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NeuwertversicherungVorschadeneinwand in der Neuwertversicherung: Wissenswertes zu Beratung und Schadenbegleitung
| Sachversicherer wenden immer öfter das Bestehen von Vorschäden in der Neuwertversicherung ein. VVP beleuchtet, was es bei Beratung und Schadenbegleitung zu beachten gilt. Sie erfahren, wann und in welcher Art ein Vorschadeneinwand durch den Versicherer begründet sein kann. |
Die Neuwertversicherung – und ihre Tücken
In der Vergangenheit ist akademisch viel darüber gestritten worden, ob es in der Schadenversicherung gemäß §§ 74 ff. VVG ein ungeschriebenes Bereicherungsverbot des Versicherungsnehmers (VN) gibt. Wenngleich der BGH (Urteil vom 17.12.1997, Az. IV ZR 136/96) schon vor geraumer Zeit einen dahingehenden Grundsatz verworfen hat, lässt sich dennoch nicht gänzlich abstreiten, dass die Neuwertversicherung eine Ausnahme von dem in § 88 VVG abgebildeten Normalfall der Zeitwertversicherung darstellt. Denn bilanziell steht der VN bei der Entschädigung zum Neuwert besser, als er ohne den Schadensfall mit seiner abgenutzten Sache gestanden hätte.
Diese Besserstellung lassen sich VN häufig einiges an Prämie kosten. In Sparten wie der Wohngebäudeversicherung ist die Neuwertversicherung gar schon lange der absolute Marktstandard. Dabei versteht es sich von selbst, dass die Schadenregulierung im Rahmen von Neuwertversicherungen ihre eigenen Tücken bereithält. Neben der allgegenwärtigen Kürzung wegen Unterversicherung gemäß § 75 VVG bereitet vor allem der Umgang mit einfachen und strengen Wiederherstellungsklauseln gemäß § 93 VVG den Rechtsanwendern Schwierigkeiten. Insbesondere bei streitigen Regulierungssachverhalten kann die Neuwertspitze mit ihren besonderen Fälligkeitsvoraussetzungen Probleme in der Rechtsdurchsetzung auslösen.
Neu: Der Vorschadeneinwand durch Sachversicherer
Aktuell berufen sich Sachversicherer verstärkt auf das Vorliegen von Vorschäden. Dies löst bei VN und Vermittlern Befremden aus. Schließlich ist es doch gerade der prämienbelastete Mehrwert der Neuwertversicherung, dass der VN in Gestalt der Neuwertentschädigung – egal, ob im Reparatur- oder Totalschadenfall – eine wertverbesserte Sache erhält.
Zunächst ist es wichtig, zwischen
- dem Vorschadeneinwand in der Entschädigungsberechnung und
- dem Einwand der Verletzung von Wartungs- und Instandhaltungsobliegenheiten
zu differenzieren. Beide Einwände liegen nah beieinander und bieten dem Versicherer gleichsam die Möglichkeit, das Bestehen von Vorschäden zu rügen.
Die Instandhaltungsobliegenheit gibt dem VN praktisch auf, alters- und verschleißbedingte Schäden, die nicht durch plötzliche und unvorhersehbare Ereignisse eintreten, zu beseitigen und die versicherte Sache in ordnungsgemäßen Zustand zu halten. Verletzt der VN diese Obliegenheit schuldhaft, sodass nicht behobene Vorschäden bzw. Mängel den Versicherungsfall begünstigen, kann der Versicherer die Entschädigungsleistung kürzen. Demgegenüber findet beim alleinigen Vorschadeneinwand innerhalb der entschädigungspflichtigen „erforderlichen“ oder „notwendigen“ Reparaturkosten eine Abgrenzung von ersatzfähigen versicherungsfallbedingten Kosten und nicht-ersatzfähigen Kosten für Vorschäden statt.
Instandhaltungsobliegenheit und die Entschädigungsleistung
Die Instandhaltungsobliegenheit ist in nahezu allen Wohngebäudeversicherungsverträgen, z. B. in den aktuellen VGB 2022 (vgl. Ziff. A 20.1.1), vereinbart. In der Fachliteratur wird sie seit jeher als konturlos und ausufernd-weit angegriffen. Für VN sei schlichtweg nicht erkennbar, wo ihre Instandhaltungspflicht beginnt und endet. Der BGH hat für die Wohngebäudeversicherung jüngst die mindestens genauso diffuse Obliegenheit des VN als wirksam bestätigt, alle gesetzlichen, behördlichen sowie vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften einzuhalten (BGH, Urteil vom 25.09.2024, Az. IV ZR 350/22, Abruf-Nr. 244335). Vor dem Hintergrund muss sich kein VN der Illusion hingeben, dass die Instandhaltungsobliegenheit wegen ihrer Unklarheiten unwirksam sein könnte.
Besonders große Bedeutung hat die Instandhaltungsobliegenheit in der Sturm- und Rohrbruchversicherung, obwohl sie für alle versicherten Gefahren gilt. Verdeckte Mängel oder Schäden an der Bausubstanz führen häufig nicht zur Leistungskürzung; denn die gemäß § 28 Abs. 2 S. 2 VVG verlangte grobe Fahrlässigkeit scheidet bei Nichterkennbarkeit für den VN aus.
Praxistipp | Fordert der Versicherer ausdrücklich zur Sanierung auf, müssen Sie den VN dahingehend beraten, alsbald zu handeln. Denn die Nichtsanierung trotz Aufforderung führt in den meisten Fällen zur vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung und damit gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 VVG auch zum Ausschluss der Entschädigungsleistung. Sie müssen das Problembewusstsein beim VN auch schärfen, wenn ein zur Bestimmung des Versicherungswerts eingeholtes Gutachten Mängel ausweist, die zur Sanierung veranlassen. Auch hieran kann der Versicherer ein Verschulden des VN knüpfen. |
Vorschadeneinwand in der Entschädigungsberechnung
Der Vorschadeneinwand im engeren Sinne greift unabhängig vom Verhalten des VN bei der Entschädigungsberechnung. Hierbei wird ausschließlich an objektive Kriterien angeknüpft.
Im Totalschadenfall sind Vorschäden insoweit unbeachtlich, denn es werden die Wiederherstellungskosten für eine schadlose Sache oder die Wiederbeschaffungskosten für eine Sache in neuwertigem Zustand ersetzt. Sprich: Die Neuwertversicherung gelangt im Totalschadenfall zur vollen Entfaltung.
Anders verhält es sich bei Teil- bzw. Reparaturschäden. Hier werden je nach Bedingungsgeneration lediglich die „erforderlichen“ oder „notwendigen“ Reparaturkosten ersetzt. Daraus leitet die Rechtsprechung ab, dass nur solche Reparaturkosten ersatzfähig sind, die gerade infolge des versicherten Schadenereignisses entstehen. Vorschäden, die durch nicht-versicherte Ereignisse oder Abnutzung entstehen, bilden keine versicherungsfallbedingten Schäden (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 11.03.2010, Az. 4 U 846/09, Abruf-Nr. 247007).
Liegen Anhaltspunkte für einen Vorschaden vor, trifft den VN die Beweislast, dass sich die Vorschäden nicht auf den Schadensumfang ausgewirkt haben (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10.10.2016, Az. 8 U 94/16, Abruf-Nr. 194282). Etwas anderes gilt, wenn Sachteile sowohl vorbeschädigt waren als auch durch den Versicherungsfall beschädigt worden sind. In diesem Fall muss der Versicherer voll entschädigen. Denn der Gedanke der Neuwertversicherung greift insoweit durch, als dass die Sache insgesamt zu reparieren ist. Etwaige Wertverbesserungen sollen dem VN gerade zugutekommen. Sind Vorschäden und versicherungsfallbedingte Schäden abgrenzbar, rechtfertigt eine Kürzung des Versicherers zumeist nur einen Abzug für Material und nicht für die erforderlichen Arbeitsleistungen.
Handlungsempfehlungen für Sie als Vermittler
Die Grenzziehung kann – wie erläutert – im Einzelfall komplex sein.
Sie sind Schlüsselpartner in Schadensfällen und stärken Kundenbindung Fazit | Sachversicherungsprodukte und die an sie anknüpfenden Schadenregulierungen bleiben komplexe Vorgänge. Den VN treffen weitgehende und schwierig zu verstehende Pflichten, die die Rechtsprechung größtenteils bestätigt hat. Dem Versicherer bieten sich viele Anknüpfungspunkte für Regulierungseinwände. In dieser schwierigen Gemengelage sind Sie unersetzliche Partner für Ihre Kunden als VN. Dies gilt für den privaten VN genauso wie für den gewerblichen. Begreifen Sie die immer komplexer werdenden Regulierungen auch als Chance zur nachhaltigen Kundenbindung. |
- Deshalb bietet es sich für Sie an, den VN ganzheitlich zur stetigen Pflege der versicherten Sachen anzuhalten. Bei jedem evident werdenden Bau- oder Sachmangel, der keine versicherte Gefahr realisiert, sollte der VN trotz Nichtbestehens von Versicherungsschutz angehalten werden, Instandhaltung zu betreiben und zu dokumentieren, um künftige Versicherungsfälle zu sichern. Kann die Instandhaltung nachgewiesen werden, erübrigt sich in den allermeisten Fällen auch der Vorschadenseinwand. Denn der Vorschadenseinwand kommt vielfach dann zum Tragen, wenn bestehende Mängel an der Sache den Versicherer nicht schon wegen Verletzung der Instandhaltungsobliegenheit zur Leistungskürzung berechtigen. Dies kann z. B. der Fall sein, weil dem VN keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.VN zur Instandhaltung anhalten
- Werden bei einer Schadenregulierung aufseiten des VN Sachverständige hinzugezogen, sollten diese für die Vorschadenthematik in der Art sensibilisiert werden, dass zum Instandhaltungszustand ausgeführt wird. Sind Vorschäden festgestellt, sollte stets als Folgefrage abgeklärt werden, ob diese Vorschäden nicht durch das versicherte Ereignis konsumiert wurden, sodass eine Kürzung der Entschädigungsleistung ausscheidet.Vorschäden bei Schadenregulierung sorgfältig prüfen
AUSGABE: VVP 5/2025, S. 7 · ID: 50346079