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ArzneimittelversorgungLieferengpässe: Möglichkeiten zur besseren Zusammenarbeit von Arztpraxen und Apotheken
| Noch nie gab es so viele Lieferengpässe bei wichtigen Arzneimitteln wie es aktuell der Fall ist. Umso wichtiger ist, dass alle Beteiligten – vor allem Arztpraxen und Apotheken – zum Wohle der Patienten wie ein Uhrwerk zusammenarbeiten. Damit dies jedoch gelingen kann, ist es wichtig, die Handlungsoptionen der anderen Zahnräder überhaupt zu kennen. |
Inhaltsverzeichnis
- Gezielte Recherche: die offizielle Lieferengpasstabelle
- Wichtigste Handlungsoption: Mehrere Rezepte ausstellen
- Mögliche Änderungen an einer ärztlichen Verordnung durch eine Apotheke bei Lieferengpässen
- Mögliche Änderungen an einer ärztlichen Verordnung nach Rücksprache durch eine Apotheke bei Lieferengpässen
Gezielte Recherche: die offizielle Lieferengpasstabelle
Für die Bewertung und die Dokumentation von Lieferengpässen bei Humanarzneimitteln ist das Sachgebiet „Lieferengpass“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zuständig. Die zuverlässigsten Informationen darüber, ob ein zu verordnendes Arzneimittel gerade lieferfähig ist oder ob man besser direkt eine mögliche Alternative verschreiben sollte, erhält man daher online bei der Website pharmnet-bund.de des BfArM (Tabelle online unter iww.de/s8117). Innerhalb dieser Tabelle sind die folgenden Spalten besonders relevant:
Anwendungsbeispiel |
Anfang Mai waren insgesamt rund 480 Lieferengpässe gemeldet. Gibt man zur gezielten Recherche z. B. bei „Wirkstoffe:“ „Amoxicillin“ ein und klickt anschließend auf „Filter“, so erhält man rund 25 Treffer. Über einen Klick auf „Filter zurücksetzen“ gelangt man nach erfolgreicher Suche wieder zur ursprünglichen Tabelle zurück. |
- Details (klickt man hier auf „Einblenden“, so erhält man weiterführende Informationen wie z. B. den Hinweis auf evtl. vorhandene lieferfähige Verordnungsalternativen)
- Ende (das voraussichtliche Ende dieses Lieferengpasses)
- Grund (es gibt „Produktionsproblem“ und „Sonstige“, nähere Informationen zu der Angabe „Sonstige“ erhält man oft in Spalte 1 unter „Einblenden“)
- AM-Bezeichnung (Abkürzung für Arzneimittelbezeichnung)
- Wirkstoffe
Wichtigste Handlungsoption: Mehrere Rezepte ausstellen
Soll ein Patient zwei verschiedene Arzneimittel erhalten und ist eines davon gemäß der offiziellen Lieferengpasstabelle momentan schwer erhältlich, so bietet es sich an, die Verordnungen auf zwei getrennten Rezepten auszustellen. Der Patient wird dann das eine Medikament ohne Schwierigkeiten sofort in einer Apotheke erhalten und kann sich danach gezielt auf die Suche nach dem vom Engpass betroffenen Arzneimittel machen. Vor allem im Notdienst ist es häufig so, dass eine diensthabende Apotheke das erste Medikament spontan vorrätig hat und eine andere hingegen das zweite. Die Ausstellung separater Rezepte bietet stets allen Beteiligten die besten Handlungsoptionen.
Mögliche Änderungen an einer ärztlichen Verordnung durch eine Apotheke bei Lieferengpässen
Befristet bis zum 01.08.2023 gelten erst einmal noch die nun schon mehrfach verlängerten Ausnahmeregelungen nach SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (SARS-CoV-2-AMVersV) bei Nichtlieferfähigkeit von Arzneimitteln sowie der Akutversorgung von Patienten. Dies umfasst fünf Fälle, in denen die Apotheke gemäß § 1 Abs. 3 S. 6 SARS-CoV-2-AMVersV selbstständig, d. h. ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt, Veränderungen am Rezept vornehmen darf. Die Ausnahmeregelungen gelten dabei nicht nur für den Notdienst, sondern auch im regulären Tagesgeschäft.
Fall 1: halbe Stärke – doppelte Menge
Ist ein Arzneimittel der Stärke 100 mg mit einer Menge von 100 Tabletten verschrieben, so dürfen auch 200 Tabletten des gleichen Arzneimittels der Stärke 50 mg abgegeben werden und der Patient muss die doppelte Dosis einnehmen.
Fall 2: doppelte Stärke – halbe Menge
Ist ein Arzneimittel der Stärke 100 mg mit einer Menge von 100 Tabletten verschrieben, so dürfen auch 50 Tabletten des gleichen Arzneimittels der Stärke 200 mg abgegeben werden und der Patient muss die halbe Dosis einnehmen. Voraussetzung ist, dass die Tabletten dosisgleich in zwei Hälften teilbar sind.
Anmerkung zu den Fällen 1 und 2 |
Als Verordner müssen Sie sich in beiden Fällen keine Sorgen bzgl. einer möglichen Überversorgung Ihrer Patienten machen, von der Sie ggf. nichts erfahren. Gemäß § 1 Abs. 3 S. 6 SARS-CoV-2-AMVersV darf die vom Arzt verordnete Wirkstoffmenge niemals überschritten werden! |
Fall 3: Stückelung verschiedener Teilstärken zur Gesamtstärke
Sind 100 Tabletten der Stärke 125 μg verschrieben, so darf auch eine 100er-Packung Tabletten der Stärke 100 μg und eine 100er-Packung der Stärke 25 μg abgegeben werden und der Patient muss von beiden Stärken jeweils eine Tablette einnehmen. Unglücklicherweise fällt hierbei zweimal die gesetzliche Zuzahlung für den Patienten an.
Fall 4: Stückelung verschiedener Teilmengen zur Gesamtmenge
Sind 100 Tabletten der Stärke 40 mg nicht lieferbar, so dürfen auch zwei 50er-Packungen der Stärke 40 mg verkauft werden. Leider kommt auch in diesem Fall die doppelte Zuzahlung auf den Patienten zu.
Fall 4 a: ungünstigere Konstellation mit Rückmeldung an die Arztpraxis
Ist jedoch auch die 50er-Packung nicht lieferbar und sind nur 30er-Packungen erhältlich, so darf man auch auf die Abgabe von drei Packungen zu je 30 Stück ausweichen. Leider schlägt in diesem Fall die Zuzahlung gleich dreimal zu Buche, so dass diese Lösung meist nur bei befreiten Patienten oder Arzneimitteln ohne Zuzahlung von den Apotheken in die Tat umgesetzt wird.
Hinweis zur optimalen Zusammenarbeit |
Im angegebenen Beispiel zu Fall 4a hat der Patient zehn Tabletten weniger erhalten als vom Arzt verordnet. Daher sollte jede Apotheke die Arztpraxis telefonisch über die kürzere Reichdauer informieren. Es ist zudem sehr wichtig, diese weitergegebenen Informationen dann auch in die Kartei des Patienten einzutragen, um später eine lückenlose Versorgung zu garantieren! Bedauerlicherweise berichten Patienten immer wieder darüber, dass ihnen bei der Bestellung des nächsten Rezepts mitgeteilt wurde, sie hätten „doch noch so und so viele Tabletten“ und bekämen daher jetzt noch keine Folgeverordnung. Hier kommt es auf die gelungene Kommunikation zwischen Apotheke und Arztpraxis an. |
Fall 5: Umgehung des Aut-idem-Kreuzes
Ist ein nicht lieferfähiges Arzneimittel unter Setzen des Aut-idem-Kreuzes verordnet worden, so darf tatsächlich auch das Aut-idem-Kreuz außer Kraft gesetzt und ein entsprechendes verfügbares Medikament von einem anderen Hersteller abgegeben werden. Durch das Anwenden der SARS-CoV-2-AM-VersV ist trotz des Aut-idem-Kreuzes weder ein neues Rezept noch eine Gegenzeichnung des Arztes notwendig.
Mögliche Änderungen an einer ärztlichen Verordnung nach Rücksprache durch eine Apotheke bei Lieferengpässen
Nach einer Rücksprache mit dem Arzt ist mit Blick auf die Rezepte und die verordneten Arzneimittel noch deutlich mehr möglich. Eine Option besteht nur bei bestimmten Kostenträgern: Diese lassen zu, dass die Substitutionsausschlussliste nach telefonischer Rücksprache (ohne Ausstellung eines neuen Rezepts!) umgangen wird. Dazu zählen alle sechs Ersatzkassen (BARMER, DAK-Gesundheit, HEK, hkk, KKH und TK), die AOK NordWest, die Knappschaft, die SVLFG, die IKK classic sowie die BKKen des Landesverbands BKK Nordwest.
Sollte keines der zuvor genannten Beispiele zu einer zufriedenstellenden Lösung führen, so darf – ebenfalls nach Arztrücksprache – sogar der ursprünglich verordnete Wirkstoff gegen einen ähnlichen Wirkstoff ausgetauscht werden (sog. Aut-simile-Substitution). Äquivalenzdosistabellen als Hilfestellung zur Dosisanpassung finden Sie bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA, online unter iww.de/s8126).
Hinweis zur optimalen Zusammenarbeit |
Ruft eine Apotheke in einer Arztpraxis an und bittet um die Besprechung einer Aut-simile-Substitution, so darf der Verordner (i. d. R.) davon ausgehen, dass alle zuvor vorgestellten Ausnahmeregelungen der SARS-CoV-2-AM-VersV bereits ausgereizt sind. |
Wenig lösungsorientiert sind Auskünfte wie z. B. „dann nehmen Sie eine andere Firma“ oder „der Patient soll alle Apotheken abklappern, ob noch jemand etwas hat“. Beide Aussagen belasten in der Folge die meist sowieso schon überlastete Telefonie der Arztpraxis, da auch die weiteren Apotheken einen identischen Anruf tätigen werden. Im Sinne einer optimalen Patientenversorgung gilt es für alle Beteiligten, ein Einzelschicksal nach dem anderen geduldig abzuarbeiten.
AUSGABE: AAA 6/2023, S. 11 · ID: 49485914