Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Juli 2024 abgeschlossen.
BerufsrechtBei angeblicher Verhandlungsunfähigkeit darf Anwaltskammer Gutachten anordnen
| Behauptet ein Anwalt jahrelang, er sei verhandlungsunfähig, darf die Kammer nach Ansicht des AGH Hamm ein Gutachten zu der Frage anordnen, ob er seinen Anwaltsberuf noch sachgemäß ausführen kann. |
Sachverhalt
Die StA hatte gegen einen Anwalt mehrere Anklagen erhoben und beim AnwG war ein berufsrechtliches Verfahren anhängig. Als Termine anberaumt wurden, behauptete der Berufsangehörige jeweils unter Hinweis auf eine vor Jahren bei einem Unfall erlittene schwere Gehirnerschütterung und zahlreiche entsprechende ärztliche Gutachten, dass er verhandlungsunfähig sei. Die Anwaltskammer zweifelte deswegen seine Berufsfähigkeit an und forderte ihn auf, ein Gutachten zu seinem Gesundheitszustand vorzulegen. Denn die Berufszulassung ist zu widerrufen, wenn der Anwalt gesundheitlich nicht nur vorübergehend berufsunfähig ist und die Rechtspflege durch die weitere Berufsausübung gefährdet wäre (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO). Um die Voraussetzungen für einen Widerruf zu prüfen, darf die Kammer die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens verlangen (§ 15 Abs. 1 BRAO). Hierzu müssen Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, dass der gesundheitliche Zustand des Betroffenen sich in schwerwiegender Weise auf seine Fähigkeit auswirkt, die Belange seiner Mandanten noch sachgerecht und mit der gebotenen Sorgfalt wahrzunehmen (st. Rspr.; s. etwa BGH 25.2.22, AnwZ (Brfg) 16/21).
Entscheidungsgründe
Nach Meinung des AGH sind diese Voraussetzungen gegeben (AGH Hamm 17.11.23, 1 AGH 7/23, Abruf-Nr. 241552): Der Berufsangehörige hat selbst über Jahre hinweg seine durchgängig bestehende Verhandlungsunfähigkeit behauptet und zum Beweis zahlreiche ärztliche Bescheinigungen und Gutachten vorgelegt. Bei der Frage, ob ein Anwalt seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, kommt es in erster Linie auf die Fähigkeit zur ordnungsgemäßen und sorgfältigen Wahrnehmung der Interessen der Rechtsuchenden an. Zwar kann diese Fähigkeit auch bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen ungeschmälert sein. In der entschiedenen Sache sind aber angesichts des Zeitablaufs und der vielfach präsentierten ärztlichen Atteste Zweifel an der Berufsfähigkeit gerechtfertigt. Sie können nur durch ein spezielles Gutachten ausgeräumt werden.
Relevanz für die Praxis
Die auf § 15 BRAO gestützte Anordnung eines Gutachtens muss eindeutig erkennen lassen, mit welchen Fragen zum Gesundheitszustand des Rechtsanwalts sich der Gutachter befassen soll. Konkret bezeichnete Krankheitsbilder sind im Auftrag an den Sachverständigen aber nicht anzugeben. Die ärztliche Einordnung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse ist allein Aufgabe des beauftragten Arztes, nicht der Kammer (BGH 6.7.09, AnwZ [B] 81/08).
AUSGABE: AK 7/2024, S. 112 · ID: 49871901