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GleichbehandlungHöchstbetrag in Sozialplan steht Ausgleich für Schwerbehinderung nicht entgegen

Abo-Inhalt24.03.20233855 Min. LesedauerVon RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen

| Es verstößt gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn die Betriebsparteien in einem Sozialplan grundsätzlich die Gewährung eines zusätzlichen Abfindungsbetrags zum Ausgleich der durch eine Schwerbehinderung bedingten wirtschaftlichen Nachteile infolge des Arbeitsplatzverlusts vorsehen, dessen Zahlung aber wegen einer im Sozialplan vorgesehenen Höchstbetragsregelung bei älteren schwerbehinderten ArbN unterbleibt. |

Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen zusätzlichen Abfindungsbetrag für Schwerbehinderte aus einem Sozialplan. Der langjährig beim ArbG beschäftigte ArbN ist schwerbehindert. Auf ihn findet ein Sozialplan Anwendung, den die Betriebsparteien anlässlich einer Werkschließung wirksam vereinbart haben. Dieser sieht einen Anspruch auf eine Abfindung zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes vor. Die Abfindungshöhe erfolgt auf Basis der Betriebszugehörigkeit, des Bruttomonatsentgelts und des Lebensalters. Für Schwerbehinderte und Gleichgestellte wird ein zusätzlicher Abfindungsbetrag je nach dem Grad der Behinderung addiert. Der sich insgesamt ergebende Abfindungsbetrag wird auf einen maximalen Höchstbetrag pro ArbN beschränkt.

Der ArbN erhielt diesen Höchstbetrag als Abfindung. Mit seiner Klage macht er die Zahlung des zusätzlichen Abfindungsbetrags aufgrund seiner Schwerbehinderung geltend. Er meint, die im Sozialplan enthaltene Höchstbegrenzung benachteilige schwerbehinderte ArbN. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab (LAG Nürnberg 2.12.20, 3 Sa 187/20).

Entscheidungsgründe

Die dagegen eingelegte Revision des ArbN vor dem BAG (11.10.22, 1 AZR 129/21, Abruf-Nr. 233650) war erfolgreich. Der ArbG müsse ihm einen zusätzlichen Abfindungsbetrag aufgrund seiner Schwerbehinderung zahlen.

Die Höchstbetragsregelung stehe der Zahlung nicht entgegen. Sie sei wegen Verstoßes gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 BetrVG unwirksam, soweit sie sich auf diesen zusätzlichen Abfindungsbetrag erstrecke. Zwar verfügten die Betriebsparteien bei der Ausgestaltung von Sozialplänen über Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume, die auch Typisierungen und Pauschalierungen einschlossen. Allerdings müssten sie hierbei den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Dieser ziele darauf ab, eine Gleichstellung von Personen in vergleichbarer Lage sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Gruppenbildungen in Sozialplänen hätten sich daher an deren zukunftsbezogener Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zu orientieren.

Durch die Begrenzung der Gesamtabfindung werde ein Teil der schwerbehinderten ArbN anders behandelt als der übrige Teil dieser Gruppe. Im Ergebnis würden nur diejenigen schwerbehinderten ArbN den Zusatzbetrag erhalten, deren Abfindung den Höchstbetrag nicht übersteige. Diese Differenzierung innerhalb der Gruppe der schwerbehinderten ArbN sei nicht gerechtfertigt.

Da die Abfindungen für ältere ArbN insbesondere wegen ihrer regelmäßig längeren Betriebszugehörigkeit typischerweise besonders hoch ausfallen, bezwecke eine solche Regelung zwar die Sicherstellung von Verteilungsgerechtigkeit, die an sich eine Rechtfertigung darstellen könne. Dies könne jedoch nicht zugleich die Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der schwerbehinderten ArbN rechtfertigen. Die Gewährung des zusätzlichen Abfindungsbetrags für schwerbehinderte ArbN diene dem Nachteilsausgleich. Dieser könne durch die Höchstbetragsregelung für einen Teil der schwerbehinderten ArbN nicht mehr erfolgen.

Relevanz für die Praxis

Der 1. Senat setzt seine Rechtsprechung zu Sozialplanabfindungen konsequent fort. Zwar ist vor dem Hintergrund limitierter Sozialplanmittel das Ziel legitim, möglichst allen betroffenen ArbN eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe zu gewähren (siehe bereits BAG 7.12.21, 1 AZR 562/20, Abruf-Nr. 227403). Dabei ist aber der auf Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz in seiner Ausprägung nach § 75 BetrVG zu beachten. Wird eine personenbezogene Ungleichbehandlung vorgenommen, müssen tatsächliche Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.

Dies war aber vorliegend nicht der Fall. Schwerbehinderte ArbN sind als Gruppe typischerweise bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz benachteiligt (vgl. auch EuGH 6.12.12, C-152/11, Abruf-Nr. 130182). Diesen Umstand soll ein zusätzlicher Abfindungsbetrag ausgleichen, und zwar unabhängig vom Lebensalter des schwerbehinderten Kollegen. Durch einen Höchstbetrag werden insbesondere ältere schwerbehinderte ArbN von dem Nachteilsausgleich ausgeschlossen. Damit liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor. Eine Rechtfertigung dafür folgt auch nicht aus der Tatsache, dass durch die Zahlung des Höchstbetrags bereits ein hohes Maß an Kompensation für den Arbeitsplatzverlust gezahlt wird.

Für Betriebsräte wie ArbG ist die vorliegende Entscheidung von hoher Praxisrelevanz. Sie werden die besondere Funktion von Zusatzbeträgen für die Eigenschaft einer Schwerbehinderung bei der Berechnung von Sozialplanabfindungen auch gesondert zu gewichten haben.

Weiterführende Hinweise
  • Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamts = Benachteiligung wegen Behinderung? BAG in AA 23, 23
  • Schwerbehinderter Bewerber kann sich auch im Video-Interview vorstellen: LAG Hamm in AA 22, 208

AUSGABE: AA 4/2023, S. 64 · ID: 49254392

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