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MehrfachvertreterMehrfachagenten-Modelle im Kommen: Das gilt (haftungs-)rechtlich beim Mehrfachvertreter
| Die Versicherungsbranche wandelt sich. Veränderte Kundenbedürfnisse und technologische Fortschritte fordern neue Vertriebsstrategien. In diesem Kontext gewinnen Mehrfachvertreter, auch bekannt als Mehrfach(general)agenten, an Bedeutung. Mit einem Mehrfachagenten-Modell wollen Versicherer Kundenbindungen festigen und Marktanteile sichern. VVP nimmt das zum Anlass, Sie in einer Serie über die Feinheiten zu informieren. In diesem zweiten Teil dreht sich alles um die Gewerbeerlaubnis, das Verhältnis zu Kunden und zu Versicherern und um Haftungsfragen. |
Gewerbeerlaubnis und Registrierung
Gewerberechtlich ist der Mehrfachvertreter keine gesonderte Kategorie. Er bedarf einer eigenen Erlaubnis als Versicherungsvertreter nach § 34d Abs. 1 Nr. 1 GewO und ist als solcher auch in das Vermittlerregister einzutragen (§ 8 Nr. 3 b) aa) VersVermV).
Eine Registrierung als gebundener Vertreter ohne eigene Erlaubnis kommt nach § 34 d Abs. 7 GewO allenfalls dann in Betracht, wenn der Mehrfachvertreter zwar mehrere Versicherer vertritt, diese
- hinsichtlich ihrer Produkte aber nicht in Konkurrenz zueinanderstehen und
- die uneingeschränkte Haftung aus der Vermittlertätigkeit übernehmen.
Wichtig | Es handelt sich also um ein Modell, das maßgeblich durch die beteiligten Versicherer initiiert und gesteuert wird. Diese nehmen auch die Registrierung vor.
Praxistipp | Der Vermittler, der sich perspektivisch als Mehrfachvertreter aufstellen will, sollte in jedem Fall eine eigene Erlaubnis beantragen und sich selbst zum Register melden. Das gilt auch dann, wenn der Vermittler im Moment noch keine miteinander konkurrierenden Versicherungsunternehmen vertritt. Mit der eigenen Erlaubnis schafft er sich mehr Unabhängigkeit. |
Verhältnis zu Kunden und zu Versicherern – Haftungsfragen
Mehrfachvertreter verfolgen in der Praxis – ähnlich wie Versicherungsmakler – oft einen umfassenden Betreuungsansatz. Dafür bauen sie sich ein breites Produktportfolio auf. Das begründet die Gefahr, dass im Außenauftritt die Grenzen zum Makler verschwimmen. Das wiederum führt zu besonderen Haftungsrisiken.
- Der Vertreter, auch der Mehrfachvertreter, steht im Lager der Versicherer. Er ist ihr „Auge und Ohr“ und verfügt über die gesetzlich fingierten Vollmachten des § 69 VVG. Sein Verhalten wird den Versicherern grundsätzlich zugerechnet.
- Der Makler steht hingegen im Lager des Kunden. Sein Verhalten wird dem Kunden zugerechnet, er verfügt über keine gesetzlich vorgesehenen Vollmachten der Versicherer.
Anscheins- oder Pseudomakler und die Haftung
Geriert sich der Mehrfachvertreter gegenüber den Kunden und Interessenten als Makler, so haftet er auch als solcher. Das hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 59 Abs. 3 S. 2 VVG zum sogenannten Anscheins- oder Pseudomakler ausdrücklich so festgeschrieben.
Wer also bspw.
- als „Unternehmensberater für den privaten Haushalt“ auftritt,
- der mit „unabhängigen Spezialisten“ zusammenarbeitet,
- angeblich „unabhängig von Produktgebern“ ist und
- für Beratungsleistungen eigene Gebühren erhebt,
kann objektiv den Anschein erwecken, er sei Versicherungsmakler. Dann nützen gegebenenfalls auch die Übergabe einer sachlich zutreffenden Erstinformation oder einer Liste der vertretenen Versicherer nichts mehr (vgl. aktuell OLG Dresden, Urteil vom 07.11.2023, Az. 4 U 54/23, Abruf-Nr. 239739, zuvor bereits OLG Dresden, Beschluss vom 09.04.2019, Az. 4 U 441/19, Abruf-Nr. 210347; OLG Hamm, Urteil vom 08.10.2009, Az. 18 U 26/08, Abruf-Nr. 100194).
Die Haftung als Anscheinsmakler kann insbesondere dazu führen, dass der Mehrfachvertreter seinem Rat eine hinreichende Zahl von am Markt angebotenen Produkten zugrunde legen müsste (§ 60 Abs. 1 S. 1 VVG), obwohl er im Innenverhältnis nur über eine beschränkte Produktauswahl verfügt.
Übertriebene Aussagen vermeiden Praxistipp | Der Mehrfachvertreter sollte jederzeit darauf bedacht sein, seinen Status gegenüber Kunden und Interessenten deutlich zu machen. Dazu gehört nicht nur eine zutreffende Erstinformation, sondern auch der werbliche Auftritt insgesamt. Homepages, Briefbögen, Fußzeilen in E-Mails, Broschüren, Beratungsdokumentationen etc. sollten keine übertriebenen Aussagen wie die vorstehenden enthalten. Insbesondere ist ein Mehrfachvertreter keinesfalls „unabhängig“, auch wenn er viele Versicherer vertritt. Solche Aussagen gilt es daher zu vermeiden. |
Mitteilungs-, Beratungs- und Dokumentationspflichten beachten
Tritt der Mehrfachvertreter objektiv als solcher auf, heißt das natürlich nicht, dass er von jeglicher Haftung befreit wäre. Auch für ihn gelten unter anderem die allgemeinen Mitteilungs-, Beratungs- und Dokumentationspflichten der §§ 60 Abs. 2, 61 VVG, deren Verletzung einen unmittelbaren Schadenersatzanspruch des Kunden gegen den Vertreter nach sich ziehen kann (§ 63 VVG).
Die Vielfalt möglicher Pflichten im Detail und deren Verletzung kann an dieser Stelle nicht behandelt werden. Als Besonderheit für den Mehrfachvertreter hervorzuheben ist jedoch, dass es in der Anbahnung einer Geschäftsvermittlung eine Phase gibt, in der möglicherweise noch nicht feststeht, welcher Versicherer mit welchem Produkt für die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden überhaupt in Betracht kommt.
Kommt es bereits in dieser „Auswahlphase“ zu Pflichtverletzungen, stellt sich die Frage, ob sogar alle Versicherer hierfür neben dem Vertreter haften, weil der Vertreter bereits in dieser Phase als deren Erfüllungsgehilfe handelt. Dies wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt (ablehnend OLG Dresden, Urteil vom 07.11.2023, Az. 4 U 54/23, Abruf-Nr. 239739, bejahend bei Reisebüros OLG Celle, Urteil vom 06.08.2020, Az. 11 U 113/19, Abruf-Nr. 218361; zur Erfüllungsgehilfenhaftung in späteren Phasen der Vermittlung: etwa OLG Hamm, Urteil vom 28.05.1997, Az. 20 U 7/97, Abruf-Nr. 243861). Eine klärende höchstrichterliche Entscheidung hierzu steht noch aus.
Mehrfachvertreter und die Sozialversicherung
Als selbstständiger Handelsvertreter unterliegt der Mehrfachvertreter grundsätzlich nicht der Versicherungspflicht in den Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung.
Auch eine Rentenversicherungspflicht als Selbstständiger mit im Wesentlichen einem Auftraggeber gemäß § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI scheidet beim Mehrfachvertreter regelmäßig aus. Denn der Mehrfachvertreter ist nicht auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig, wenn die von ihm vertretenen Versicherer voneinander unabhängig sind.
Wichtig | Weitere Anbindungen dürfen jedoch nicht nur pro forma existieren. Erzielt der Mehrfachvertreter mehr als fünf Sechstel seiner Provisionseinnahmen innerhalb eines Jahres nur von einem Unternehmen, gehen die Sozialversicherungsträger und die Sozialgerichte davon aus, dass er doch „im Wesentlichen“ nur für einen Auftraggeber tätig wird (vgl. etwa LSG Baden Württemberg, Urteil vom 30.07.2020, Az. L 7 R 2030/19, Abruf-Nr. 219361).
Allein das Potenzial, auch für andere tätig werden zu können (weitere Verträge mit anderen Versicherern, suspendierte Wettbewerbsverbote), genügt nicht, um die Rentenversicherungspflicht auszuschließen.
- Den ersten Teil der Beitragsserie zum Thema „Mehrfachagenten-Modelle im Kommen: Das gilt es rechtlich zum Mehrfachvertreter zu wissen“ finden Sie in VVP 2/2025, Seite 3 → Abruf-Nr. 50172005
- Beitrag „Wenn ein Mehrfachagent als Anscheinsmakler auftritt: Haftung als Versicherungsmakler droht“, VVP 7/2024, Seite 8 → Abruf-Nr. 50023337
AUSGABE: VVP 3/2025, S. 9 · ID: 50286856