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Prüfpflichten eines HostprovidersMuss ein Bewertungsportal prüfen, ob der „minderbemittelte“ Oralchirurg den User überhaupt kennt?
| Eine verärgerte Patientin bezeichnet einen Oralchirurgen als „minderbemittelt“, weil er sich ihrer Ansicht nach nicht korrekt verhalten hat. Der kritisierte Fachzahnarzt behauptet jedoch, die Patientin gar nicht zu kennen und verlangt die Löschung des Eintrags. Als das Bewertungsportal seiner Forderung nicht nachkommt, klagt er – auch in der Berufung – erfolglos. Spannend ist an der Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts (OLG) vom 09.09.2022, dass hierin praxisrelevante Hinweise formuliert werden für den Fall, dass die Kritik am Bewerteten auf wahrheitswidrigen Angaben beruht. Damit wird für etwas mehr Klarheit in dieser so sensiblen Materie gesorgt (Az. 5 U 117/21). |
Inhaltsverzeichnis
Der Fall
Geklagt hatte ein niedergelassener Fachzahnarzt für Oralchirurgie, der sich einer negativen Bewertung einer Userin über die Online-Plattform „Local Reviews“ ausgesetzt sah. Die Beklagte bietet den Internetdienst „Local Reviews“ an, bei dem registrierte Nutzer der Beklagten die Möglichkeit haben, Unternehmen, Geschäfte, Arztpraxen, Orte und sonstige Einrichtungen zu bewerten. Diese Bewertungen werden bei entsprechenden Suchabfragen in der Suchmaschine der Beklagten in einem abgesetzten Bereich neben den eigentlichen Suchergebnissen angezeigt, der auch allgemeine Informationen zu der Einrichtung enthält (sog. „Local Listings“). Auch in „Google Maps“ werden diese Listings angezeigt, wenn in der Karte die entsprechende Einrichtung ausgewählt wird. Über den Dienst „Google My Business“ können sich die Inhaber von Unternehmen usw. registrieren, um Informationen (z. B. Öffnungszeiten) zu ihrem Local Listing einzustellen. Sie haben auch die Möglichkeit, Bewertungen zu kommentieren; diese Kommentare erscheinen dann als „Antwort vom Inhaber“ im Zusammenhang mit der ursprünglichen Bewertung. Der Kläger ist für diesen Dienst bei der Beklagten registriert.
Im Dezember 2020 stellte eine Patientin des Klägers einen Bewertungseintrag auf „Local Reviews“ ein. Darin resümierte diese einen Vorfall mit dem Kläger in dessen Praxis nur wenige Tage zuvor [sic]: „Ich hatte gestern am 17. Dezember 2020 einen OP Termin, wo mir 2 oder 3 Zähne entfernt werden sollten, und wollte das eigenlich selber bezahlen (das Geld hatte ich auch dabei) aber da ich eine Bescheinigung meiner Psychologin hatte, da ich eine panische Angst vor Spritzen hatte, und das alles in Vollnarkose stattfinden musste und das vorzeigte, wurde meine Behandlung abgelehnt. Weil die davon ausgingen, das ich psychiche Probleme habe, das ist aber nicht der Fall, in der Bescheinigung stand nur, das bi mir Panikattacken und Ängst so starkt ausgprägt sind, das der Eingriff unter Anästie durchgeführt werden soll. Die Behandlung wurde mir gstern 17. Dezember verweigert. Sehr schlecht von dieser Kieferchirugie. Update: Um 22. Dezember 2020 um 19.41 Uhr rief mich Herr M. an, und drohte mir mit seinem Anwalt, sollte ich die negative Bewertung nicht entfernen. Nichts gegen Herr M., doch wenn der gute Mann seinen Narkosearzt nicht im Griff hat, kann ich leider nichts dafür . Der Termin am 17. Dezember stand fest, doch sein Narkosearzt hat mich leider mit Schmerzen stehen lassen. Dann muss der das mit dem Narkosearzt klären. Ich kann keine positive Bewertung geben, wenn nichts positives ist. PS : Der M. hat eine Anzeige auf der Polizei gemacht, wegen Verleumdung. Wegen einer Bewertung mit dem die Person nicht umgehen kann. Also da frag ich mich, ob der minderbemittelt ist. Ganz normal ist der nicht.“
Der Kläger wandte sich daraufhin über ein dafür vorgehaltenes Online-Formular an die Betreiberin des bezeichneten Internetdienstes und beanstandete die Veröffentlichung der Bewertung. Dabei gab er – nach Auffassung des Gerichts wahrheitswidrig – an, er könne die Schilderungen in der Bewertung keinem realen Patientenkontakt zuordnen.
Nach gängigem Vorgehen leitete die Plattformbetreiberin die Beanstandung schließlich an die Verfasserin weiter, welche daraufhin die näheren Umstände des von ihr bewerteten Vorfalls erläuterte. Die Plattformbetreiberin wies das Löschungsbegehren des Klägers daraufhin zurück. Dieser bekräftigte nun nochmals seine Behauptung, wonach ihm der in der Bewertung geschilderte Vorfall nicht bekannt sei und dieser offensichtlich auf unwahren Tatsachenbehauptungen beruhe. Da ihm die Verfasserin des Eintrags nicht bekannt sei, müsse der Eintrag nunmehr von der Plattformbetreiberin entfernt werden. Diese hielt jedoch an ihrer Entscheidung fest und stellte klar, dass gerade keine offensichtliche Rechtsverletzung vorliege, die sie zur Löschung verpflichten würde. Sie sei schließlich nicht dazu angehalten, ein für die Feststellung einer solchen Rechtsverletzung erforderliches, weitergehendes Prüfverfahren einzuleiten.
Mit seiner Klage gegen die Betreiberin der Plattform versuchte der Kläger erfolglos, sein Löschungsbegehren vor dem Landgericht Saarbrücken durchzusetzen. Die Entscheidung des Landgerichts zu Ungunsten des Zahnarztes wurde nun im Berufungsverfahren durch das OLG Saarbrücken bestätigt.
Die Entscheidungsgründe
In seiner Begründung hat das OLG Saarbrücken ausdrücklich die Grenzen der Prüfpflichten eines Hostproviders im Hinblick auf die Feststellung etwaiger Rechtsverletzungen definiert.
Danach sei ein Hostprovider wie die Beklagte, die fremde Informationen über einen Nutzer speichere, nicht verpflichtet, Nutzerbeiträge vor deren Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Als sog. „mittelbare Störerin“ sei die Beklagte aber dann zur Entfernung eines Beitrages verpflichtet, wenn dieser eine Rechtsverletzung zulasten der bewerteten Person begründe. Die Löschungsverpflichtung bestehe dabei jedoch nur insoweit, als eine Rechtsverletzung klar erkennbar sei. Um dies herauszufinden, seien Hostprovider – wie die Beklagte – daher u. U. gehalten, zum Zwecke der Sachverhaltsermittlung eine Stellungnahme von dem Verfasser des relevanten Eintrags einzuholen. Könne dieser die Beanstandung in nachvollziehbarer Weise entkräften bzw. in Zweifel ziehen, so habe der Hostprovider grundsätzlich weitere Nachweise von der bewerteten Person einzuholen. Nur wenn danach die Rechtsverletzung auch unter Berücksichtigung der Erläuterungen des Verfassers naheliegend sei, müsse der Eintrag gelöscht werden. Lege der Betroffene hingegen keine ergänzenden Nachweise vor, so bestünde keine Veranlassung für weitere Prüfungen durch den Hostprovider.
Unter Zugrundelegung dessen habe die Beklagte vorliegend nach Ansicht des Gerichts sogar überobligatorisch geprüft und sei hier weder zu weiteren Ermittlungen noch gar zur Löschung der Bewertung verpflichtet gewesen. Vielmehr habe der Kläger das Bestehen eines Behandlungsverhältnisses mit der Verfasserin der Bewertung offenbar bewusst wahrheitswidrig in Abrede gestellt, um die Löschung des Eintrages zu erreichen. Eine auf unwahren Tatsachen begründete Beanstandung könne jedoch von vornherein keine Prüfpflichten auslösen, weil sich daraus objektiv keine Anhaltspunkte für eine Rechtsverletzung ergeben könnten.
Im Übrigen sei auch die Annahme der Beklagten, dass das Persönlichkeitsrecht des Klägers durch den Inhalt der Bewertung grade nicht in rechtswidriger Weise verletzt sei, zutreffend. So handele es sich bei den Äußerungen in dem betreffenden Beitrag insgesamt um Meinungsäußerungen. Die Verfasserin habe lediglich eine subjektive Einschätzung zu ihren Erfahrungen in der Praxis des Klägers abgegeben. Diese pointiert formulierten Wertungen seien auch gänzlich vom Recht auf freie Meinungsäußerung erfasst, weshalb der Kläger sie zu dulden habe. Dies gelte insbesondere auch im Hinblick auf die Bezeichnung des Klägers als „minderbemittelt“. Denn damit habe die Verfasserin den Kläger nicht diffamieren wollen, sondern habe lediglich tatsachenbezogene Kritik üben wollen.
Das Gericht berücksichtigte im Übrigen, dass das von der Beklagten betriebene Internetportal mit der Bereitstellung einer Bewertungsfunktion eine von der Gesellschaft erwünschte Funktion erfülle. Schließlich habe derjenige, der – wie der Kläger – mit dem Angebot (ärztlicher) Leistungen an die Öffentlichkeit trete, Kritik an diesen Leistungen grundsätzlich hinzunehmen. Nicht diffamierende Meinungsäußerungen seien danach nur bei schwerwiegenden Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht, d. h. insbesondere im Falle einer stigmatisierenden Wirkung bzw. einer „Prangerwirkung“, unzulässig.
Fazit | Begrüßenswert ist zwar die Klarstellung des Gerichts dahin gehend, dass eine auf unwahren Tatsachen beruhende Beanstandung einer Bewertung objektiv keine Prüfpflichten begründen kann. Diese Rechtsfolge kann jedoch naturgemäß nur dann greifen, wenn klar ist, dass die Tatsachengrundlage der Bewertung – hier der Patientenkontakt – tatsächlich wahrheitswidrig bestritten worden ist. Wann dies anzunehmen ist bzw. welche Nachforschungen der betroffene Arzt im Hinblick auf die Person des Verfassers und den etwaigen Patientenkontakt anstellen muss, obliegt nach wie vor der (gerichtlichen) Bewertung im Einzelfall. Dies gilt gleichermaßen für die Auslegung des Inhalts von Bewertungen sowie deren Einordnung als persönlichkeitsrechtsverletzend oder (grade noch) zulässig. Sieht sich ein Behandler einer negativen Bewertung ausgesetzt, ist daher stets eine fachliche Analyse des Inhalts der Äußerungen sowie ein interessengerechtes, zügiges Vorgehen gegenüber der Online-Plattform bzw. dem Verfasser angezeigt. Insoweit ist unbedingt anzuraten, fach-(anwalt-)liche Unterstützung zurate zu ziehen. |
AUSGABE: ZP 2/2023, S. 6 · ID: 48862522