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BerufsrechtAU-Bescheinigungen ohne Patientenkontakt: „Online-Ärztin“ verliert Approbation
| Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die Berufsunwürdigkeit einer Ärztin bestätigt, die über Jahre hinweg gegen Entgelt in einem automatisierten Verfahren über das Internet massenhaft Arbeitsunfähigkeits(AU)-Bescheinigungen sowie zahlreiche Corona-Schnelltestzertifikate ohne verlässliche Prüfung ausgab. Dabei erfolgte die Ausstellung der AU-Bescheinigungen mit ihrer Unterschrift, ohne dass sie jemals mit den betreffenden Personen persönlich, per Videoschaltung oder per Telefon in Kontakt getreten war (Urteil v. 15.12.2022, Az. 3 Bs 78/22). |
Sachverhalt
Die Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe war ohne Kassenzulassung für eine GmbH ihres Sohnes tätig. Über eine Website ermöglichte sie jeder Person durch Ausfüllung eines Online-Fragebogens eine von ihr unterzeichnete AU-Bescheinigung anzufordern. So wurden unter ihrer Mitwirkung mindestens 80.000 AU-Bescheinigungen ausgestellt. Auf die AU der Anfordernden wurde dabei teilweise gar nicht eingegangen. Die Dauer der AU konnten die Patienten selbst bestimmen. Vor dem OVG stritt die Ärztin um die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Widerruf ihrer Approbation.
Entscheidung
Die Beschwerde der Ärztin blieb jedoch erfolglos. Dem OVG zufolge war zunächst die Angabe eines angeblichen „digitalen Praxissitzes“ nicht geeignet, sich einer bestimmten behördlichen und gerichtlichen Zuständigkeit zu entziehen. Eine rein digitale Praxis sei gesetzlich auch gar nicht vorgesehen.
Für die Feststellung der Berufsunwürdigkeit der Ärztin sei unerheblich, ob deren Verfehlung auch strafrechtlich geahndet wurde. Die faksimilierte bzw. handschriftliche Unterzeichnung einer AU-Bescheinigung (sowie der Selbsttest-Zertifikate) ohne Patientenkontakt sei nicht mit der nach § 25 Berufsordnung der Hamburger Ärztinnen und Ärzte (BO-H; entsprechend § 25 MBO-Ä) anzulegenden notwendigen Sorgfalt bei der Ausstellung ärztlicher Atteste vereinbar. Die hierfür notwendige Untersuchung könne zwar inzwischen auch mittelbar durch Fernbehandlung (etwa im Wege einer Videosprechstunde) erfolgen. Jedoch sei hierfür immer noch ein individueller Austausch zwischen Arzt und Patient über irgendein Kommunikationsmedium erforderlich. Bei der Verwendung eines standardisierten Online-Formulars zur Erlangung einer AU-Bescheinigung fehle es dagegen an jeglicher „Behandlung“.
Fazit | Das Urteil des OVG bestätigt: Die Feststellung einer AU allein auf Basis eines Online-Fragebogens, einer Chat-Befragung oder eines Telefonats ist – abgesehen etwa von pandemiebedingten Ausnahmen – ausgeschlossen. Mit Blick auf die Bedeutung der AU-Bescheinigung (z. B. für sozialrechtliche Leistungsansprüche) ist dies nachvollziehbar. Von den rein online generierten Bescheinigungen hatte die betroffene Ärztin nicht einmal Kenntnis. |
AUSGABE: AAA 6/2023, S. 16 · ID: 49295326