Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Mai 2022 abgeschlossen.
Berufsrecht/VerordnungBundesverwaltungsgericht stärkt Arztgeheimnis – weitreichender Schutz der Patientenakten
| Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat entschieden, dass ein Arzt die Herausgabe von Patientenakten auch dann verweigern kann, wenn ein auffälliges Verordnungsverhalten erkennbar ist. Ärzte können auf weitreichenden Schutz der Patientenakten bauen (Urteil vom 10.03.2022, Az. 3 C 1.21). |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Der Kläger ist Diplom-Psychologe und betreibt eine allgemeinmedizinische Praxis. Er verordnete über einen längeren Zeitraum hinweg für mehrere Patienten, die u. a. an dem Aufmerksamkeitsstörungssyndrom (ADHS) litten, eine Behandlung mit dem Arzneimittel Ritalin (Wirkstoff Methylphenidat). Das verschreibungspflichtige Medikament rezeptierte er den Patienten zur Therapie. Bei einer unangekündigten Kontrolle der zuständigen Behörden für die Überwachung des Betäubungsmittel(BtM)-Verkehrs in der N-Apotheke wurden 13 BtM-Rezepte, in denen vom klagenden Arzt das Medikament Ritalin verschrieben wurde, als auffällig deklariert.
Hierauf erhielt der Arzt die behördliche Anweisung, sowohl die von ihm ausgestellten BtM-Rezepte als auch diejenigen Patientenakten vorzulegen, die die Verschreibung der Ritalinbehandlung im Sinne von § 13 BtMG medizinisch begründen können. Faktisch forderte die Behörde also zur Preisgabe der Patientendokumentation inklusive der Arztbriefe und Befundberichte auf. Der Arzt verweigerte die Übersendung und berief sich auf das in § 203 StGB strafrechtlich geschützte Geheimhaltungsinteresse seiner Patienten sowie auf die in § 8 Abs. 2 Satz 2 der Berufsordnung für Ärzte Bayern (BerO) bestehende ärztliche Schweigepflicht. Im Übrigen erklärte er, dass eine medizinische Begründetheit der Verschreibung nach § 13 BtMG vorliege. Gegen das behördliche Herausgabebegehren richtete sich die Klage des Arztes.
Entscheidungsgründe
Das BVerwG kam zu dem Schluss, dass die Herausgabe der Patientenakten gegen geltendes Recht verstoße. Die für die Überwachung des BtM-Verkehrs zuständigen Behörden haben keinen Anspruch auf Einsicht in die ärztlichen Patientenakten.
Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG seien die Überwachungsbehörden zwar befugt, Unterlagen über den BtM-Verkehr in Augenschein zu nehmen und hiervon Abschriften oder Kopien anzufertigen, soweit sie für die Sicherheit oder Kontrolle des BtM-Verkehrs von Bedeutung sein können. Ob hiervon aber auch die Herausgabe von Patientenakten umfasst ist, sieht das BVerwG kritisch und erteilte dem final eine Absage.
§ 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist nicht auf die Herausgabe von sensiblen Patientenakten anwendbar.
§ 22 Überwachungsmaßnahmen |
Die mit der Überwachung beauftragten Personen sind befugt, Nr. 1.) Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung oder das der Herstellung folgende Inverkehrbringen ausgenommener Zubereitungen einzusehen und hieraus Abschriften oder Ablichtungen anzufertigen, soweit sie für die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen von Bedeutung sein können, (…) |
Es bestünde kein hinreichender Auslegungsspielraum sowohl was die Wortlautauslegung, noch die Systematik oder die Entstehungsgeschichte der Norm beträfe, um besonders geschützte Gesundheitsdaten an Dritte weiterzugeben. Dies gelte auch, wenn die Behörden überprüfen wollen, ob die Verschreibung des Betäubungsmittels der begründeten Anwendung im menschlichen Körper diene, vgl. § 13 BtMG.
Es sei nicht erkennbar, dass der Wille des Gesetzgebers dahingehend zu verstehen sei, dass Unterlagen über den BTM-Verkehr auch Patientenunterlagen umfassen solle. Insofern kommt es auch nicht darauf an, dass die Behörde die (Patienten)-Unterlagen zur effektiven Überwachung des Inverkehrbringens von Betäubungsmitteln überprüfen wollen.
Anderes gelte für die Befugnis zur Einsicht in Betäubungsmittelrezepte. Diese müsse der Kläger auch nach Auffassung des BVerwG herausgeben. Sie finde in § 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, § 8 Abs. 5 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung eine hinreichend bestimmte und auch im Übrigen verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage.
Fazit | Die Auffassung des BVerwG überzeugt, denn erlaubte Überwachungsmaßnahmen im Sinne der Norm sind neben der Einsicht von Unterlagen u. a. das Betreten von Räumlichkeiten und Grundstücken oder die Probenentnahme zum Zwecke der Untersuchung der Betäubungsmittel. Diese Maßnahmen sind aber nicht vergleichbar mit dem behördlichen Verlangen auf Herausgabe einer Patientenakte. Bei der Patientenakte handelt es sich um besonders geschützte Unterlagen, die im Rahmen des zwischen Arzt und Patient bestehenden Vertrauensverhältnisses angefertigt werden. Die Patienten dürften im Regelfall nicht damit rechnen, dass aufgrund der Verordnung von verschreibungspflichtigen Medikamenten hieraus eine behördliche Befugnis erwächst, in die geschützte Patientenakte Einsicht zu erhalten. In eine solche Weitergabe müssten Patienten sowieso zunächst einmal ausdrücklich einwilligen. Denn etwaige Einsichtsrechte Dritter kommen nur in Betracht bei
Weitere Einschränkungen ergeben sich seit Einführung der DS‑GVO auch hieraus, weil Gesundheitsdaten i. S. v. Art. 4 Nr. 15 DS-GVO besonders geschützt sind. Die Herausgabe von sensiblen Patientenunterlagen bedarf einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Diese findet sich in § 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG jedenfalls nicht. Damit ein behördliches Herausgebeverlangen wirksam durchsetzbar ist, bedarf es wohl einer gesetzlichen Konkretisierung des Begriffs der Unterlagen über den BtM-Verkehr. Dies aber kann nur im Rahmen einer Gesetzesänderung erfolgen. Patientenunterlagen sind und bleiben vorerst keine Unterlagen über den BtM-Verkehr und sind deshalb nicht herausgabepflichtig. Rezeptdurchschläge gelten hingegen als Unterlagen im Sinne des BtM-Gesetzes und müssen bei etwaigen Herausgabeverlangen an die Behörden übermittelt werden. |
AUSGABE: AAA 5/2022, S. 15 · ID: 48238103