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Autohandel/VertriebAgenturmodell: Besteht der Provisionsanspruch bei Nichtbelieferung durch den Hersteller fort?

Top-BeitragAbo-Inhalt25.04.20234876 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin Lisa Hennes, Osborne Clarke, Köln

| Der Halbleitermangel hält die Autoindustrie weiterhin in Atem. Immer wieder kommt es zu Vertrags-Stornierungen von Seiten der Hersteller oder zu Rücktritten vom Kaufvertrag durch den Kunden in Folge von Lieferverzögerungen bei der Fahrzeugauslieferung. Im Agenturmodell stellt das Autohäuser vor ein Dilemma: Denn was passiert mit ihrer Provision, wenn der Fahrzeugverkauf nicht zustande kommt? ASR klärt auf. |

Der Provisionsanspruch im Agenturmodell

Im Agenturmodell fungiert das Autohaus nicht als Verkäufer des Fahrzeugs wie es beim Geschäftsmodell mit klassischem Vertragshändler der Fall ist. Stattdessen ist das Autohaus nur noch ein Agent des Herstellers, sprich ein Handelsvertreter. Als solcher erhält er als Vergütung für die Vermittlung von (Kauf-)Verträgen während der Vertragslaufzeit des Handelsvertretervertrags eine Provision (§ 87 Abs. 1 S. 1 HGB).

Provision in der Regel nach Zahlung des Kunden fällig

Haben der Hersteller und der Handelsvertreter vertraglich nichts anderes vereinbart, kann der Handelsvertreter die Provision verlangen, sobald und soweit der Hersteller das jeweilige Geschäft ausgeführt hat (§ 87a Abs. 1 S. 1 HGB). In vielen Handelsvertreterverträgen finden sich rechtswirksame Regelungen, nach denen die Provision erst nach Zahlung des Kaufpreises durch den Kunden fällig wird. Die zugrunde liegenden Geschäfte werden abgewickelt; der Kunde erhält sein bestelltes Fahrzeug und bezahlt dafür den vereinbarten Kaufpreis an den Hersteller. Dann steht dem Handelsvertreter seine Provision zu. Das klingt zunächst unproblematisch – und ist es unter normalen Umständen auch.

Halbleiter-Problematik gefährdet Vertragserfüllung durch den Hersteller

Seit Beginn der Corona-Pandemie und dem damit einhergehenden Halbleitermangel sind die „normalen“ Verhältnisse im Automobilhandel allerdings stark beeinträchtigt. Wegen unterbrochener Lieferketten und der teilweise unzureichenden Bevorratung der Hersteller mit notwendigen Bauteilen können die Hersteller ihren Vertragspflichten gegenüber den Kunden seit längerem vermehrt nur noch mit erheblicher Verzögerung oder bisweilen gar nicht nachkommen. Dadurch häufen sich Stornierungen von Seiten der Hersteller und Rücktritte durch die Kunden, sodass ein Großteil der vermittelten Geschäfte nicht ausgeführt werden können.

Provision trotz Nichtbelieferung durch den Hersteller?

Für Handelsvertreter stellt sich daher die Frage, ob sie im Falle von herstellerseitigen Stornierungen und Kundenrücktritten in Folge von Nichtbelieferung durch den Hersteller ihre Provision erhalten. Das Problem dahinter: Den Handelsvertretern sind gewissermaßen die Hände gebunden. Denn derartige herstellerseitige Stornierungen oder Kundenrücktritte wegen langer Lieferzeiten entziehen sich ihrem Einflussbereich. Die Folge: Würde der Provisionsanspruch dabei stets nur dann fällig werden, wenn der Kunde den Kaufpreis tatsächlich bezahlt, würde den Handelsvertretern trotz ordnungsgemäßer Vermittlungsleistung und einwandfreier Kundenbetreuung keine Vergütung für ihre geleistete Arbeit zustehen.

HGB-Vorschrift wahrt den Provisionsanspruch

Doch unter bestimmten Umständen müssen Hersteller für die Vermittlungsleistung ihrer Handelsvertreter auch dann Provisionen zahlen, wenn die vermittelten Geschäfte nicht ausgeführt wurden und die Kunden den Kaufpreis nicht entrichtet haben. Dafür hat der Gesetzgeber eine faire Regelung getroffen, die nicht durch vertragliche Vereinbarung zulasten der Handelsvertreter ausgeschlossen oder eingeschränkt werden kann: § 87a Abs. 3 HGB. Danach hat der Handelsvertreter trotz Nichtausführung des Geschäfts auch dann einen Anspruch auf seine Provision, wenn und soweit die Nichtausführung auf Umständen beruht, die vom Hersteller zu vertreten sind (§ 87a Abs. 3 S. 2 HGB).

Dreh- und Angelpunkt: Das Vertretenmüssen

Der Begriff des Vertretens i. S. v. § 87a Abs. 3 S. 2 HGB umfasst nicht nur Vorsatz und Fahrlässigkeit des Herstellers, sondern darüber hinaus auch alle Umstände,

  • die in seinen Risiko- oder Verantwortungsbereich fallen und
  • die seinem Unternehmen oder (Geschäfts-)Betrieb zuzuordnen sind.

In die Risikosphäre des Herstellers fallen folglich nicht nur sein Tun und Unterlassen, sondern auch alle sonstigen in seiner Person und im Betrieb seines Handelsgewerbes liegenden Umstände. Darunter sind z. B. die fehlerhafte Kalkulation im Hinblick auf die Bevorratung mit Bauteilen für die Herstellung der Vertragsware, Probleme des Bezugs und Transports der Rohstoffe sowie Lieferschwierigkeiten der Vorlieferanten zu fassen.

Wichtig | Nichtvertretenmüssen ist im Umkehrschluss anzunehmen, wenn die fehlende Ausführung des Geschäftes auf Umständen beruht, die sich vollständig dem Risiko- und Einflussbereich des Herstellers entziehen. Das ist z. B. bei unvorhersehbaren, unverschuldeten Betriebsstörungen, unkalkulierbaren und plötzlichen staatlichen Zwangsmaßnahmen sowie bei Zufall oder höherer Gewalt, der Fall.

Hersteller berufen sich auf Nichtvertretenmüssen

Deswegen berufen sich die Hersteller in der momentanen Situation häufig darauf, dass sie ihrer Vertragspflicht aufgrund von Rohstoffmangel als Folge der unvorhersehbaren und unkalkulierbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs nicht nachkommen können.

De facto liegt die Nichtausführung oftmals im Risikobereich der Hersteller

Lieferverzögerungen, auf die Kunden den Rücktritt vom Kaufvertrag stützen, beruhen aber oftmals nicht auf versperrten Transportwegen. Vielmehr ist häufig eine unzureichende Bevorratung der Hersteller mit notwendigen Bauteilen bei Bekanntwerden der potentiellen Auswirkungen der Corona-Pandemie die Ursache. Darüber hinaus ist die Halbleiter-Problematik seit 2021 aufgrund zahlreicher Medienberichte bekannt.

Praxistipp | Für Handelsvertreter lohnt es sich deswegen, genauer hinzuschauen. Denn wenn Hersteller im sicheren Wissen, dass sie vermittelte Kaufverträge aufgrund der Auswirkungen der Pandemie nicht oder nicht in angemessener Zeit erfüllen können, weiter Kaufverträge durch ihre Handelsvertreter vermitteln lassen, ist die Nichtausführung der Geschäfte auch ihrem Risikobereich zuzuordnen.

So gehen „Agentur-Autohäuser“ am besten vor

Selbstverständlich schließt sich für Handelsvertreter hier die Frage an, wie sie sicher herausfinden können, ob der Hersteller die Nichtausführung tatsächlich zu vertreten hat. Dies ist Handelsvertretern kaum möglich, da sie keine Einblicke in die internen Prozesse der Hersteller haben.

Gesetz ist zunächst auf der Seite der Handelsvertreter

An dieser Stelle hilft aber die gesetzliche Beweislast weiter: Geht es um den Erhalt der Provision trotz Nichtausführung des Geschäftes, haben Handelsvertreter lediglich darzutun, dass das Geschäft (ganz oder teilweise) nicht ausgeführt wurde und auch nicht mehr ausgeführt werden kann. Das gelingt ganz einfach, denn als Handelsvertreter haben Sie aufgrund Ihres Aufgabenbereichs und der engen Beziehung zu Ihrem Kunden Kenntnis darüber, ob ein Kunde zurückgetreten ist und das Fahrzeug deswegen nicht ausgeliefert wurde.

Hersteller trägt Darlegungs- und Beweislast

So dann trägt der Hersteller die sog. Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die Nichtausführung nicht zu vertreten hat. Er muss also beweisen, dass er sich ausreichend bevorratet hat und alles Nötige getan hat, um einen Kundenrücktritt wegen Lieferverzögerungen z. B. durch die kostenlose Bereitstellung von Ersatzmobilität, zu vermeiden. Gelingt dem Hersteller die Nachweiserbringung nicht oder nicht ausreichend, nimmt die Rechtsprechung ein Vertretenmüssen an. In diesem Fall hat der Hersteller dem Handelsvertreter die Provision zu zahlen.

Fazit | Nur wenn die Hersteller nachweisen können, dass sie die Umstände, die zur Nichtausführung der Geschäfte geführt haben, nicht zu vertreten haben, sind sie von der Pflicht zur Provisionszahlung befreit. Der pauschale Verweis auf höhere Gewalt allein führt aber nicht zum Ausschluss des Provisionsanspruchs. Deswegen sollten Autohäuser, die als Handelsvertreter auftreten, im Falle der Nichtausführung von Geschäften aufgrund von Kundenrücktritten oder Stornierungen durch den Hersteller stets ihre Provision einfordern. Dann muss der Hersteller erstmal beweisen, dass er die Umstände, die zur Nichtausführung des Geschäfts geführt haben, nicht zu vertreten hat.

AUSGABE: ASR 5/2023, S. 4 · ID: 49330567

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