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StatusNeues Urteil mit vielen Kriterien zur Status- abgrenzung eines Versicherungsvertreters

Top-BeitragLeseprobe24.10.20229559 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt Lutz Eggebrecht, Dr. Heinicke, Eggebrecht & Partner mbB Rechtsanwälte, München

| In der Praxis kommt es immer wieder zum Streit mit dem Versicherer. Dreh- und Angelpunkt ist der Status des Versicherungsvertreters. Gerade in Streitigkeiten rund um den Ausgleichsanspruch zweifelt der Versicherer den Status häufig an. So ist es auch in einem Fall geschehen, der vor dem OLG Hamburg gelandet ist und den VVP nachfolgend vorstellt. Das Wichtige am Fall: Das OLG dekliniert viele verschiedene Kriterien zur Statusabgrenzung bei einem Versicherungsvertreter. |

Um diesen Fall ging es vor dem OLG Hamburg

Die Klägerin aus dem Urteilsfall war eine auf eine bestimmte Sachversicherungssparte spezialisierte Versicherungsvertretung. Sie war als Mehrfachagentur für diese Sparte tätig und in das Versicherungsvermittlerregister als Versicherungsvertreterin eingetragen. Der Versicherer beabsichtigte, die Vertreterin aufgrund ihrer Sachkenntnis dem vorhandenen Außendienst des Versicherers als selbstständige Kompetenzagentur zur Seite zu stellen.

Regelungen im „Kooperationsvertrag“

Die unter der Überschrift „Kooperationsvertrag“ zustande gekommene Vereinbarung enthielt die folgenden – wesentlichen – Regelungen:

  • Die Vertreterin sollte hinsichtlich der fraglichen Versicherungssparte die Aufgaben einer Betriebsabteilung des Versicherers übernehmen.
  • Sie war für die Erstellung von Tarifen, die Vertriebsunterstützung, Schulungen und das Underwriting des Versicherers zuständig.
  • Sie hatte sich verpflichtet, das Geschäft im Rahmen der erteilten Vollmacht für den Versicherer zu überprüfen und zeichnen.
  • Weiterhin war sie verpflichtet, die Interessen des Versicherers in jeder Hinsicht zu wahren.
  • Der Vertreterin war vorgegeben, einen Bürobetrieb einzurichten und für alle Betriebswege ständig erreichbar zu sein.
  • Der Versicherer seinerseits hatte sich verpflichtet, alle neuen Risiken der Sparte an die Vertreterin weiterzuleiten.
  • Die Vertreterin erhielt als Vergütung ausschließlich eine umsatzabhängige Differenzprovision für das Neugeschäft.
  • Sie hatte sich verpflichtet, alle eingehenden Neuanträge aus dem Tarifgeschäft zu überprüfen, für den Versicherer anzunehmen und abzuschließen.
  • Als weitere Aufgabe der Vertreterin waren genannt,
    • Individualversicherungslösungen für Versicherungskunden auszuarbeiten,
    • erforderliche Gespräche mit Vermittlern und Kunden zu führen und
    • schriftliche Angebote für den Versicherer zu erstellen.

Interne Stellungnahme des Versicherers

Der Versicherer hatte in einer internen Stellungnahme, die der Vertreterin zugeleitet wurde, bestätigt, dass die Vertreterin im Rahmen des vorliegenden Vertrags in ihrer Kernfunktion für die Außendienstpartner unterstützend und verkaufsfördernd tätig wird und auch durch Angebotsabgaben und persönliche Kundengespräche direkt und indirekt zum Versicherungsabschluss beiträgt. Wörtlich wurde in dieser internen Stellungnahme ausgeführt: „Der Kooperationsvertrag ist ein Agenturvertrag mit Abschlussvollmacht.“

Klage auf Ausgleichsanspruch in zweiter Instanz erfolgreich

Der Versicherer hat das Vertragsverhältnis dann nach über 17-jähriger Dauer ordentlich gekündigt und beendet. Die Vertreterin hat daraufhin den Handelsvertreterausgleichsanspruch geltend gemacht. Diesen hat der Versicherer abgelehnt. Denn nach Auffassung des Versicherers würde kein Agenturvertrag vorliegen.

Das Erstgericht hat den Vertrag nicht als Agenturvertrag gewertet und deshalb die Klage der Vertreterin auf den Ausgleichsanspruch abgewiesen. Dabei hat es als Indizien gegen das Vorliegen eines Handelsvertretervertrags die Vertragsbezeichnung als Kooperationsvertrag gewertet und die Tatsache, dass die Vertreterin in den ersten dreieinhalb Jahren eine Garantieprovision erhalten hatte; der internen Mitteilung des Versicherers hat es keinen Beweiswert zuerkannt.

Das OLG Hamburg als Berufungsgericht hat das Ersturteil aufgehoben und den Ausgleichsanspruch zugesprochen (OLG Hamburg, Urteil vom 19.05.2022, Az. 6 U 83/21, Abruf-Nr. 231692).

Abgrenzungskriterien für Tätigkeit als Versicherungsvertreter

Für das Vorliegen eines Versicherungsvertretervertrags hat das OLG die folgenden Gesichtspunkte bewertet:

  • Die Vertragsbezeichnung als Kooperationsvertrag (auch ein Versicherungsvertretervertrag ist ein Kooperationsvertrag) war für die rechtliche Einordnung nicht entscheidend. Denn nicht die von den Parteien im Vertrag gewählte Bezeichnung ist maßgeblich, sondern ausschließlich der Vertragsinhalt selbst.
  • Die Formulierung, wonach die Vertreterin die Aufgaben einer Betriebsabteilung übernimmt, kann nicht dazu führen, dass die Vertreterin selbst als Betriebsabteilung des Versicherers angesehen werden kann. Vielmehr spricht dies nur dafür, dass der Versicherer die im Geschäftsverkehr als selbstständige Firma nicht unter dem Briefkopf des Versicherers auftretende Vertreterin mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben betraut hat; dabei hat die Vertreterin sich im Internet auch selbst als Mehrfachversicherungsvertreterin bezeichnet.
  • Auch die Verpflichtung, Individualversicherungslösungen zu erstellen und Gespräche mit Vermittlern und Kunden zu führen, betrifft eine Tätigkeit der Vertreterin, die einen späteren Vertragsabschluss vorbereitet. Die Vertreterin hat dabei auch die eigenen Versicherungsverträge zwischen dem Versicherer und den ca. 3.000 Ausschließlichkeitsvertretern des Versicherers geprüft, diese beraten und die Anträge geprüft und angenommen.
  • Nach der Legaldefinition des § 91 Abs. 1 HGB ist ein Versicherungsvertreter nicht nur, wer als Handelsvertreter damit betraut ist, Versicherungsverträge zu vermitteln, sondern gleichermaßen auch, wer als Handelsvertreter damit betraut ist, Versicherungsverträge abzuschließen.
  • Zudem wird in der Präambel des Vertrags die Zeichnungsberechtigung der Vertreterin für Versicherungen der Sparte nach § 45 VVG ausdrücklich erwähnt. Das lässt darauf schließen, dass der nachfolgende Vertrag ein Versicherungsvertretervertrag ist.
  • Auch die Tatsache, dass die Vertreterin nach dem Vertrag keine vom Aufwand abhängige Festvergütung erhalten hat, sondern eine umsatzabhängige Provision aller neuen Versicherungsverträge ab Beginn des Vertrags, sprich für die Vermittlungstätigkeit der Vertreterin.
  • Für eine Versicherungsvermittlertätigkeit ist darüber hinaus ein unmittelbarer Kontakt zu den Versicherungskunden nicht erforderlich. Ausreichend ist eine mitursächliche Tätigkeit am Zustandekommen des Versicherungsvertrags, was bei der Vertreterin zu bejahen ist.
  • Auch die Abrechnungspraxis des Versicherers, der die Provisionsabrechnung ohne Umsatzsteuer wegen der Umsatzsteuerbefreiung für Versicherungsvermittler ausgestellt hat, spricht dafür, dass der Versicherer die Vertreterin selbst als Versicherungsvertreterin eingestuft hat.
  • Schließlich hat das OLG auch der internen Mitteilung des Versicherers allein deshalb einen erheblichen Beweiswert zugesprochen, weil der Versicherer die Abrechnungen nach dieser internen Mitteilung vorgenommen hat und die interne Mitteilung der Vertreterin ausgehändigt wurde.

Bedeutung für die Praxis

Der streitgegenständliche Kooperationsvertrag regelt sicherlich zwar ein atypisches Versicherungsvertretervertragsverhältnis. Dennoch enthält die Entscheidung doch zahlreiche Abgrenzungskriterien für die Einordnung einer Tätigkeit als Versicherungsvertreter. Diese können auch für andere Vertragsverhältnisse ausschlaggebend sein.

AUSGABE: VVP 11/2022, S. 5 · ID: 48654423

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