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Interview„Wenn alle Arzneimittel lieferbar sind, bringt das E-Rezept richtig Spaß“
| Das rosafarbene Rezept aus Papier ist nahezu Geschichte. Seit dem 01.01.2024 gilt das E-Rezept für fast alle verschreibungspflichtigen Medikamente. Wie kommen Apotheken, Ärzte und Patienten mit der Neuerung zurecht? Ursula Katthöfer (www.textwiese.com) hat sie gefragt. |
Inhaltsverzeichnis
Erfahrungen von Apotheken
Apothekerin Karen Baumgart ist Inhaberin der Friesen-Apotheke in Karlsruhe und Mitglied der „Gruppe Karlsruher Apotheker“. Sie äußert sich zur Erfahrung der Apotheken.
Frage: Das E-Rezept kann bereits seit dem 01.09.2022 in Apotheken eingelöst werden, es gab eine Pilotphase. Wie waren die Erfahrungen?
Antwort: Durch technische Probleme gab es anfangs ein großes Durcheinander. Schleswig-Holstein sollte eine der Pilotregionen sein, zog aber wegen des mangelnden Datenschutzes die Notbremse. Weitere Bundesländer fingen später an als geplant. Zu den Startschwierigkeiten gehörte auch, dass wir von der Politik nicht ausreichend informiert wurden. Unterstützung gab es aus den Reihen der Kammern und Verbände der Apotheken.
In unserer Apotheke setzen wir die Technik der gematik bereits seit 2021 ein. Doch die ersten E-Rezepte kamen erst im August 2023. Es wurden von Monat zu Monat mehr, inzwischen machen sie etwa 85 Prozent der Gesamtzahl aus. Privatversicherte und BtM-Rezepte sind noch ausgenommen. Leider gibt es täglich Ausfälle in der TI, sodass in den Arztpraxen keine E-Rezepte ausgestellt und in den Apotheken auch keine eGK bearbeitet werden können (s. https://fachportal.gematik.de/ti-status). Das ist für alle Beteiligten purer Stress und untragbar.
Frage: Wie hat sich Ihr Workflow verändert?
Antwort: Mit den neuen Abläufen mussten wir uns anfreunden, doch wir hatten das Gerät ja bereits und mussten unser Kassensystem nur einmalig anpassen. Wenn alle Arzneimittel lieferbar sind, bringt es richtig Spaß. Das Kassensystem verarbeitet die Verordnung sehr schnell, der Kommissionierautomat wirft die Medikamente aus, ich habe sie vorliegen und kann dem Kunden alles erklären. Ich muss deutlich weniger händisch eingeben – die Genauigkeit ist hoch, wenn in der Arztpraxis alles korrekt ausgestellt wurde.
Frage: Und wenn nicht alle Medikamente lieferbar sind?
Antwort: Bei Lieferschwierigkeiten kann das E-Rezept nicht abgerechnet werden, wenn weitere Verordnungen daran hängen. Dann müssen wir das E-Rezept digital trennen. Diesen Aufwand hatten wir mit dem Papierrezept nicht. Auf Papier konnten wir sehr viel mehr dokumentieren, z. B. wenn etwas nicht lieferbar war. Zwar sollte die Gefahr von Retaxationen durch die neue Gesetzeslage seit August 2023 deutlich reduziert werden, aber leider haben die Krankenkassen neue Wege gefunden, um belieferte Rezepte trotzdem auf null zu retaxieren. Wenn z. B. jemand am Samstag um 19:00 Uhr mit einem dringenden Entlassrezept kommt, ist die Situation bei E-Rezepten komplizierter als beim Papierrezept. Soweit wir die verordnete Packungsgröße nicht vorrätig hatten, reichten beim Papierrezept Text oder Stempel mit Unterschrift. Jetzt müssen wir mehrere Punkte eingeben und digital signieren. Da muss ich sehr genau gucken, um die richtige Begründung für die Krankenkasse anzugeben. Falls dies nicht geschieht, drohen den Apotheken erneut Null-Retaxationen, d. h., obwohl der Patient in der Apotheke korrekt versorgt wurde, bezahlt die Kasse nicht einen Cent für das Rezept. Das gleiche Problem besteht, wenn der Arzt z. B. die BSNR (Betriebsstättennummer) im Datenfeld vergessen hat oder andere Formfehler von der Arztpraxis im E-Rezept enthalten sind.
Frage: Wie bewerten die Kunden die digitale Neuerung?
Antwort: Einige Kunden sind noch verunsichert, doch viele sind positiv überrascht, dass es so einfach ist. Es kommt vor, dass die Kunden bei uns in der Apotheke stehen, die Ärzte das E-Rezept aber noch nicht signiert haben. Manche Ärzte machen das erst am Abend. Das führt zu einem veränderten Kundenverhalten. Früher gingen die Kunden schnell mit ihrem Papierrezept in die Apotheke im Ärztehaus oder in der Nähe des Arztes. Jetzt nehmen sie das E-Rezept auf ihrer Gesundheitskarte mit und gehen zu einer anderen Apotheke. Leider kann der Kunde die Verordnungen auf der eGK nicht sehen und weiß somit nicht, was genau verordnet wurde.
Frage: Welche Erfahrungen machen Sie in der Zusammenarbeit mit den Ärzten?
Antwort: In den meisten Fällen ist die Zusammenarbeit gut. Leider müssen wir in der Apotheke aber immer zum Hörer greifen, um Fehler auf den E-Rezepten zu korrigieren. Das kostet uns Zeit, die wir nicht haben. Oft erfolgt die Signatur auch einfach zu spät und das Verständnis dafür ist bei den Kunden nicht vorhanden. Wir in der Apotheke bekommen dann häufig den Ärger und Frust zu hören.
Frage: Das E-Rezept kann auch per App in der Apotheke eingelöst werden. Der Vorteil ist: Ihre Kunden können vorher anfragen, ob das Medikament vorrätig ist oder ob der Botendienst es nach Hause bringt. Wie wird dieser Service bisher angenommen?
Antwort: Die gematik-App „Das E-Rezept“ ist noch sehr unbekannt und es ist nicht so einfach, sich darin zu registrieren. Die Registrierung erfolgt über eine PIN mit der eGK bzw. über die Krankenkasse mit der elektronischen Gesundheitsakte. Das ist nicht selbsterklärend und für ältere Kunden kompliziert. Sind diese Hürden jedoch geschafft, ist die App wirklich praktisch und eine schöne Geschichte.
Erfahrungen von Ärzten
Dr. Lutz Weber, Hausarzt in Laupheim und Bezirksvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands für Südwürttemberg, berichtet aus der Sicht der Ärzte.
Frage: Der Arztberuf ist ein Heil-, kein IT-Beruf. Die Ärzteschaft stand dem E-Rezept zunächst kritisch gegenüber. Wie ist die Haltung heute?
Antwort: Generell stehen wir Ärzte der Digitalisierung aufgeschlossen gegenüber, doch sollte sie den Alltag nicht verkomplizieren. Der Start des E-
Rezepts ist gut verlaufen. Es gibt aber noch Stolpersteine. So haben wir immer wieder Fehlermeldungen, weil der Konnektor nicht funktioniert. Dann steht der Patient in der Apotheke, die Apotheke ruft an und fragt, ob wir das E-Rezept tatsächlich freigeschaltet haben. Das kostet Zeit und Nerven. Es hat gedauert, bis wir herausgefunden haben, dass wir den Konnektor dann neu starten müssen. Auch haben wir schon bei uns im System nach einem Fehler gesucht, schlussendlich aber war der Server bei der gematik ausgefallen. Hinzu kommt, dass wir nicht nur den Heilberufsausweis, sondern auch den Praxisausweis benötigen. Wenn in der Hektik eine PIN falsch eingegeben wird, steht die Praxis erst einmal still.
Frage: Patienten mit Dauermedikation können nun in ihrer Praxis anrufen und sich ein Rezept elektronisch ausstellen lassen, sofern ihre Versichertenkarte für das Quartal eingelesen wurde. Entlastet das Ihr Team?
Antwort: Nicht spürbar, wir haben immer noch einen hohen Patientenandrang an der Anmeldung. Doch wir drucken seltener, verbrauchen weniger Papier und Toner. Wirklich schneller geht das Unterschreiben, da ich von jedem Computerarbeitsplatz aus signieren kann. Ich unterschreibe mehrmals am Tag einen ganzen Schwung. Für den Patienten mag es von Vorteil sein, wenn er im Nordseeurlaub ist, sich wegen des E-Rezepts bei uns telefonisch meldet und das Medikament am Urlaubsort in einer Apotheke abholen kann. Doch es gibt Missverständnisse. Die Patienten glauben, dass ihr Medikament sofort verfügbar ist, weil alles elektronisch abläuft. Sie bedenken nicht, dass wir in der Praxis zunächst die Indikation prüfen, nach Interaktionen sehen und unterschreiben müssen. Diese Zeitverzögerung war bisher das größte Problem. Das könnte sich bessern, wenn Patienten die notwendige App haben und sehen, ob das Medikament freigeschaltet und in der Apotheke abholbereit ist.
Frage: Einige Verordnungen wie z. B. Blutzuckerteststreifen, Hilfsmittel oder Heilmittel wie Physiotherapie werden nach und nach auf das E-Rezept umgestellt. Damit laufen zwei Workflows parallel. Ist das sinnvoll?
Antwort: Das ist ein wesentlicher Kritikpunkt am E-Rezept. Es ist nicht vollständig durchdacht. Diese Parallelität verwirrt die Patienten. Einerseits erspart das E-Rezept ihnen den Weg in die Praxis für ihr Dauermedikament, andererseits müssen sie wegen einer Heilmittelverordnung dennoch kommen. Hausbesuchs- und Heimpatienten wurden komplett vergessen. Für sie müssen wir das digitale Rezept ausdrucken und per Fax an die Apotheke schicken, damit sie die Medikamente ausliefern kann.
Erfahrungen von Patienten
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, nimmt die Perspektive der Patienten ein.
Frage: Sie haben der Ärzteschaft vorgeworfen, das E-Rezept zu verzögern. 20 Jahre hat es gedauert, nun ist es da. Wo sehen Sie die Vorteile für die Patienten?
Antwort: Dauerhaft verschriebene Arzneimittel können mit dem E-Rezept einfach telefonisch bestellt und ohne Umwege in der Apotheke abgeholt werden. Es braucht keine App und nur noch einen Arztbesuch im Quartal. Die
Voraussetzung ist jedoch, dass die Eingabe der Praxis korrekt ist und der Datentransfer zur Apotheke funktioniert sowie unmittelbar erfolgt. Doch niedergelassene Ärzte arbeiten mit über 120 verschiedenen Systemen. In vielen Praxen werden E-Rezepte gesammelt und erst später freigegeben. So können zwischen Termin und Einlösung mehrere Stunden vergehen. Gerade für gehbehinderte, pflegebedürftige und alte Patienten ist das eine Tortur.
Frage: Die Stiftung vertritt Schwerstkranke, Pflegebedürftige und Sterbende. Wie kommt diese Patientengruppe mit dem E-Rezept zurecht?
Antwort: Digitale Neuerungen sind immer eine Herausforderung für technisch nicht versierte Menschen. Dazu gehören mehr als 20 Prozent der über 65-Jährigen. Deshalb müssen niedergelassene Ärzte ihre Patienten über die Handhabung des E-Rezepts lückenlos aufklären. Wichtig ist hier, dass jeder weiterhin Anspruch auf den kostenlosen Ausdruck seines Rezepts hat. Auch bei der Umsetzung in der ambulanten und stationären Altenpflege hapert es noch. Pflegeheime etwa müssen erst ab 2025 an die für das E-Rezept notwendige TI angebunden sein. Bis dahin können E-Rezepte nur in Arztpraxen ausgestellt werden. Auch ist die mobile Verschreibung – z. B. bei Hausbesuchen – durch fehlende Software derzeit nicht möglich.
Frage: Das E-Rezept verzögerte sich u. a. deshalb, weil lange am Datenschutz gefeilt wurde. Sehen Sie diesen nun gewährleistet?
Antwort: Der Datenschutz muss gewährleistet sein, denn bei der Übermittlung von medizinischen Daten geht es um hochsensible Informationen. Doch Hackerangriffe zeigen tagtäglich, dass kein System zu 100 Prozent sicher ist.
Frage: Heil- und Hilfsmittel werden nach wie vor auf Papier verordnet. Auch das blaue und das grüne Rezept bleiben vorerst. Ist das eine unnötige Zettelwirtschaft oder eine sinnvolle Übergangsregelung?
Antwort: Die digitale Arzneimittelverordnung bleibt Stückwerk. Immerhin werden allein rund 40 Mio. grüne Rezepte für nicht verschreibungspflichtige Medikamente im Jahr ausgedruckt. Es ist notwendig, dass auch Heil- und Hilfsmittel sowie hocheffiziente Schmerzmittel mittels E-Rezept zur Verfügung gestellt werden. Anstatt auf Vollständigkeit zu setzen, hält die Ampelkoalition den Papierdschungel aufrecht. Der Bundesgesundheitsminister muss hier für eine vollumfängliche Digitalisierung sorgen.
AUSGABE: AH 6/2024, S. 2 · ID: 49958914