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WettbewerbsverstoßWettbewerbstätigkeit eines Rechtsanwalts während des Kündigungsschutzverfahrens?
| Zwar ist dem ArbN auch während eines Kündigungsschutzverfahrens unerlaubter Wettbewerb untersagt. Er muss aber seine beruflichen Fähigkeiten im Rahmen anderweitigen Verdiensts verwerten. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie einer weiteren außerordentlichen Kündigung, die die ArbG hilfsweise als ordentliche ausgesprochen hat. Die ArbG ist eine Rechtsanwaltsgesellschaft, die sich überwiegend mit Massenverfahren (Abgas, Wirecard) befasst.
Im Oktober 2022 forderte die ArbG alle Dezernate auf, ihre Akten durchzusehen und abzulegen, um so einen aktuellen Aktenbestand zu ermitteln. Im Bereich „Versicherungsrecht und allgemeines Zivilrecht“ sei dabei festgestellt worden, dass lediglich 393 laufende Akten zur Bearbeitung angelegt gewesen seien. Mit drei Anwälten sei ein solches Dezernat nicht kostendeckend zu führen.
W, die personalverantwortlich gewesen sei, habe dem ArbN in zwei Gesprächen im November 2022 und Januar 2023 die schwierige wirtschaftliche Situation des Unternehmens erläutert. Hier habe sie insbesondere auf die schrumpfende Zahl der Abgasverfahren und die Tatsache, dass auch die Abteilung allgemeines Zivilrecht defizitär arbeite, hingewiesen. Der ArbN habe erklärt, dass er in den Massenverfahren nicht mitwirken wolle. Er habe zugesagt, dass er sich hinsichtlich der Akquise neuer Mandate Gedanken machen wolle. Die wirtschaftliche Situation des Unternehmens habe sich dann deutlich verschlechtert. W habe drei Rechtsanwälten ordentlich gekündigt, die im allgemeinen Bereich Zivilrecht beschäftigt gewesen seien. Ein freier Arbeitsplatz zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung sei nicht vorhanden gewesen. Aufgrund der besagten Organisationsentscheidung, den Bereich „Versicherungsrecht und allgemeines Zivilrecht“ zu schließen, sei das Beschäftigungsbedürfnis für den ArbN entfallen.
Ab April 2023 – so die ArbG – habe der ArbN in einer Kanzlei in D gearbeitet. Von dort aus habe er gegenüber bisherigen Mandanten deutlich gemacht, dass er nun für eine andere Kanzlei arbeite und in der Lage sei, die Mandate fortzuführen. Das sei der Grund für die zweite Kündigungserklärung gewesen. Auch wenn die erste Kündigung wegen der Schließung der Abteilung „Versicherungsrecht und allgemeines Zivilrecht“ ausgesprochen worden sei, sei nach ihrer Auffassung eine Tätigkeit in einer anderen Kanzlei auf diesem Gebiet als unerlaubter Wettbewerb zu werten. In einer Anwaltskanzlei würden grundsätzlich sämtliche Tätigkeiten eines Anwalts angeboten. Sie habe die Tätigkeiten an andere Anwälte ausgelagert. Diese könnten für sie die entsprechenden Dienstleistungen erbringen.
Der ArbN trägt vor, er bestreite, eine Arbeit im Bereich der Massenverfahren abgelehnt zu haben. Der Vortrag der ArbG, sie habe drei Rechtsanwälten gekündigt, sei falsch. So habe sein Kollege eine Eigenkündigung ausgesprochen. Eine verbotene Konkurrenztätigkeit habe er nicht ausgeübt. Insbesondere habe er keine Mandanten der ArbG abgeworben, geschweige denn vertreten.
Entscheidungsgründe
Das LAG Köln (24.4.25, 6 SLa 302/24, Abruf-Nr. 248378) wies die Berufung der ArbG zurück. Das Arbeitsgericht habe zu Recht und mit zutreffender Begründung erkannt, dass das Arbeitsverhältnis durch die streitgegenständlichen Kündigungen nicht beendet worden sei.
Die erste Kündigung habe das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Sie sei gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, denn sie sei nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Insbesondere sei sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, denn die Beendigungskündigung wegen des Wegfalls des Beschäftigungsbedürfnisses aufgrund einer Organisationsentscheidung komme unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann in Betracht, wenn auch eine Änderungskündigung als milderes Mittel ausscheide (BAG 21.4.05, 2 AZR 132/04). Zu Recht habe das Arbeitsgericht aber erkannt, dass eine Änderungskündigung als milderes Mittel möglich gewesen wäre. Diese Möglichkeit bestehe auch noch, wenn der betroffene ArbN zuvor auf Nachfrage die anderweitige Beschäftigung abgelehnt habe, es sei denn, er wäre ausdrücklich mit der Möglichkeit einer Änderungskündigung konfrontiert worden. Dass dies geschehen wäre, habe die ArbG bis zuletzt nicht behauptet.
Die Möglichkeit einer Änderungskündigung habe im konkreten Fall im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung auch noch bestanden. Zugunsten der ArbG könne daher unterstellt werden, dass sie tatsächlich die Schließung des Bereichs „Versicherungsrecht und allgemeines Zivilrecht“ beschlossen habe. Der Vortrag der ArbG zur fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Bereich der Massenverfahren sei so widersprüchlich und lückenhaft, dass die Annahme des ArbN, es habe dort freie Arbeitsplätze gegeben, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig angenommen werden könne.
Die zweite Kündigung habe das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch ordentlich beenden können. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB sei nicht ersichtlich. Zwar sei dem ArbN, der sich (wie sich später herausstellt: erfolgreich) gerichtlich gegen eine Kündigung wende, auch während der Zeit des Kündigungsschutzverfahrens untersagt, unerlaubten Wettbewerb zu betreiben. Zu berücksichtigen sei, dass sich der ArbN einer Kündigungsschutzklage nach neuerer Rechtsprechung des 5. Senats des BAG um eine anderweitige Beschäftigung kümmern müsse, wenn ihm nicht der Vorwurf des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdiensts im Sinne des § 615 S. 2 BGB gemacht werden solle.
Werde im Übrigen die in Art. 12 GG geschützte Berufswahlfreiheit des ArbN in die Interessenabwägung eingestellt, so sei keine Tatsache ersichtlich, die eine Abweichung von der erstinstanzlichen Entscheidung rechtfertigen könne:
- Die ArbG habe zum unlauteren Wettbewerb des ArbN durch Betreuung oder Ansprache ihrer Mandanten nichts Einlassungsfähiges vorgetragen.
- Die bloße Tatsache, dass der ArbN nach Erhalt der Kündigung nach dem sodann eingetretenen Ablauf der Kündigungsfrist eine Rechtsanwaltstätigkeit in D aufgenommen habe, möge zugunsten der ArbG noch als ein wichtiger Grund „an sich“ erkannt werden (bereits vom Arbeitsgericht zitiert: BAG 23.10.14, 2 AZR 644/13).
- Jedenfalls ergebe sich aus der Interessenabwägung, dass keine Tatsachen vorliegen, aufgrund derer es der ArbG unzumutbar gewesen wäre, den ArbN bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.
- Der ArbN habe nicht im K Einzugsbereich, sondern in D seine Tätigkeit aufgenommen; er habe dort seine Tätigkeit auf ein Fachgebiet fokussiert, dessen Bearbeitung nach der eigenen Darstellung der ArbG von ihr selbst bzw. durch eigene Anwälte nicht mehr angeboten worden sein solle; er habe die ordentliche Kündigungsfrist abgewartet; schließlich fehle es dem Vortrag der ArbG an jeglicher Konkretisierung der von ihr behaupteten Wettbewerbsentfaltung.
- Die pauschale Behauptung einer solchen Wettbewerbsentfaltung mit dem Beweisantritt „W“ erlaube jedenfalls keine Beweisaufnahme, die nicht in eine unzulässige Ausforschung des Sachverhalts münden müsse.
Relevanz für die Praxis
Nach § 615 S. 2 BGB muss sich der ArbN im Rahmen der Verzugslohnansprüche den Verdienst anrechnen lassen, den er während dieses Zeitraums anderweitig erwirbt, oder böswillig zu erwerben unterlässt. Damit muss die Arbeitskraft auch nach Ablauf der Kündigungsfrist verwertet werden. Das kann im Fall einer Kündigungsschutzklage mit der Pflicht kollidieren, unerlaubten Wettbewerb auch während eines schwebenden Kündigungsschutzverfahrens zu unterlassen. Nun ist aber, wie das LAG Köln betont, nicht jede Verwertung der Arbeitskraft automatisch unerlaubter Wettbewerb – auch nicht im Bereich anwaltlicher Tätigkeit. Hierfür muss vielmehr der ArbG konkrete Indizien vortragen, um eine Kündigung zu begründen oder Verzugslohnansprüche abzuwehren.
AUSGABE: AA 8/2025, S. 131 · ID: 50489532