Gesetzgebung
Neue Gesetze fördern die (voll-)digitale Gerichtsverhandlung
Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Aug. 2024 abgeschlossen.
GesetzgebungDie wichtigsten Änderungen durch das neue Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz
| Manchmal geht es im Gesetzgebungsverfahren viel schneller als erwartet: so bei der Digitalisierung der Justiz (Entwurf vom 6.3.24, BT-Drucksache 20(10493 = BR-Drucksache 126/24; AK 24, 83). Nun ist schon das „Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“ vom 12.7.24 verkündet worden (vgl. BGBl. Teil I vom 16.7.24 Nr. 234, iww.de/s11301). Die einzelnen Neuregelungen sind im Wesentlichen am 17.7.24 in Kraft getreten. |
1. Allgemeine Änderungen
In § 32 Abs. 1a StPO ist geregelt, dass Papierakten, die in Straf- oder Bußgeldsachen vor dem 1.1.26 angelegt worden sind, als Hybridakten wie folgt weitergeführt werden dürfen: In Papier angelegte Aktenteile können weiterhin in Papierform geführt werden, die Weiterführung der Akte ist jedoch elektronisch möglich.
In allen Verfahrensordnungen ist es jetzt möglich, die prozessuale Schriftform für von Naturalbeteiligten oder Dritten in Papierform unterzeichnete Anträge oder Erklärungen, z. B. Insolvenzanträge, durch elektronische Übermittlung als Scan zu wahren (vgl. z. B. § 130a Abs. 3 S. 3 ZPO). Das gilt für Bevollmächtigte, Vertreter oder Beistände. Lediglich in Straf- und Bußgeldverfahren ist dies in § 32a Abs. 3 S. 3 StPO bzw. durch die Verweisung in § 110c S. 1 OWiG auf professionelle Verfahrensbeteiligte, nämlich auf Verteidiger und Rechtsanwälte, beschränkt worden.
2. Änderungen in der StPO
Die elektronische Nutzungspflicht des § 32d S. 2 StPO ist erstreckt worden auf
- die Rücknahme der Berufung,
- die Rücknahme der Revision sowie
- den Einspruch gegen den Strafbefehl und dessen Rücknahme.
Beachten Sie | Diese Änderung tritt nach Art. 50 Abs. 3 des Gesetzes aber erst am 1.1.26 in Kraft.
Für die Stellung eines Strafantrags bzw. einer Strafanzeige gilt:
- Entsprechend der früheren Praxis kann die einfache Strafanzeige i. S. d. § 158 Abs. 1 StPO auch elektronisch formlos gestellt werden. Die Vorgabe „mündlich oder schriftlich“ in § 158 Abs. 1 S. 1 StPO ist gestrichen worden und die Strafanzeige muss lediglich durch die die Anzeige aufnehmende Person entsprechend protokolliert oder in sonstiger Weise dokumentiert werden. Bei schriftlich oder elektronisch eingereichten Strafanzeigen oder -anträgen erfolgt dies dadurch, dass die Anzeige zum Ermittlungsvorgang oder zur Akte genommen wird.
- Ist ein förmlicher Strafantrag für die Strafverfolgung erforderlich, werden nach § 158 Abs. 2 StPO die Schriftform und ihr elektronisches Äquivalent nach § 32a StPO – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zum nicht digitalen Strafantrag – nicht mehr benötigt. Voraussetzung ist aber, dass die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person aus der Erklärung und den Umständen ihrer Abgabe eindeutig ersichtlich sind.
Früher galten zwingende Schriftformerfordernisse für
- Einwilligungen in Maßnahmen nach den §§ 81f, 81g und 81h StPO,
- Bestätigungen des Erhalts der Belehrung nach § 114b Abs. 1 StPO oder
- Verzichte auf Einwendungen gegen die Einziehung nach § 424 Abs. 2 StPO.
Diese sind nun weggefallen. Es besteht jetzt ggf. auch die Möglichkeit, dass die Abgabe der Erklärung durch die Strafverfolgungsbehörden protokolliert oder in sonstige Weise dokumentiert wird.
An der Revisionshauptverhandlung können nach einer Änderung des § 350 StPO Angeklagte, ihre gesetzlichen Vertreter, Verteidiger sowie die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft auf ihren jeweiligen Antrag hin durch die Nutzung von Videokonferenztechnik auch von einem anderen Ort aus teilnehmen. Das gleiche gilt für Nebenkläger, Nebenklageberechtigte sowie die Personen, die nach § 397 Abs. 2 S. 3, § 404 Abs. 3 und § 406h Abs. 2 S. 2 sowie § 429 Abs. 1 und § 444 Abs. 2 S. 1 StPO von dem Termin zu benachrichtigen sind.
Beachten Sie | Diese Möglichkeit besteht nach Art 50 Abs. 2 des Gesetzes erst ab dem 17.7.25.
3. Änderungen im OWiG
In der Praxis ist in der Vergangenheit um den Anwendungsbereich des § 110c OWiG viel gestritten worden. Dabei ist es insbesondere um die Frage gegangen, ob § 32d S. 2 StPO, auf den § 110c OWiG verweist, auch für den durch einen Rechtsanwalt eingelegten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gilt.
Dieser Streit hat sich durch die Änderungen in § 110c OWiG erledigt. Denn nach § 110c S. 2 OWiG gilt die Nutzungspflicht des § 32d S. 2 StPO nun ausdrücklich (auch) für
- den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid,
- die Rücknahme des Einspruchs und
- den Verzicht auf den Einspruch.
Beachten Sie | Diese Änderung tritt nach Art. 50 Abs. 3 des Gesetzes erst am 1.1.26 in Kraft.
4. Änderung im RVG
§ 10 Abs. 1 S. 1 RVG ist wie folgt neu gefasst worden (vgl. iww.de/ak, Abruf-Nr. 50104995): „Der Rechtsanwalt kann die Vergütung nur aufgrund einer von ihm oder auf seine Veranlassung dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung fordern; die Berechnung bedarf der Textform.“ Einer eigenhändigen Unterschrift des Rechtsanwalts unter die Rechnung bedarf es zur Dokumentation der Verantwortungsübernahme also nicht mehr.
Diese Neuregelung war überfällig. Denn in den Zeiten von beA war die bisherige gesetzliche Regelung nicht mehr zeitgemäß. So war es z. B. nicht mehr möglich, im gerichtlichen Verfahren eine ordnungsgemäße Kostenrechnung nachzureichen, obwohl dies zu „Papierzeiten“ unproblematisch war. Dort konnte der Anwalt eine eigenhändig unterschriebene Rechnung der für den Beklagten bestimmten Schriftsatzausfertigung beifügen und diese dem Beklagten zustellen. Seit der Einführung des beA war diese Möglichkeit jedoch ausgeschlossen, da das Gericht dem Beklagten nur noch eine einfache Kopie per beA zustellte.
Auch bei der Übermittlung per Textform kann sichergestellt werden, dass der Rechtsanwalt die Verantwortung für die Rechnung trägt. Insoweit ist der ursprüngliche Entwurf dahin gehend ergänzt worden, dass der Rechtsanwalt die Rechnung selbst verschickt oder deren Versand veranlasst haben muss. Damit bleibt es dabei, dass der Anwalt auch bei Übersendung in Textform die berufs- und strafrechtliche Verantwortung für den Inhalt seiner Rechnung übernimmt und hierfür zur Verantwortung gezogen werden kann.
5. Änderungen in der ZPO und im ArbGG
Durch den neuen § 130e ZPO bzw. § 46h ArbGG sind die wirksame Abgabe und der wirksame Zugang von empfangsbedürftigen Willenserklärungen erleichtert worden, die in bei Gericht elektronisch eingereichten Schriftsätzen enthalten sind. Danach gilt eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der gesetzlich oder rechtsgeschäftlich bestimmten materiell-rechtlichen Schriftform (§ 126, § 127 Abs. 1 und 2 BGB) oder elektronischen Form (§ 126a, § 127 Abs. 1 und 3 BGB) bedarf, als in dieser Form zugegangen, wenn sie in einem Schriftsatz nach Maßgabe der prozessualen Vorgaben des § 130a ZPO als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht und dem Empfänger zugestellt oder formlos mitgeteilt (vgl. § 270 ZPO) wird.
Die Regelung ist zunächst auf vorbereitende Schriftsätze i. S. d. §§ 129, 130 ZPO bezogen. Über Verweise, insbesondere in § 70 Abs. 2, § 253 Abs. 4, § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5, § 549 Abs. 2, § 551 Abs. 4 und § 575 Abs. 4 ZPO, ist sie aber auch auf bestimmende Schriftsätze anwendbar.
Beachten Sie | Vergleichbare Regelungen finden sich im ArbGG.
AUSGABE: AK 8/2024, S. 131 · ID: 50105472