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Rechtsprechung AGG20 wichtige Entscheidungen zum Thema „Altersdiskriminierung“

Abo-Inhalt26.02.2024431 Min. LesedauerVon RAin Heike Mareck, Dortmund

| „BAG-Richter a. D. verklagt Bank wegen Altersdiskriminierung“, dieser Fall beschäftigte vor Kurzem das Amtsgericht Kassel (7.9.23, 435 C 777/23). Machen wir es kurz: Die Bank verlor und muss dem 88-jährigen ehemaligen Bundesrichter 3.000 EUR AGG-Entschädigung zahlen. Doch wie ist das im Arbeitsverhältnis? Wo liegen da die typischen Fälle im Bereich Altersdiskriminierung? Die folgende Rechtsprechungsübersicht befasst sich mit wichtigen Urteilen zu diesem Thema. |

Rechtsprechungsübersicht / Entscheidungen „Altersdiskriminierung“

EuGH 7.12.23, C‑518/22, Abruf-Nr. 239890

Unterschiedliche Behandlung wegen Art der Beschäftigung möglich

Die Beschäftigung einer persönlichen Assistentin, die einen Menschen mit Behinderung im Alltag unterstützt, kann Personen derselben Altersgruppe vorbehalten werden. Die sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung wegen des Alters kann aufgrund der Art der geleisteten persönlichen Assistenzdienste gerechtfertigt sein.

BGH 21.8.23, NotZ(Brfg) 4/22, Abruf-Nr. 237079 (Eilantrag vor dem BVerfG, 18.10.23, 1 BvR 1796/23 abgelehnt)

Altersgrenze für Notare ist keine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters

Die Altersgrenze für Notare ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar. Gemäß § 47 Nr. 2, § 48a der Bundesnotarordnung (BNotO) erlischt das Amt des Notars mit dem Ende des Monats, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet.

LAG Rheinland-Pfalz 25.1.22, 6 Sa 267/21, Abruf-Nr. 229090

Keine Benachteiligung wegen Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch

Der Kläger wurde zwar durch seine Nichteinstellung unmittelbar im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG unmittelbar benachteiligt, trug jedoch keine ausreichenden Indizien im Sinne von § 22 AGG vor, die für sich allein betrachtet oder in der Gesamtschau aller Umstände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der benachteiligenden Behandlung und seinem Alter der nach § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Kausalzusammenhang bestand.

VGH Baden-Württemberg 26.2.19, 9 S 2567/17, Abruf-Nr. 239891

Höchstaltersgrenze für Vermessungsingenieure rechtmäßig

Die in § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG festgesetzte Höchstaltersgrenze von 70 Jahren für öffentlich bestellte Vermessungsingenieure (ÖbV) verstößt nicht gegen höherrangiges Recht und ist insbesondere mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vereinbar.

BAG 20.2.18, 3 AZR 43/17, Abruf-Nr. 199788

Keine Altersdiskriminierung bei Hinterbliebenenversorgung

Sieht eine Regelung in einer Versorgungsordnung vor, dass Ehegatten nur dann eine Hinterbliebenenversorgung erhalten, wenn sie nicht mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte sind, liegt darin keine gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßende Diskriminierung wegen des Alters.

LAG Köln 10.9.21, 10 Sa 1264/20, Abruf-Nr. 227718 (nachgehend BAG, 3.5.22, 8 AZN 106/22, Beschluss: Verwerfung)

„Du“ in der Unternehmenssprache = Kein Indiz für Altersdiskriminierung

Das „du“ ist kein Indiz i. S. v. § 22 AGG und dafür, dass das Unternehmen vorwiegend jüngere Juristen sucht. Es lasse sich plausibel auf die von der Beklagten gewählte Unternehmenssprache zurückführen. Auch die Formulierung, dass für den Fall des Abschlusses des Studiums der Rechtswissenschaften oder des Wirtschaftsrechts „jetzt Lust darauf bestehe“, sich zu bewerben, da eine sinnvolle Verstärkung des Teams gewünscht sei, lasse keinen hinreichenden Schluss auf ein Indiz für eine Altersdiskriminierung i. S. v. § 22 AGG zu. Die zeitliche Festlegung sei aufgrund des zuvor dargestellten Gesamtzusammenhangs der Stellenausschreibung nicht als nahe zeitliche Abfolge von Studienabschluss und Bewerbung zu verstehen.

BAG 31.3.22, 8 AZR 238/21, Abruf-Nr. 230919

Regelaltersgrenze überschritten

Einen Bewerber der bereits die Regelaltersgrenze überschritten hat, deshalb nicht einzustellen, kann nach § 10 S. 1, 2 AGG gerechtfertigt sein. Im Fall der Nichteinstellung wegen Erreichens der Regelaltersgrenze ist zwar kein Regelbeispiel nach § 10 S. 3 AGG einschlägig. Wenn mit der Nichteinstellung aber u.a. eine zuverlässige Personalplanung, eine ausgewogene Altersstruktur von jüngeren und älteren Beschäftigten oder eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen bezweckt wird, ist dies ein legitimes Ziel nach § 10 S. 1 AGG. Eine solche Nichteinstellung ist vergleichbar mit dem – in der Regel zulässigen - Ende des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze. Im vorliegenden Fall wurde allerdings der Rechtsmissbrauch bejaht.

LAG Hamm 9.3.23, 11 Sa 948/22, Abruf-Nr. 235190 (anhängig BAG, 8 AZR 140/23, terminiert am 25.4.24)

Bewerbung bei Erreichen der tariflichen Grenze = keine Diskriminierung

Werden Bewerber, die tarifvertragliche Altersgrenzen überschreiten, ausgeschlossen, liegt keine Diskriminierung vor. Es liegt vielmehr ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 S. 1 AGG; Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG vor.

LAG Hessen 16.4.21, 3 Sa 129/20, Abruf-Nr. 226964

Rekrutierung von Juniorpositionen = kommt auf die Gesamtbetrachtung an

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung kann ein Indiz im Sinne des § 22 AGG für die Benachteiligung des Bewerbers wegen seines Alters im Bewerbungsverfahren darin liegen, dass der für das streitgegenständliche Bewerbungsverfahren zuständige Mitarbeiter nach den auf der Homepage des ArbG veröffentlichten Angaben für die „Rekrutierung von Juniorpositionen“ zuständig war und sich „schwerpunktmäßig um die Rekrutierung junger Talente für den direkten Einstieg ins Berufsleben“ gekümmert hat.

LAG Hessen 28.5.19, 15 Sa 116/19, Abruf-Nr. 214057

Berufseinsteiger nicht mit -anfänger gleichzusetzen, daher keine Benachteiligung

Der in einer Stellenanzeige solitär verwandte Begriff „Berufseinsteiger“ ist dem Begriff „Berufsanfänger“ in einer Stellenanzeige nicht gleichzusetzen. Anders als die in einer Stellenanzeige enthaltene Formulierung „Berufseinsteiger sowie bis zu 5 Jahre Berufserfahrung“ (vgl. BAG 11.8.16, 8 AZR 809/14) kann die solitäre Verwendung des Begriffs „Berufseinsteiger“ Personen wegen des in § 1 AGG genannten Grundes „Alter“ gegenüber anderen Personen nicht in besonderer Weise benachteiligen im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG.

BAG 26.1.17, 8 AZR 73/16, Abruf-Nr. 193786

Keine Benachteiligung: Formulierungen „erste Berufserfahrung“

„Die Auslegung der Stellenausschreibung ergibt jedoch, dass der Beklagte nicht Personen eines bestimmten Lebensalters ansprechen und andere ausschließen wollte. Der Beklagte hat nicht „eine/n Volljuristin/en“ mit „erster Berufserfahrung“ als solche oder als „Berufsanfänger“ an sich gesucht.

BAG 15.12.16, 8 AZR 454/15, Abruf-Nr. 193443

Stellenanzeige „gerade frisch gebacken aus der Ausbildung“ = Diskriminierung: ja

Die in der Stellenausschreibung enthaltene Anforderung „gerade frisch gebacken aus einer kaufmännischen Ausbildung“ kann ältere Personen gegenüber jüngeren Personen in besonderer Weise benachteiligen im Sinne von § 3 Abs. 2 Hs. 1 AGG. Sie bewirkt, soweit es an einer Rechtfertigung im Sinne von § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG fehlt, eine mittelbare Diskriminierung wegen des höheren Lebensalters.

BAG 19.5.16, 8 AZR 470/14, Abruf-Nr. 189431

Stellenanzeige mit der Formulierung „0 bis 2 Jahre“

Die „objektive Eignung“ des Bewerbers ist kein Kriterium der „vergleichbaren Situation“ oder der vergleichbaren Lage im Sinne von § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG und deshalb nicht Voraussetzung für einen Anspruch nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG. Schreibt der ArbG eine Stelle unter Verstoß gegen § 11 AGG aus, begründet dies die Vermutung im Sinne von § 22 AGG, dass der erfolglose Bewerber im Auswahlverfahren wegen eines Grundes im Sinne von § 1 AGG benachteiligt wurde. § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG enthält einen formalen Bewerberbegriff. Auf die „subjektive Ernsthaftigkeit“ der Bewerbung kommt es nicht an.

LAG Baden-Württemberg 15.1.16, 19 Sa 27/15 Abruf-Nr. 184489

„Junges hochmotiviertes Team“ gesucht = keine Altersdiskriminierung

Die Formulierung in einer Stellenanzeige, wonach ein Unternehmen ein „junges hochmotiviertes Team“ vorzuweisen habe und die Aufforderung, sich zu bewerben, wenn der oder die Bewerber/in „Teil eines jungen, hochmotivierten Teams“ werden wolle, ist nicht eindeutig. „Jung“ kann sich in diesem Zusammenhang auf den Zeitpunkt der Zusammensetzung des Teams genauso wie auf das Lebensalter der Teammitglieder beziehen. Da keines der möglichen Verständnisse überwiegend wahrscheinlich ist, fehlt auch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Benachteiligung wegen des Lebensalters.

LAG Schleswig 9.4.14, 3 Sa 401/13, Abruf-Nr. 141428

Indizien für Altersdiskriminierung beim Testing-Verfahren

Um die Vermutung einer diskriminierenden Behandlung mit den Folgen der Beweislastumkehr nach § 22 AGG auslösen zu können, muss in einem Testing-Verfahren (hier fiktive Bewerbung) neben objektiv größtmöglicher Vergleichbarkeit der Testpersonen auch die zugrunde liegende Situation mit dem Ausgangsfall vergleichbar sein und die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Auswahlentscheidung nicht von zwischenmenschlichen Aspekten oder vom Zufall abhängt.

LAG Köln 8.7.21, 6 Sa 56/21, Abruf-Nr. 224489

Sonderurlaub ab 40 Jahre = Benachteiligung

Eine tarifliche Regelung, nach der Piloten bereits ab dem 40. Lebensjahr Anspruch auf Sonderurlaubstage haben, benachteiligt jüngere Kollegen unangemessen. Zwar läge ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 Abs. 1 S. 1 AGG vor (Gesundheitsschutz oder Gesundheitsbelastungsausgleich). Die Regelung sei aber zur Erreichung dieses Ziels nicht geeignet, weil die Trennung der Gruppen „jünger als 40 Jahre / vollendete 40 Jahre und älter“ schon nicht geeignet sei.

OVG Berlin-Brandenburg 12.11.20, OVG 4 B 21.17, Abruf-Nr. 239892

Einen Tag Zusatzurlaub = Keine Benachteiligung

Die Gewährung eines weiteren Tages Zusatzurlaub für Beamte im Schichtdienst ab Vollendung des 50. Lebensjahres (§ 12a Abs. 7 S. 2 EUrlVO) ist zum Schutz älterer Beamter gerechtfertigt. Die hierin liegende Benachteiligung jüngerer Dienstkräfte verstößt nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung.

LAG Mecklenburg- Vorpommern 8.12.20, 2 Sa 152/20, Abruf-Nr. 220038

Sozialplan sieht keine Abfindung vor = Gerechtfertigte Benachteiligung

Sieht ein Sozialplan für ArbN, die eine abschlagsfreie Rente erhalten können, keine Abfindung vor, bewirkt dies zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG. Diese ist jedoch nach § 10 S. 3 Nr. 6 in Verbindung mit § 10 S. 2 AGG gerechtfertigt. Dies gilt ebenfalls im Verhältnis zu ArbN, die wegen Arbeitslosigkeit oder Rentenabschlags eine pauschale Abfindung erhalten.

BGH 26.3.19, II ZR 244/17, Abruf-Nr. 208838

Kündigungsrecht des ArbG ggü. Fremdgeschäftsführer bei Erreichen der Grenze

Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH ist insoweit als ArbN im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AGG anzusehen, wie bei einer Kündigung seines Geschäftsführerdienstvertrags der sachliche Anwendungsbereich des AGG über § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG eröffnet ist. Die Regelung im Dienstvertrag, die dem ArbG ein Kündigungsrecht einräumt für den Fall des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze, kann eine ungerechtfertigte Benachteiligung wegen des Alters sein.

Bayerischer VGH 6.12.21, 3 ZB 20.1902, Abruf-Nr. 239893

Verlängerungsmöglichkeit auf drei Jahre

Die Regelungen über die Altersgrenze und die Beschränkung der Verlängerungsmöglichkeit auf höchstens drei Jahre begründen keine unzulässige Diskriminierung. Der Überalterung entgegenzuwirken und Zukunftschancen Jüngerer zu fördern, sind zulässige Ziele, die mit der Regelaltersgrenze verwirklicht werden können.

Weiterführende Hinweise
  • 20 Entscheidungen zum Thema „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“ in AA 23, 122
  • 20 Entscheidungen zum Thema „Benachteiligung wegen ethnischer Herkunft “ in AA 23, 177

AUSGABE: AA 3/2024, S. 51 · ID: 49918063

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