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RechtswegArbeits- oder Verwaltungsgericht: Wer entscheidet über die Entschädigungszahlung nach § 56 IfSG?
| Für die Entscheidung über die Zahlung einer Entschädigung nach § 56 IfSG gegen den ArbG sind die Verwaltungsgerichte gemäß § 68 Abs. 1 IfSG zuständig. Behält der ArbG von der Vergütung des ArbN für den laufenden Monat einen Teil ein mit der Begründung, im Vormonat habe diesem kein Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG zugestanden, sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig, soweit nicht mit Rechtskraftwirkung über diesen Entschädigungsanspruch als Vorfrage für einen Bereicherungsanspruch des ArbG zu entscheiden ist. |
Sachverhalt
Der ArbN verlangt vom ArbG die Zahlung von Vergütung in Höhe von 675 EUR netto für den Monat März 2022. Diesen Betrag behielt der ArbG von der Vergütung ein. Er ist der Auffassung, dass er gegenüber dem ArbN für die Zeit einer behördlich angeordneten Quarantäne vom 4. bis 14.2.22 aufgrund eines positiven Covid-19-Tests nicht zur Zahlung einer Entschädigung nach § 56 IfSG verpflichtet gewesen sei. Denn der ArbN habe – unstreitig – keine Corona-Schutzimpfung nachgewiesen. Eine Entschädigung nach § 56 IfSG für die Zeit der behördlichen Quarantäneanordnung im Februar 2022 habe ihm deswegen nicht zugestanden.
Der ArbG rügte im Hinblick auf die Regelung in § 68 Abs. 1 IfSG die Zulässigkeit des Rechtswegs, weil der ArbN eine Entschädigung nach § 56 IfSG geltend mache, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei. Dem hat sich das Land A, dem der ArbG den Streit verkündet hat, angeschlossen. Der ArbN hält die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für gegeben. Es bestehe neben dem Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG auch ein Zahlungsanspruch nach § 616 BGB sowie – hilfsweise – ein Schadenersatzanspruch.
Das Arbeitsgericht Arnsberg (10.10.22, 2 Ca 269/22) erklärte den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig. Der sofortigen Beschwerde des ArbN half das Arbeitsgericht nicht ab.
Entscheidungsgründe
Das LAG Hamm (5.5.23, 14 Ta 368/22, Abruf-Nr. 235795) kam zum Ergebnis, dass die zulässige sofortige Beschwerde des ArbN begründet gewesen sei. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt.
Entgegen den von den Parteien, dem Streitverkündeten und dem Arbeitsgericht vertretenen Ansichten würden nach dem unstreitigen Sachverhalt im vorliegenden Verfahren nur bürgerlich-rechtliche Ansprüche wechselseitig geltend gemacht. Streitgegenstand sei ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3a) ArbGG. Der ArbN verlange die Vergütung für geleistete Arbeit im März 2022 gemäß § 611a BGB.
Gegenstand der Aufrechnung des ArbG sei ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch, der im rechtlichen oder zumindest im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehe und für dessen Geltendmachung nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben sei (§ 2 Abs. 3 ArbGG). Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang der Streitgegenstände im Sinne von § 2 Abs. 3 ArbGG sei anzunehmen, wenn die Ansprüche auf demselben wirtschaftlichen Verhältnis beruhen oder wirtschaftliche Folgen desselben Tatbestands seien. Die Ansprüche müssen innerlich eng zusammengehören, also einem einheitlichen Lebenssachverhalt entspringen und nicht nur rein zufällig in Verbindung miteinander stehen (BAG 11.9.02, 5 AZB 3/02).
Der aus der Vorleistung folgende Bereicherungsanspruch im Sinne des § 812 Abs. 1 BGB stelle unabhängig davon, dass der ArbG nach der gesetzlichen Konzeption des Entschädigungsanspruchs des § 56 IfSG lediglich eine Zahlstelle der zuständigen Behörde sei, einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch im Verhältnis zum ArbN dar. Der unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang des geltend gemachten Lohnanspruchs einerseits, des zur Aufrechnung gestellten Bereicherungsanspruchs andererseits beruhe auf dem Arbeitsverhältnis als verbindender einheitlicher Lebenssachverhalt, aus dem die wirtschaftlichen Folgen der behördlichen Quarantäneanordnung und dem dadurch bedingten Ausfall des ArbN entspringen würden. Dieser bürgerlich-rechtliche Bereicherungsanspruch sei auch nicht der ausschließlichen Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zugewiesen.
Der Umstand, dass dieser Rechtsgrund auch ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG sein könne, ändere nichts am bürgerlich-rechtlichen Charakter des Bereicherungsanspruchs, bei dem im Rahmen des Rechtsgrundes das Bestehen eines solchen als Vorfrage zu prüfen sei. Zwar könne diese Vorfrage nicht durch das Arbeitsgericht entschieden werden. Eine Verweisung sei jedoch nicht möglich. Aus § 17 Abs. 2 S. 1 GVG folge die grundsätzliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts zur Entscheidung des Rechtsstreits. Dies umfasse auch rechtswegfremde Vorfragen.
Eine Ausnahme vom Grundsatz der Vorfragenkompetenz sei zu machen, wenn die Entscheidung der Vorfrage dem Gericht ausdrücklich entzogen und einem besonderen Verfahren zugewiesen worden sei. In diesen Fällen greife die Bestimmung des § 17 Abs. 2 S. 1 GVG, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, nicht ein.
Im vorliegenden Fall sei eine Zuweisung für die Frage des Bestehens eines Entschädigungsanspruchs nach § 56 IfSG an ein besonderes Gericht und in ein besonderes Verfahren durch § 68 Abs. 1 IfSG erfolgt. Die zuletzt genannte Bestimmung eröffne umfassend sowohl für Ansprüche nach §§ 56 bis 58 IfSG einschließlich etwaiger Streitigkeiten über die Auszahlung der Entschädigung durch den ArbG zwischen diesem und dem ArbN als auch für die Rückforderung und Erstattung von Leistungen nach §§ 56 bis 58 IfSG den Verwaltungsrechtsweg. Es handele sich bei dem Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG um einen von Rechtssätzen des öffentlichen Rechts geprägten Anspruch. Die Auszahlungspflicht des ArbG sei eine öffentlich-rechtliche Pflicht, welche den entsprechenden Anspruch des ArbN bestimme.
Es handele sich angesichts der Formulierung des § 68 Abs. 1 IfSG um eine aufdrängende Sonderzuweisung an die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch für Streitigkeiten über die Auszahlung der Verdienstausfallentschädigung durch den ArbG. Der öffentlich-rechtliche Entschädigungsanspruch des § 56 IfSG solle von den für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zuständigen Fachgerichten des Verwaltungsrechtswegs und nicht von einer fachfremden Gerichtsbarkeit beurteilt werden. Eine Entscheidung über diese Vorfrage sei danach den Gerichten für Arbeitssachen entzogen (a. A. LAG Düsseldorf 10.10.22, 3 Ta 278/22; Arbeitsgericht Iserlohn 3.5.22, 2 Ca 1848/21).
Folge davon sei im vorliegenden Fall jedoch nicht die Verweisung des Rechtsstreits an die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Vielmehr sei wie bei der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung auch bei einer Aufrechnung mit einem Bereicherungsanspruch, zunächst über die Lohnforderung des ArbN zu entscheiden, wenn und soweit diese nicht – mehr – von dem rechtswegfremden Anspruch abhängig sei. Daher sei von den Gerichten für Arbeitssachen zunächst zu prüfen, ob der Rechtsstreit im Sinne der Abweisung der Klage oder eines Stattgebens aus anderen Gründen entscheidungsreif sei.
Die Gerichte für Arbeitssachen seien im Falle der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung für den Rechtsstreit zuständig, soweit nicht mit Rechtskraftwirkung über die Gegenforderung zu entscheiden sei (§ 322 Abs. 2 ZPO). Das Arbeitsgericht habe auch die Zulässigkeit der Aufrechnung (wie z. B. Pfändungsschutz) zu prüfen, weil es insoweit nicht auf das Bestehen der Gegenforderung ankomme. Über die Vergütungsansprüche sei ggf. durch Vorbehaltsurteil (§ 302 ZPO) zu entscheiden. Dabei sei das Arbeitsgericht nicht verpflichtet, das Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen und die Parteien auf einen neuen Rechtsstreit vor dem zuständigen Gericht zu verweisen. Vielmehr könne es den Rechtsstreit nach Rechtskraft des Vorbehaltsurteils wegen der Gegenforderung an das zuständige Gericht verweisen. Das Gericht, an welches der Rechtsstreit verwiesen werde, müsse in diesem Fall das Nachverfahren gemäß § 302 Abs. 4 ZPO durchführen. Im Hinblick auf diese Möglichkeit einer einheitlichen Entscheidung werde eine Aussetzung nach § 148 ZPO in der Regel ausscheiden.
Relevanz für die Praxis
Geht es um einen zur Aufrechnung gestellten bürgerlich-rechtlichen Bereicherungsanspruch, dessen Rechtsgrund davon abhängen kann, ob ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG bestanden hat, wird das Arbeitsgericht durch Vorbehaltsurteil zunächst über den Vergütungsanspruch des ArbN zu entscheiden haben. Dabei wird auch die Frage beantwortet werden müssen, ob für die Leistung der ArbG ein Rechtsgrund nach § 616 BGB besteht (OVG Münster 10.3.23, 18 A 563/22). Sollte dies der Fall sein, kann abschließend über den geltend gemachten Zahlungsanspruch entschieden werden. Andernfalls verbleibt es bei der Möglichkeit des Vorbehaltsurteils und – nach Rechtskraft – der Verweisung.
AUSGABE: AA 7/2023, S. 118 · ID: 49543420