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MitbestimmungBetriebsrat versus ChatGPT: Wie weit geht die Mitbestimmung?

Abo-Inhalt26.02.2024253 Min. Lesedauer

| Vorgaben des ArbG zur Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Tools in Form von Richtlinien oder Handbüchern fallen unter das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten und begründen kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG. |

Sachverhalt

Der Konzern-Betriebsrat (BR) verlangt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes von der ArbG u. a., dass diese den ArbN den Einsatz von ChatGPT und anderen Systemen der Künstlichen Intelligenz (KI) verbietet.

Die ArbG möchte generative KI als neues Werkzeug den ArbN zur Arbeitsunterstützung nutzbar machen. Nach kurzzeitiger Sperrung des Internetzugangs zu ChatGPT auf den Systemen schaltete die ArbG das Tool zur Nutzung durch die ArbN wieder frei. Sie veröffentlichte am selben Tag auf deren Intranetplattform die „Guidelines for Generative Al Utilization“, die Generative KI-Richtlinie Version 1 und das Handbuch „Generative al Manual ver.1.0.“. Diese machen den ArbN Vorgaben, wenn sie bei der Arbeit IT-Tools mit künstlicher Intelligenz bei der Arbeit nutzen. Gleichzeitig veröffentlichte sie eine Erklärung an die ArbN, in der über die KI-Leitlinien informiert wird und in der diese erklärte: „Nutzen wir die generative KI als neues Werkzeug, um unsere Arbeit zu unterstützen.“

ChatGPT und andere Systeme der generativen KI wurden dabei nicht auf den Computersystemen der ArbG installiert. Die Nutzung erfolgt mittels Webbrowser und erfordert nur die Anlegung eines Accounts auf dem Server des jeweiligen Herstellers. Wollen die ArbN ChatGPT nutzen, müssen sie eigene private Accounts anlegen. Dienstliche Accounts werden von der ArbG zurzeit nicht erteilt. Sofern die Nutzung Kosten verursacht, müssen diese die ArbN tragen. Die ArbG hat keine Informationen, welcher ihrer ArbN einen Account eingerichtet hat; wann, in welchem Zusammenhang und wie lange er das Tool nützt und welche Informationen er gegenüber dem System preisgibt.

Der BR forderte die ArbG auf, neben ChatGPT auch die weiteren Programme zu sperren und wies darauf hin, dass, solange nicht eine Rahmen-Betriebsvereinbarung zum Thema KI fertiggestellt ist, die Nutzung von KI basierten Tools und Software weiterhin untersagt wird.

Der BR meint, die ArbG habe durch die Entsperrung von ChatGPT verbunden mit der Veröffentlichung von Richtlinien zur Nutzung generativer KI die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte grob verletzt. Es bestehe ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, da den ArbN durch die Guideline bzw. das Handbuch bei der Anwendung von KI Vorgaben gemacht würden. Ferner bestehe bei Einführung und Anwendung von KI ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, wenn personenbezogene Informationen hinsichtlich der Nutzung von KI durch die ArbN erfasst und verarbeitet würden. Auch sei nicht ersichtlich, wie die ArbG überprüfen wolle, wie die Guidelines eingehalten und ChatGPT im „Non-Training-Modus“ genutzt würden. Auch sei das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG berührt, da mit der Einführung neuer Software psychische Belastungen der ArbN einhergehen könnten.

Die ArbG ist der Auffassung, dass der Einsatz von ChatGPT keinen Überwachungsdruck begründen könne, da sie technisch keine Eingriffs-, Kontroll- bzw. Zugriffsmöglichkeit auf ChatGPT habe. Die für die ArbN freiwillige Nutzung von ChatGPT sei im Ergebnis nicht anders zu bewerten, wie die Nutzung der Google-Suchfunktion zur Arbeitserledigung. Gegen § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG werde nicht verstoßen, da ChatGPT ein Arbeitsmittel sei. Daher sei hier das Arbeits- und nicht das Ordnungsverhalten betroffen. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erfordere stets die Speichermöglichkeit und die anschließende Zugriffsmöglichkeit durch den ArbG. Das sei technisch unmöglich, solange den Beschäftigten keine Firmenaccounts zur Verfügung gestellt würden.

Entscheidungsgründe

Das Arbeitsgericht Hamburg (16.1.24, 24 BVGa 1/24, Abruf-Nr. 239886) wies die Anträge des BR zurück. Die ArbG habe bei den Maßnahmen, die zur Gestattung der Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Konkurrenzprogramme durch die ArbN geführt haben, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht verletzt.

Nach der ständigen BAG-Rechtsprechung habe der BR nur mitzubestimmen bei Maßnahmen, die das Ordnungsverhalten der ArbN betreffen. Dieses sei berührt, wenn die Maßnahme auf die Gestaltung des kollektiven Miteinander oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs ziele (BAG 27.9.05, 1 ABR 32/04). Mitbestimmungsfrei seien dagegen Maßnahmen, die das Arbeitsverhalten der ArbN regelten. Darum handele es sich, wenn der ArbG kraft seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts näher bestimme, welche Arbeiten auszuführen seien und in welcher Weise das geschehen solle. Mitbestimmungsfrei seien deshalb Anordnungen, mit denen lediglich die Arbeitspflicht konkretisiert werde (BAG 23.8.18, 2 AZR 235/18). Die Entscheidung, ob, wann und wie die vertraglich zugesagte Arbeit zu erledigen sei und wie deren Erbringung kontrolliert und gesichert werde, falle nicht unter den Mitbestimmungstatbestand (BAG 15.4.14, 1 ABR 85/12).

Wende man die Grundsätze der Rechtsprechung an, so fielen die Vorgaben zur Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer Tools unter das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten. Die ArbG stelle ihren ArbN ein neues Arbeitsmittel unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung. Richtlinien, Handbuch usw. seien Anordnungen, die die Art und Weise der Arbeitserbringung betreffen, weshalb kein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bestehe.

Der BR habe ausgeführt, dass durch die Erlaubnis der ArbG, die ArbN können entscheiden, ob sie ChatGPT einsetzen, letztlich zwei Gruppen von ArbN geschaffen werden, nämlich die Gruppe der ArbN, die KI gegenüber aufgeschlossen seien und die Gruppe, die dieser Entwicklung skeptisch gegenüberstehen. Daher seien das Zusammenleben der Belegschaft und damit das Ordnungsverhalten betroffen. Habe der ArbG nur Anordnungen getroffen, wie die Arbeit zu leisten sei, sei mit dem gesetzgeberischen Willen ein Beteiligungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht zu begründen.

Auch das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG habe die ArbG nicht verletzt. „Überwachung“ im Sinne des Mitbestimmungsrechts ist ein Vorgang, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung von ArbN seitens des ArbG erhoben und meist aufgezeichnet würden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Die Überwachung müsse durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden. Dazu müsse diese aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar die Überwachung vornehmen. Das setze voraus, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge erhebe, speichere und/oder verarbeite. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des ArbG komme es nicht an.

Es sei unstreitig, dass ChatGPT und die Konkurrenzprodukte nicht auf den Computersystemen der ArbG installiert würden. Wolle ein ArbN die Tools nutzen, müsse er diese mittels eines Browsers aufrufen. Zwar werde der Browser die Einwahl regelmäßig aufzeichnen. Dies sei aber keine Besonderheit von ChatGPT, sondern ergebe sich aus den Funktionsmöglichkeiten des Browsers, der den Surfverlauf des Nutzers abspeichert. Der Browser selbst sei somit eine technische Einrichtung, die geeignet ist, Leistungs- und Verhaltensinformationen der ArbN aufzuzeichnen. Zur Nutzung von Browsern hätten die Beteiligten bereits eine Konzernbetriebsvereinbarung abgeschlossen, daher habe der BR bereits sein Mitbestimmungsrecht ausgeübt.

Unstreitig sei, dass der ArbN selbst einen Account bei ChatGPT anlegen und eventuell entstehende Kosten selbst tragen muss. Dass etwa ChatGPT die Daten aufzeichne, führe nicht zur Mitbestimmung, denn der dadurch entstehende Überwachungsdruck werde nicht vom ArbG ausgeübt. Die ArbG könne auf die vom Hersteller gewonnenen Informationen nicht zugreifen. Auch die Vorgabe der ArbG, dass ArbN Arbeitsergebnisse, die mittels Unterstützung von KI entstanden seien, kennzeichnen müssen, führe nicht zu einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Die Kennzeichnung und die damit verbundene Kontrollmöglichkeit der ArbG, wer Chatbots einsetze, erfolge durch den ArbN selbst und nicht durch das Tool. Ebenfalls sei ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht ersichtlich, da der BR zu einer konkreten Gefährdung nichts vorgetragen habe.

Relevanz für die Praxis

Auch wenn man beim Thema KI unwillkürlich an „Ordnung im Betrieb“ oder technische Einrichtung denkt, besteht nach Auffassung des Arbeitsgerichts Hamburg kein Mitbestimmungsrecht des BR nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 oder 6 BetrVG Dies gilt zumindest dann, wenn die Nutzung der KI-Tools dem ArbN anheimgestellt wird und Daten nicht auf Servern des ArbG gespeichert werden. Der ArbG hat in diesen Fällen gerade keinen Zugriff auf etwaige vom KI-Anbieter gespeicherte und verarbeitete Daten. Auch ist durch das Angebot und die Richtlinien des ArbG allein das Arbeitsverhalten betroffen. Ob diese sorgsam begründete und KI-freundliche Entscheidung Bestand haben wird, wird die Zukunft zeigen.

AUSGABE: AA 3/2024, S. 46 · ID: 49917965

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