbescheid ist die Steuerbefreiung vollumfänglich – nicht bloß zeitanteilig! – zu versagen. Ein Wegfall der Selbstnutzung liegt dabei nicht bloß bei einem klassischen Auszug des Erwerbers aus der Wohnung vor. Auch eine Weiterübertragung unter Nutzungsvorbehalt ist als Verstoß gegen den Nachversteuerungsvorbehalt anzusehen. Gleiches gilt, wenn der Erwerber das Familienheim abreißen und einen Neubau errichten sollte.
Beachten Sie | Das Finanzamt muss nicht selbst ermitteln, ob das Familienheim innerhalb des Zehnjahreszeitraums vom Erwerber selbst genutzt wird. Denn der Erwerber ist gemäß § 153 Abs. 2 AO dazu verpflichtet, den Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen (z. B. bei einem Auszug) dem Finanzamt anzuzeigen.
Rettungsanker: Hinderungsgründe an einer Selbstnutzung
Unschädlich ist die Aufgabe der Selbstnutzung durch den Erwerber nur, wenn der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert ist. Diese objektiv zwingenden Gründe liegen z. B. vor:
- Im Fall des Todes des Erwerbers
- Im Fall einer Pflegebedürftigkeit des Erwerbers, die die Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr zulässt
- Bei minderjährigen Kindern so lange, wie das Kind wegen der Minderjährigkeit rechtlich gehindert ist, einen eigenen Haushalt zu führen
Kein Hinderungsgrund ist dagegen die berufliche Versetzung des Erwerbers (R E 13.4 Abs. 6 Satz 9 und Abs. 7 Satz 4 ErbStR).
Beachten Sie | Für die Dauer der gesamten Hinderungsgründe ist es für die Steuerbefreiung unschädlich, wenn das Familienheim unentgeltlich überlassen, vermietet oder verkauft wird. Das Risiko: Sollte der Hinderungsgrund für die Selbstnutzung innerhalb des Zehnjahreszeitraums entfallen (z. B. Wegfall der Pflegebedürftigkeit), so muss der Erwerber unverzüglich die Nutzung des Familienheims zu eigenen Wohnzwecken wieder aufnehmen. Andernfalls kommt es doch zu einer Nachversteuerung (R E 13.4 Abs. 6 Satz 12 ErbStR). Das ist in der Praxis insbesondere bei einem Verkauf des Objekts nahezu unmöglich.
Sonderfall: Weitergabeverpflichtung an Dritte
Der Erwerber kann die Steuerbefreiung für das Familienheim nicht in Anspruch nehmen, soweit er verpflichtet ist, das Familienheim aufgrund einer letztwilligen oder rechtsgeschäftlichen Verfügung des Erblassers (z. B. Testament/Erbvertrag) auf einen Dritten zu übertragen. Anwendungsfälle sind insbesondere:
- 1. Sachvermächtnisse, die auf begünstigtes Vermögen gerichtet sind
- 2. Vorausvermächtnisse, die auf begünstigtes Vermögen gerichtet sind
- 3. Ein Schenkungsversprechen auf den Todesfall
- 4. Auflagen des Erblassers, die auf die Weitergabe gerichtet sind
Doch Glück im Unglück: Der danach begünstigte Erwerber, der das Familienheim erhält, kann selbst in eigener Person die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllen und das Familienheim so steuerfrei erhalten. Das bedeutet aber auch, dass in diesem Fall ihn die Pflicht zur Einhaltung der Befreiungsvoraussetzungen (zehnjährige Selbstnutzung) trifft.
AUSGABE: AStW 3/2025, S. 168 · ID: 50310073