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UrlaubIm Prozessvergleich kann nicht auf gesetzlichen Urlaub verzichtet werden: Was ist zu beachten?

Abo-Inhalt07.08.202547 Min. LesedauerVon Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

| Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein ArbN selbst durch einen gerichtlichen Vergleich nicht auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“, entschied brandaktuell das BAG (3.6.25, 9 AZR 104/24, Abruf-Nr. 248523). Was ist bei der Urlaubsgewährung in der Praxis zu beachten? |

1. Rechtliche Grundlagen

Nach § 3 Abs. 1 BUrlG hat ein ArbN im Arbeitsverhältnis bei einer 6-Tage-Woche einen Anspruch auf einen gesetzlichen Mindesturlaub von mindestens 24 Werktagen, also mindestens vier Wochen. Ein darüber hinausgehender Urlaubsanspruch kann individuell, tarifvertraglich oder durch Betriebsvereinbarung vereinbart werden.

Praxistipp | Der tatsächliche Mindesturlaubsanspruch richtet sich nach der Länge der Arbeitswoche, das bedeutet:

  • 6-Tage-Woche: mindestens 24 Urlaubstage
  • 5-Tage-Woche: mindestens 20 Urlaubstage

Wie viel Urlaubstage einem Teilzeitbeschäftigten oder einem geringfügig Beschäftigten (sog. Minijobber) zustehen, hängt maßgeblich von der Verteilung der Arbeitszeit ab. Grundsätzlich haben auch Mitarbeiter, die weniger Stunden leisten, einen gesetzlichen Anspruch auf vier Wochen bezahlten Mindesturlaub. Gewährt ein ArbG seinen Mitarbeitern mehr Erholungsurlaub, stehen auch den ArbN mit geringerer Wochenarbeitszeit mit Rücksicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz ebenso viele Tage zu.

Leistet ein ArbN in Betrieben mit regelmäßig sechs Arbeitstagen pro Woche seine individuell reduzierten Arbeitsstunden ebenfalls an sechs Tagen pro Woche ab, stehen ihm ebenso viele Urlaubstage zu wie den Vollzeitmitarbeitern. Dies gilt entsprechend in Betrieben mit einer Fünftagewoche, wenn die Teilzeitarbeit ebenfalls auf fünf Tage verteilt ist.

Anders sieht es hingegen aus, wenn der ArbN seine Arbeitsstunden zum Beispiel an nur drei Tagen pro Woche ableistet. In diesem Fall genügen auch drei Urlaubstage für eine ganze Urlaubswoche. Der gesetzlich vorgegebene Mindesturlaubsanspruch reduziert sich dann auf zwölf Tage, die insgesamt einen Jahresurlaub von vier Wochen ergeben.

Praxistipp | Die (Mindest-)Urlaubstage von Teilzeitmitarbeitern und geringfügig Beschäftigten berechnen sich nach folgender Formel:

(Urlaubsanspruch Vollzeit x Arbeitstage des Teilzeitmitarbeiters pro Woche) / übliche Arbeitstage pro Woche in Vollzeit.

Beispiel

Ein Vollzeitmitarbeiter erhält 30 Tage bezahlten Urlaub. Der Teilzeitmitarbeiter arbeitet an vier Tagen pro Woche, im Unternehmen gilt die Fünftagewoche. Es ergibt sich folgende Rechnung:

(30 x 4) / 5 = 24 Urlaubstage für den Teilzeitbeschäftigten.

Der volle Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub entsteht erstmals nach einer sechsmonatigen Zugehörigkeit zum ArbG (§ 4 BUrlG). Der Urlaub ist grundsätzlich zusammenhängend zu gewähren, es sei denn er muss aus dringenden betrieblichen Gründen oder aus privaten Gründen des ArbN geteilt werden (§ 7 Abs. 2 S.1 BUrlG). Bei Teilung muss dem ArbN Urlaub an zwölf zusammenhängenden Werktagen gewährt werden (§ 7 Abs. 2 S. 2 BUrlG). Das BUrlG regelt weiterhin, unter welchen Voraussetzungen nicht in Anspruch genommene Urlaubstage in das Folgejahr übertragen werden oder wie Urlaubsansprüche beim Ausscheiden aus dem Betrieb zu behandeln sind. Grundsätzlich verfällt der Urlaubsanspruch am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG).

Praxistipp | Das BAG (19.2.19, 9 AZR 541/15) entschied bereits 2019, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann nach § 7 Abs. 1 BurlG am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums erlischt, wenn der ArbG den ArbN zuvor konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann, und der ArbN den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Konnte der Urlaub aus dringenden betrieblichen oder in der Person des ArbN liegenden Gründen (z. B. Krankheit) nicht vollständig in Anspruch genommen werden, wird er in das nächste Jahr übertragen und ist innerhalb der ersten drei Monate zu nehmen (§ 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG). Längere Übertragungszeiträume können einzelvertraglich oder durch Tarifvertrag vereinbart werden. Kann der (Rest-)Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden, ist der nicht erfüllte Urlaub abzugelten (§ 7 Abs. 4 BUrlG).

Sachverhalt (BAG 3.6.25, 9 AZR 104/24, Abruf-Nr. 248523)

Der ArbN war fast vier Jahre als Betriebsleiter beschäftigt. 2023 erkrankte der ArbN zu Beginn des Jahres bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im April 2023 durchgehend. Deshalb konnte er seinen Urlaub aus diesem Jahr nicht in Anspruch nehmen. Beendet wurde das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien schließlich durch einen arbeitsgerichtlichen Vergleich. Dabei verständigten sich die Parteien auf eine Abfindung in Höhe von 10.000 EUR und eine Kündigung durch den ArbG.

In einer Ziffer des Vergleichs hieß es: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“ Im Vorfeld des Vergleichs wies der Anwalt des ArbN ausdrücklich darauf hin, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam verzichtet werden könne. Unter Verweis auf die rechtlichen Bedenken erklärte sich die ArbN-Seite dann mit dem Vergleich einverstanden. Mit seiner Klage verlangte der ArbN, die noch offenen sieben Tage gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 abzugelten. Der im gerichtlichen Vergleich geregelte Verzicht auf den unabdingbaren Mindesturlaub sei unwirksam. Die Vorinstanzen, zuletzt das LAG Köln (11.4.24, 7 Sa 516/23), gaben der Klage statt.

2. Die Entscheidung des BAG

Die Revision des ArbG vor dem BAG war erfolglos. Der ArbN habe gem. § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung seines nicht erfüllten gesetzlichen Mindesturlaubs. Der Urlaub sei nicht durch die Vereinbarung im Vergleich erloschen, weil ein Verstoß gegen § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG vorliege.

Der Prozessvergleich enthielt im Streitfall zunächst keinen Tatsachenvergleich, auf den § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG nicht anzuwenden wäre, so das BAG weiter. Ein solcher liegt vor, wenn Parteien sich nicht sicher sind, ob ein Anspruch tatsächlich besteht und diese Zweifel durch gegenseitiges Nachgeben aus dem Weg geräumt werden. Weil der ArbN jedoch seit Anfang 2023 durchgehend arbeitsunfähig gewesen ist, bestehe kein Grund zu zweifeln, dass der Urlaubsanspruch tatsächlich bestehe.

Beachte | Ein Tatsachenvergleich setzt nach § 779 BGB voraus, dass eine bestehende Ungewissheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden soll (BAG 8.12.22, 6 AZR 459/21, Abruf-Nr. 234089). Es muss also ein Unsicherheitsmoment vorhanden sein, ob der Anspruch dem Grunde nach oder in der geltend gemachten Höhe besteht. Eine völlig unstreitige Forderung kann nicht Gegenstand eines wirksamen Tatsachenvergleichs sein. Wenn eine Klausel einen nach § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs regele, sei sie nach § 134 BGB unwirksam. Weder der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub noch ein erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehender Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs dürfe im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. Dies gelte auch, wenn der Arbeitsvertrag durch einen Vergleich beendet wird und klar ist, dass der ArbN den Urlaub wegen Krankheit gar nicht wahrnehmen kann. Es gilt also:

  • Ein gesetzlicher Urlaubsanspruch kann nicht durch Verzicht gem. § 397 Abs. 1 BGB zum Erlöschen gebracht werden. Nach § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG kann, abgesehen von § 7 Abs. 2 S. 2 BUrlG, vom BUrlG nicht zuungunsten des ArbN abgewichen werden. Der Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 BUrlG ist gemäß § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG damit unverzichtbar. Die Vorschrift stellt sicher, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub im laufenden Arbeitsverhältnis gewahrt bleibt. Ferner sichert die Bestimmung den Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann. Der gesetzliche Schutzzweck würde verfehlt, wenn der Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung während des Arbeitsverhältnisses durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen oder beschränkt werden könnte (BAG 14.5.13, 9 AZR 844/11, Abruf-Nr. 131878; BAG 19.2.19, 9 AZR 278/16, Abruf-Nr. 211425). Der Anreiz zum Verzicht auf den Erholungsurlaub ist mit den Zielen unvereinbar, die mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolgt werden. Diese sollen u. a. gewährleisten, dass ArbN zum wirksamen Schutz ihrer Sicherheit und ihrer Gesundheit über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen (EuGH 6.11.18, C-684/16, Abruf-Nr. 205302).
  • Der gesetzliche Urlaubsanspruch kann erst rechtsgeschäftlich eingeschränkt werden, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist. Denn der gesetzliche Schutzzweck des § 13 Abs. 1 S. 3 BurlG würde verfehlt, wenn der Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung während des Arbeitsverhältnisses durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen oder beschränkt werden könnte (LAG Rheinland-Pfalz 9.6.21, 2 Sa 116/20, Abruf-Nr. 227528; LAG München 12.1.23, 3 Sa 358/22, Abruf-Nr. 237061). Etwas anders gilt auch nicht, wenn das bevorstehende Ende des Arbeitsverhältnisses mit dem Abschluss der einschränkenden Vereinbarung verbindlich feststeht (streitig: a. A. LAG Berlin-Brandenburg 19.2.16, 8 Sa 1923/15, Abruf-Nr. 187291).
  • Nichts anderes folgt aus Gemeinschaftsrecht: Der bezahlte Mindesturlaub darf nach Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG (4.11.03, ABl. L 299 – Arbeitszeitrichtlinie) über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Im bestehenden Arbeitsverhältnis darf der ArbN somit nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“.
  • Diese Grundsätze gelten aber nur für den Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub oder auf tarifvertragliche Urlaubsansprüche. Es kann also auf einzelvertraglich vereinbarten Mehrurlaub verzichtet werden. Ein solcher Verzicht kann sich insbesondere aus sog. Ausgleichsklauseln ergeben, die oft in gerichtlichen oder außergerichtlichen Aufhebungsvergleichen oder -vereinbarungen enthalten sind, soweit diese der AGB-Kontrolle standhalten.

3. Praktische Konsequenzen im Arbeitsverhältnis

Das BAG-Urteil bestätigt: ArbG dürfen auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung hinsichtlich gesetzlicher Mindesturlaubsansprüche nicht vertrauen. Da der Urlaub Erholungszwecken zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Arbeitskraft des ArbN dient, steht er unter dem besonderen Schutz des Gesetzgebers. Der ArbG kann deshalb den Urlaubsanspruch des ArbN nicht einfach „abkaufen“; nicht anderes gilt für die Urlaubsabgeltung.

Verstößt der ArbG gegen diese Spielregeln, trägt er das rechtliche und wirtschaftliche Risiko, gesetzliche Urlaubs- oder Abgeltungansprüche nachträglich erfüllen zu müssen. Abweichende Regelungen bleiben aber in Bezug auf den Urlaub möglich, der über den gesetzlichen Urlaub hinaus zusätzlich gewährt wird. ArbG sollten deshalb gerade bei Vereinbarungen mit dem ArbN hinsichtlich Urlaubsgewährung bzw. -abgeltung aus Anlass der Arbeitsvertragsbeendigung besondere Sorgfalt walten lassen.

Weiterführende Hinweise
  • Wissenswertes zum Thema „Arbeitszeitkonten im Unternehmen“ in AA 25, 119
  • Anspruch auf Urlaub nach der Elternzeit: LAG Baden-Württemberg in AA 24, 56

AUSGABE: AA 8/2025, S. 139 · ID: 50489907

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