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Rechtsprechung20 wichtige Entscheidungen zum Thema „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“

Abo-Inhalt03.07.20236 Min. LesedauerVon RAin Heike Mareck, Dortmund

| Wie gravierend ein sexuell bestimmtes Fehlverhalten im Hinblick auf arbeitsrechtliche Sanktionen eingestuft wird, ist in hohem Maße einzelfallabhängig. Die folgende Übersicht schafft Klarheit. |

Rechtsprechungsübersicht / Wichtige Entscheidungen „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“

BAG

9.6.11, 2 AZR 323/10,

Abruf-Nr. 120210

Das jeweilige Verhalten müsse bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht. Für das „Bewirken“ genüge der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle.

LAG Hamm

23.2.22, 10 Sa 492/21,

Abruf-Nr. 228212

Eine Abmahnung als eindringliches Stopp-Signal und Warnung für die Zukunft hätte den ArbN veranlasst, sein zukünftiges Verhalten darauf einzurichten und auf allen Ebenen den angemessenen Abstand und professionellen Umgang mit den ArbN der ArbG zu wahren, somit etwaige zukünftige sexuelle Belästigungen zu unterbinden.

LAG Köln

19.6.20, 4 Sa 644/19,

Abruf-Nr. 217327

Angesichts der Schwere der festgestellten Pflichtverletzung sei eine Abmahnung des ArbN trotz seiner langjährigen Beschäftigung nicht erforderlich gewesen. Der ArbN habe nicht ernsthaft damit rechnen können, dass der ArbG sein Verhalten tolerieren werde. Aufgrund der Verpflichtung des ArbG nach § 12 Abs. 3 AGG, alle Mitarbeiter vor sexuellen Belästigungen wirksam zu schützen, sei es ihm auch nicht zuzumuten gewesen, eine Kündigung mit einer sechsmonatigen Kündigungsfrist auszusprechen.

Arbeitsgericht Weiden

13.3.23, 3 Ca 556/22,

Abruf-Nr. 235797

Der ArbN habe ein grob respektloses und beleidigendes Verhalten gegenüber dem Zeugen M. gezeigt, indem er diesen vor anderen als Schwein bezeichnet hat und bewusst dessen Auto in ekelerregender Weise an der Innenverkleidung der Fahrertüre mit seinen Genitalien berührt habe. Eine fristlose Kündigung sei nicht gerechtfertigt. Eine Betrachtung aller Umstände führe dazu, dass der ArbG eine Fortsetzung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre.

Arbeitsgericht Weiden

16.9.15, 3 Ca 1739/14,

Abruf-Nr. 235798

Unerwünschte Körperkontakte durch Heranrutschen auf der Couch, einen Griff an den Oberschenkel und eine Umarmung von hinten stellen eine schadenersatz- und entschädigungspflichtige sexuelle Belästigung im Sinne des AGG dar (Entschädigung in Höhe von 2.500 EUR zugesprochen).

BAG

20.11.14, 2 AZR 651/13,

Abruf-Nr. 174710

Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG stelle nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie sei „an sich“ als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob sie zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, sei abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u. a. von Umfang und Intensität.

BAG

29.6.17, 2 AZR 302/16,

Abruf-Nr. 196082

Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale ist sexuell bestimmt. Es handelt sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre. Auf eine sexuelle Motivation der Berührung kommt es nicht an.

LAG Köln

1.4.21, 8 Sa 798/20,

Abruf-Nr. 222509

Wer auf einer dienstlich veranlassten Reise eine Arbeitskollegin gegen ihren Willen küsst, verletzte seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines ArbG Rücksicht zu nehmen, in erheblicher Weise. Ein solches Verhalten ist an sich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

LAG Schleswig-Holstein

24.3.21, 6 Sa 203/20,

Abruf-Nr. 235799

Zwar liege eine sexuelle Belästigung vor. Bei der Interessenabwägung sei zugunsten des ArbN seine Betriebszugehörigkeit von mehr als 30 Jahren zu berücksichtigen. Angesichts seines Alters und des fehlenden Berufsabschlusses dürfe es für ihn schwer sein, eine Anstellung zu finden.

Arbeitsgericht Ulm

10.1.20, 1 Ca 93/19,

Abruf-Nr. 235800

Die Kündigung eines ArbN, der seiner Kollegin ein Foto seiner Genitalien schickt, ist unwirksam. Entscheidend sei die langjährige private Freundschaft der beiden.

BAG

20.5.21, 2 AZR 596/20,

Abruf-Nr. 223999

Eine Entblößung der Genitalien gegenüber anderen stellt ein sexuell bestimmtes Verhalten (§ 3 Abs. 4 AGG) dar. Auch eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG ist gem. § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die „an sich“ als wichtiger Grund geeignet ist.

LAG Köln

6.12.21, 2 Sa 10/21,

Abruf-Nr. 227756

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts war eine Abmahnung entbehrlich. Denn sowohl einzeln als auch jedenfalls in der Zusammenschau durfte der ArbN nicht damit rechnen, dass seine Äußerungen toleriert werden könnten. Es war ihm als Führungsperson in der unmittelbaren Ebene unter dem Geschäftsführer zuzumuten, jede Mitwirkung an der Schaffung oder Aufrechterhaltung eines frauenfeindlichen, herabwürdigenden und sexistischen Arbeitsklimas zu unterlassen.

LAG Rheinland-Pfalz

25.6.21, 6 Sa 210/20,

Abruf-Nr. 228141

Dem ArbG war die Weiterbeschäftigung des ArbN auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar. Zwar waren zu seinen Gunsten sein Alter und seine 40-jährige anstandslose Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Auch sei es eine einmalige Pflichtverletzung gewesen. Dennoch war dem das erhebliche Gewicht der Vertragsverletzung des ArbN durch die – noch nicht lange in dessen Schicht beschäftigten, erheblich jüngeren – Zeugin E. gegenüberzustellen.

LAG Rheinland-Pfalz

25.2.21, 2 Sa 207/20,

Abruf-Nr. 225004

Die fristlose Kündigung sei in Anbetracht der langjährigen und beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit des ArbN von 24 Jahren bei verbaler („Annäherungsversuche wie „Komm gib mir mal einen Kuss“ über ca. einen Monat“) und körperlicher („an den Oberschenkel gefasst“) sexueller Belästigung nicht verhältnismäßig gewesen.

LAG Rheinland-Pfalz

18.11.19, 3 Sa 316/18,

Abruf-Nr. 225561

Die außerordentliche Kündigung sei wegen der erheblich verbalen (dass sie „mal ordentlich durchgef... gehöre“) und körperlichen (mehrfaches Anfassen und Küsse) sexuellen Belästigung über einen längeren Zeitraum verhältnismäßig. (Beim BAG 12.5.20, 2 AZN 1439/19 = verworfen)

Arbeitsgericht Düsseldorf

14.12.18, 14 Ca 5613/18,

Abruf-Nr. 235801

Es stellt eine schwere Pflichtverletzung in Form sexueller Belästigung dar, wenn ein ArbN einer Kollegin mehrfach an verschiedenen Tagen über einen längeren Zeitraum unter das T-Shirt den Rücken entlang bis zum BH fasst. Dies gelte umso mehr, als dass die Betroffene ihm gesagt habe, dass er dies unterlassen solle.

LAG Rheinland-Pfalz

23.3.18, 1 Sa 507/17,

Abruf-Nr. 204655

Sowohl der Kuss auf die Wange als auch der Inhalt des unstreitigen WhatsApp-Chats erfüllen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG. Hier sei eine Abmahnung aber ausreichend gewesen.

BAG

2.3.17, 2 AZR 698/15,

Abruf-Nr. 195636

Im Falle einer Kündigung eines Lehrers, der verdächtigt war, Schülerinnen sexuell belästigt zu haben, entschied das Gericht, dass anders als bei „einfachen“ Belästigungen nach § 3 Abs. 3 AGG auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung nach § 3 Abs. 4 AGG erfüllen können.

OVG Münster

23.10.15, 4 B 348/15,

Abruf-Nr. 235802

Ein Ausbilder ist für die Einstellung und Ausbildung von Azubis persönlich ungeeignet, wenn er unter gezieltem Einsatz seiner wirtschaftlichen Überlegenheit und seines Direktionsrechts als ArbG seine Azubis sexuell belästigt. Ein solches Verhalten lässt die Bereitschaft zum Missbrauch des Ausbildungsverhältnisses zu eigenen Zwecken erkennen.

LAG Niedersachsen

6.12.13, 6 Sa 391/13,

Abruf-Nr. 140775

Die Frage eines langjährigen ArbN nach der Echtheit der Oberweite einer Auszubildenden und die anschließende Berührung der Brust stellen sexuelle Belästigungen dar und berechtigen den ArbG ohne Abmahnung zur fristlosen Kündigung.

AUSGABE: AA 7/2023, S. 122 · ID: 49543575

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