Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Juli 2023 abgeschlossen.
Zuschläge/ArbeitsentgeltWas ist mit dem Zuschlag für Dauernachtarbeit?
| Soweit keine tarifvertragliche Ausgleichsregelung besteht, ist dem Nacht-ArbN für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden ein angemessener Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu zahlen, wenn nicht alternativ eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage gewährt wird. Dies erfordert regelmäßig einen Zuschlag von 30 Prozent für die Erbringung von Dauernachtarbeit, der je nach den Umständen des Einzelfalls erhöht oder herabgesetzt werden kann. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Höhe angemessener Nachtarbeitszuschläge. Der ArbG betreibt die Zustellung diverser Zeitungsprodukte. Der ArbN war als Zeitungszusteller beschäftigt und erbrachte seine Arbeit während der gesetzlichen Nachtzeit im Umfang von mehr als zwei Stunden an mehr als 48 Tagen pro Kalenderjahr. Der ArbG zahlte dem ArbN einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 10 Prozent auf den jeweiligen Bruttostundenlohn.
Der ArbN verlangt mit der Klage einen höheren Nachtarbeitszuschlag. Er meint, für seine dauerhaft während der Nachtzeit versehene Arbeitsleistung sei ein Zuschlag von insgesamt 30 Prozent auf den Bruttostundenlohn angemessen. Selbst wenn sich der ArbG für sein Zustellkonzept auf die Medienfreiheit berufen könne, dürfe das den Gesundheitsschutz der Nacht-ArbN nicht unterlaufen.
Der ArbG ist der Auffassung, mit dem gezahlten Zuschlag habe er die Arbeit in der Nachtzeit angemessen vergütet. Die gesetzgeberische Intention, Nachtarbeit möglichst zu verhindern, könne für die Zustellung von Tageszeitungen keine Geltung beanspruchen. Die Abonnenten hätten zu Recht die Erwartung, dass ihre Zeitung spätestens bis 06:00 Uhr morgens ausgeliefert werde, zumal eine spätere Zustellung einen Aktualitätsbezug der Nachrichten nicht mehr gewährleiste. Die branchenweite Festsetzung eines Nachtarbeitszuschlags in Höhe von 30 Prozent für Zeitungszusteller/innen sei ein Akt unzulässiger richterlicher Rechtsfortbildung. Die morgendliche Botenzustellung sei als Teil der grundrechtlich garantierten Pressefreiheit anzusehen, die für das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen von wertsetzender Bedeutung sei.
Im Übrigen handele es sich bei der Auslieferung von Tageszeitungen um eine leichte, körperlich und geistig nicht anstrengende Tätigkeit. Das sei bei der Frage der Angemessenheit des Zuschlags zu berücksichtigen. In die Bewertung müsse vorliegend auch die vergleichsweise geringe Dauer der Nachtarbeit einbezogen werden.
Die Vorinstanzen gaben der Klage statt (LAG Hamm 1.10.20, 18 Sa 1486/19).
Entscheidungsgründe
Die dagegen gerichtete Revision wurde zurückgewiesen (BAG 14.12.22, 10 AZR 101/21, Abruf-Nr. 234866). Der ArbG sei nach § 6 Abs. 5 ArbZG verpflichtet, soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht bestehe, dem Nacht-ArbN für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.
Dabei sei die Zahlung eines Zuschlags in Höhe von 25 Prozent auf das jeweilige Bruttostundenentgelt regelmäßig ein angemessener Ausgleich für geleistete Nachtarbeit. Bei einer Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit komme typischerweise eine Erhöhung auf 30 Prozent in Betracht. Allerdings handele es sich bei diesen Werten nicht um starre Grenzen. Es könne sowohl ein geringerer als auch ein höherer Zuschlag angemessen sein.
Vorliegend habe das LAG den Zuschlag revisionsrechtlich beanstandungsfrei mit 30 Prozent bemessen. Soweit der ArbG einwende, es handele sich bei der Zeitungszustellung um eine leichte Tätigkeit, rechtfertige dies keine andere Beurteilung, da der Zuschlag an das geschuldete Bruttoarbeitsentgelt anknüpfe. Im Übrigen gehe es um den Ausgleich für die spezifische Belastung durch die Nachtarbeit, nicht durch die Tätigkeit an sich. Daher komme es auch nicht darauf an, dass nur einige Stunden täglich Nachtarbeit geleistet werde und der ArbG für sich die Pressefreiheit beanspruchen könne.
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung liegt vollständig auf der bisherigen Rechtsprechungslinie des BAG. Für die Zeitungszustellung in Dauernachtarbeit hat der Senat in einem vergleichbaren Fall in der jüngeren Vergangenheit bereits entschieden, dass ein Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 Prozent angemessen im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG ist.
Wie im bereits entschiedenen Fall stellte der ArbG auch vorliegend im Kern auf sein Grundrecht der Pressefreiheit ab. Er müsse die Zustellung zur Nachtzeit bewirken, sodass ein höherer Zuschlag als die bereits gezahlten 10 Prozent auf das Bruttoentgelt einen Eingriff in seinen grundrechtlich geschützten Informationsbetrieb darstelle. Dem ist der 10. Senat in konsequenter Fortsetzung seiner Rechtsprechungslinie nicht gefolgt. Dies ist auch überzeugend. Der Schutz der Pressefreiheit kann in Abwägung mit dem gleichfalls grundrechtlich gewährleisteten Gesundheitsschutz der ArbN nicht dazu führen, die Zuschläge gegenüber der regelmäßig anfallenden Höhe abzusenken (so bereits BAG 10.11.21, 10 AZR 261/20, Abruf-Nr. 228890). Zwar gehört es zum Geschäftsmodell von Zeitungszustellbetrieben, die Leistung zur Nachtzeit und in aller Frühe zu bewirken. Eine Rechtspflicht dazu besteht dafür allerdings nicht. Aufgrund der vielfach festgestellten erhöhten Belastungen durch die Dauernachtarbeit muss es daher beim insoweit leicht gesteigerten Regelsatz verbleiben.
- Höherer Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit: BAG in AA 23, 55
AUSGABE: AA 7/2023, S. 112 · ID: 49440875