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AusgleichsanspruchAusgleichsanspruch (Teil 4): Billigkeit, Barwert sowie Ausgleich im mehrstufigen Vertrieb

Top-BeitragAbo-Inhalt03.02.2022390 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt Mathias Effenberger, Anwaltskanzlei Küstner, v. Manteuffel Partnerschaft mbB, Göttingen

| Der Ausgleichsanspruch stellt für viele Versicherungsvertreter die wirtschaftliche Absicherung oder gar die zentrale Altersversorgung dar. In der Rechtsprechung ist und bleibt der Ausgleichsanspruch daher seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner. VVP erläutert Ihnen in einer Serie die wichtigsten Regeln im Umgang mit dem Ausgleichsanspruch. Erfahren Sie nachfolge alles über die Billigkeit, die Anrechnung des Barwerts einer betrieblichen Altersversorgung und den Ausgleichsanspruch im mehrstufigen Vertrieb sowie bei einer Vertreter-GmbH. |

Billigkeitsprüfung

Bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs ist stets eine Billigkeitsprüfung vorzunehmen (§ 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HGB). Neben der Anrechnung des Barwerts einer betrieblichen Altersversorgung (dazu sogleich) kommen auch andere besondere Umstände in Betracht, die den Ausgleichsanspruch im Einzelfall mindern oder sogar gänzlich entfallen lassen können, etwa

  • ungeordnete Vermögensverhältnisse des Vertreters (OLG Köln, Beschluss vom 01.03.2021, Az. 19 U 148/20, Abruf-Nr. 222834 – Abzug 25 Prozent),
  • die Herbeiführung des Vertragsendes durch die Vertretergesellschaft, indem durch Änderungen bei den Gesellschaftern/Geschäftsführern eine entsprechende auflösende Bedingung im Vertretervertrag ausgelöst wird (BGH, Urteil vom 05.11.2020, Az. VII ZR 188/19, Abruf-Nr. 219353).

Theoretisch anerkannt, in der Rechtsprechung praktisch aber bedeutungslos sind Umstände, die den Ausgleichsanspruch im Rahmen der Billigkeit erhöhen könnten.

Wichtig | Beruft sich der Vertreter selbst auf die „Grundsätze“ als Schätzgrundlage (was er nicht muss), scheidet eine Erhöhung des Ausgleichs im Rahmen der Billigkeit wegen fallbezogener Besonderheiten von vornherein aus (BGH, Urteil vom 08.05.2014, Az. VII ZR 282/12, Abruf-Nr. 141718).

Anrechnung des Barwerts betrieblicher Altersversorgung

Bei allen Berechnungsarten des Ausgleichsanspruchs – sowohl nach den „Grundsätzen“ als auch nach dem Gesetz – stellt sich die Frage, ob Leistungen des vertretenen Unternehmens (Versicherers) für eine betriebliche Altersversorgung des Vertreters im Rahmen der Billigkeit auf den Ausgleichsanspruch angerechnet werden können.

Praxistipp | Bei „Mischfinanzierungen“, in denen auch Sie als Vertreter Leistungen für die betriebliche Altersversorgung erbringen, müssen Sie darauf achten, dass nicht der Barwert der gesamten Altersversorgung in Ansatz gebracht wird.

  • Grundvoraussetzung für die Anrechnung ist, dass der Vertreter nach Vertragsende Vorteile aus solchen Versorgungsleistungen in Form einer unverfallbaren Anwartschaft hat.
  • Außerdem kommt eine Anrechnung nur hinsichtlich derjenigen Teile in Betracht, die vom Unternehmen finanziert wurden.
  • Die Unternehmensleistung muss darüber hinaus „freiwillig“ sein, wobei dieses Merkmal nur zu verneinen ist, wenn eine gesetzliche Verpflichtung zu der Leistung bestand (BGH, Urteil vom 08.05.2014, Az. VII ZR 282/12, Abruf-Nr. 141718; OLG Köln, Beschluss vom 21.04.2016, Az. 19 U 165/15, Abruf-Nr. 224429; OLG Köln, Beschluss vom 20.10.2014, Az. 19 U 67/14, Abruf-Nr. 224430 m. w. N.; a. A. OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 18.09.2012, Az. 5 U 101/09, Abruf-Nr. 187326).

Starre Anrechnungsabrede ist unwirksam

Die „Grundsätze“ sehen ebenso wie viele vertragliche Regelungen ausdrücklich eine Anrechnung des kapitalisierten Barwerts einer unternehmensfinanzierten Rentenleistung vor. Der BGH hat jedoch starre Regelungen für unwirksam erklärt, die eine Anrechnung in jedem Fall und in voller Höhe vorschreiben.

Zwar komme die Anrechnung im Rahmen der Billigkeitsprüfung im Einzelfall in Betracht. Sei die vertragliche Regelung aber von vornherein darauf angelegt, den Ausgleichsanspruch immer um den Barwert der Versorgungsleistungen zu vermindern, verstoße das gegen die gesetzlich zwingend vorgesehene Einzelfallprüfung der Billigkeit (BGH, Urteil vom 20.11.2002, Az. VIII ZR 146/01, Abruf-Nr. 021782).

Anrechnung im Rahmen der Billigkeitsprüfung im Einzelfall möglich

Auch wenn entsprechende Regelungen im Vertrag unwirksam sein sollten, bleibt es bei der Einzelfallprüfung. Dabei geht die höchstrichterliche Rechtsprechung von dem Grundgedanken aus, dass eine Anrechnung im Regelfall der Billigkeit entspricht, weil Altersversorgung und Ausgleichsanspruch zumindest teilweise demselben Zweck dienen und damit eine „funktionelle Verwandtschaft“ besteht.

  • Deshalb entspricht nach Ansicht des BGH die Anrechnung insbesondere dann der Billigkeit, wenn der Vertreter wegen Erreichens der Altersgrenze aus dem Vertrag ausscheidet (BGH, Urteil vom 20.11.2002, Az. VIII ZR 211/01, Abruf-Nr. 030027; bejahend auch für den Fall späteren Ausscheidens OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.05.2017, Az. I-16 U 61/16, Abruf-Nr. 224431).
  • Aber auch in einem Fall, in dem eine erhebliche zeitliche Differenz zwischen Fälligwerden des Ausgleichsanspruchs und Fälligwerden der Altersversorgungsleistungen bestand (im Streitfall Fälligkeitsdifferenz: rund 20 Jahre), hat der BGH die Kürzung des Ausgleichsanspruchs um den Barwert der Versorgungsleistung für rechtens gehalten (BGH, Urteil vom 20.11.2002, Az. VIII ZR 211/01, Abruf-Nr. 030027; zustimmend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.08.2013, Az. I-16 W 64/12, Abruf-Nr. 224432; OLG Köln, Beschluss vom 28.11.2014, Az. 19 U 71/14, Abruf-Nr. 144371; OLG Köln, Beschluss vom 20.10.2014, Az. 19 U 67/14, Abruf-Nr. 224430).

Diese Entscheidung hat der BGH im Jahr 2002 am gleichen Tage verkündet wie das Urteil, das starre Vertragsregelungen zur Anrechnung für unwirksam erklärt. Gleichwohl hat sich der BGH zur Begründung insbesondere auf die vertragliche Vereinbarung der Anrechnung berufen. Auf die Wirksamkeit dieser Vereinbarung komme es nicht an. Jedenfalls hätten die Parteien durch ihr Einverständnis mit dieser Regelung zum Ausdruck gebracht, was sie für der Billigkeit entsprechend erachten.

Wichtig | Beruft sich der Vertreter selbst auf die „Grundsätze“ als Schätzgrundlage, muss er nach Ansicht des BGH auch die darin vorgesehene volle Anrechnung der Altersversorgungsleistung gegen sich gelten lassen. Für eine einzelfallbezogene Billigkeitsprüfung ist dann kein Raum mehr (BGH, Urteil vom 08.05.2014, Az. VII ZR 282/12, Abruf-Nr. 141718; im Anschluss OLG München, Urteil vom 21.03.2019, Az. 23 U 1500/18, Abruf-Nr. 224433; OLG Köln, Beschluss vom 21.04.2016, Az. 19 U 165/15, Abruf-Nr. 224429).

In der Praxis werden auf Basis dieser BGH-Rechtsprechung die Barwerte von Altersversorgungsleistungen regelmäßig in voller Höhe angerechnet.

Wichtig | Eine Reduzierung bzw. der gänzliche Entfall der Anrechnung ist zwar bei der Billigkeitsprüfung bei Vorliegen besonderer Einzelfallumstände grundsätzlich möglich. Möchten Sie die Anrechnung monieren, sollten Sie allerdings auch den möglicherweise negativen Ausgang eines sich über mehrere Instanzen hinziehenden Rechtsstreits in Ihre Überlegungen einbeziehen. Die Risiken zeigt beispielhaft der Gang eines Münchener Verfahrens.

Beispiel eines Münchener Verfahrens durch die Instanzen

Das LG München I hatte in einem Fall dem Vertreter in erster Instanz recht gegeben: Die Fälligkeitsdifferenz von 14 Jahren spreche ebenso wie eine wesentliche Aufzehrung des Ausgleichsanspruchs durch die Anrechnung (um rund drei Viertel) gegen die Anrechnung; dies sei daher unbillig (LG München I, Urteil vom 23.12.2003, Az. 13 HK O 10668/03). Das OLG München sah dies in der Berufung jedoch anders. Es ließ die Anrechnung zu: Der Vertreter verlor und hatte die Kosten beider Instanzen zu tragen (OLG München, Urteil vom 21.07.2004, Az. 7 U 1800/04, Abruf-Nr. 042640; ebenso später OLG München, Urteil vom 05.08.2009, Az. 7 U 2055/09, Abruf-Nr. 093410; zur nur teilweisen Anrechenbarkeit aufgrund der Einzelfallumstände aber auch OLG München, Urteil vom 16.11.2006, Az. 23 U 2539/06, Abruf-Nr. 071091).

Ausgleichsanspruch im mehrstufigen Vertrieb

Hinsichtlich des Ausgleichsanspruchs im mehrstufigen Vertrieb sind insbesondere zwei Fragestellungen relevant:

  • Sind die Superprovisionen ausgleichspflichtig?
  • Wie bemisst sich der Ausgleichsanspruch bei echten Untervertretern?

Superprovisionen ausgleichspflichtig?

In der Praxis wird man sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientieren können, die die Berücksichtigung von Superprovisionen bei der Ausgleichsberechnung bejaht.

Zwar hat das OLG München 2009 entschieden, dass Superprovisionen auf das von zugeordneten Untervertretern vermittelte Geschäft bei der Berechnung eines Ausgleichsanspruchs des Vertreters jedenfalls nach den „Grundsätzen Leben“ nicht berücksichtigt werden können (OLG München, Urteil vom 10.06.2009, Az. 7 U 4522/08, Abruf-Nr. 092622). Damit hat es der bis dahin herrschenden Meinung widersprochen.

Der BGH hat aber auch 2011 betont, dass Superprovisionen einer Führungskraft ausgleichspflichtig sein können, soweit die Tätigkeit des übergeordneten Vertreters Voraussetzung für das Arbeiten der ihm unterstellten Vertreter und daher mitursächlich für die von diesen vermittelten Abschlüsse ist. Eine solche Mitursächlichkeit setzt nach Ansicht des BGH nicht zwingend voraus, dass der Generalvertreter die ihm unterstellten Vertreter auch tatsächlich betreut. Vielmehr kann je nach den Umständen des Einzelfalls schon die Mitursächlichkeit bei der Einstellung und Einarbeitung der Untervertreter ausreichen (BGH, Urteil vom 23.11.2011, Az. VIII ZR 203/10, Abruf-Nr. 120027).

Entsprechend hat das OLG Frankfurt a. M., an das der BGH den Rechtsstreit zurückverwiesen hatte, in seiner nachgehenden Entscheidung die Superprovisionen vollständig berücksichtigt (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 18.09.2012, Az. 5 U 101/09, Abruf-Nr. 187326).

Ausgleichsanspruch bei echten Untervertretern

Der mehrstufige Vertrieb kann auch aus echten Haupt- und Untervertretern bestehen. Dabei ist nur der Hauptvertreter mit dem Produktgeber einerseits und den Untervertretern andererseits vertraglich verbunden. Aus diesem Grund richtet sich ein Ausgleichsanspruch des Untervertreters allein gegen den Hauptvertreter.

Wichtig | Daran ändert sich auch nichts, wenn Produktpartner Hilfestellungen anbieten, etwa dergestalt, dass sie Berechnungen des Ausgleichsanspruchs für einzelne Versicherungssparten nach den „Grundsätzen“ zur Verfügung stellen. Entscheidend dafür, wer Schuldner des Ausgleichsanspruchs ist, sind allein die vormals bestehenden handelsvertreterrechtlichen Vertragsbeziehungen zwischen Haupt- und Untervertreter.

Ausgleichsanspruch bei Vertreter-GmbHs

Ist der Vertreter in der Rechtsform einer GmbH tätig, gelten für den Ausgleichsanspruch prinzipiell dieselben Regeln wie im Falle einer natürlichen Person. Mit einem Unterschied:

Eine GmbH kann das Vertretervertragsverhältnis nicht aus alters- oder krankheitsbedingten Gründen ausgleichserhaltend kündigen. Denn eine GmbH als juristische Person wird nicht alt oder krank. Bestätigt hat diesen Grundsatz auch das OLG München (Urteil vom 19.01.2006, Az. 23 U 3885/05, Abruf-Nr. 121732).

Wichtig | Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn das Handelsvertretervertragsverhältnis mit der Person des Gesellschafter-Geschäftsführers der GmbH „stehen und fallen“ sollte. Das setzt aber voraus, dass das Vertragsverhältnis entsprechend personalisiert worden ist, also insbesondere Regelungen

  • zur persönlichen Leistungsverpflichtung der hinter der GmbH stehenden Person des Gesellschafter-Geschäftsführers und
  • zu einer von der Tätigkeit der natürlichen Person abhängigen Beendigung des Vertragsverhältnisses

getroffen wurden.

Ausgleichsanspruch ist der Höhe nach gedeckelt

Beim Ausgleichsanspruch gibt es Höchstbeträge, die sich nach Sparten unterscheiden.

  • Im Versicherungs- und Bausparbereich beträgt der Ausgleichsanspruch maximal das Dreifache einer durchschnittlichen Jahresprovision, berechnet aus den letzten fünf Vertragsjahren – bei kürzerer Dauer aus dieser Dauer (§ 89b Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 2 HGB).
  • In allen übrigen Bereichen, also etwa im Finanzdienstleistungsbereich, beläuft sich der Ausgleichsanspruch auf eine einfache durchschnittliche Jahresprovision (§ 89b Abs. 2 HGB).

Wichtig | Oft werden diese Höchstbeträge dahingehend missverstanden, dass ein Ausgleichsanspruch in diesen Höhen besteht und es weiterer Berechnungen des Ausgleichsanspruchs nicht bedarf. Das ist falsch: Die gesetzlich vorgesehenen Höchstbeträge dienen lediglich der Begrenzung des Ausgleichsanspruchs in den Fällen, in denen er nach der Rohausgleichsberechnung (dazu Beitragsteile 2 und 3) höher wäre. Sie dienen jedoch nicht der Anspruchsbegründung, auch nicht näherungs- oder schätzweise (so z. B. BGH, Urteil vom 15.10.1992, Az. I ZR 173/91).

Weiterführende Hinweise
  • Beitrag „Ausgleichsanspruch (Teil 1): Die wichtigsten Regeln im Umgang mit dem Ausgleichsanspruch“, VVP 12/2021, Seite 9 → Abruf-Nr. 47617049
  • Beitrag „Ausgleichsanspruch (Teil 2): So berechnet er sich nach den �Grundsätzen´“ VVP 1/2022, Seite 7 → Abruf-Nr. 47617929
  • Beitrag „Ausgleichsanspruch (Teil 3): Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach dem Gesetz“, VVP 2/2022, Seite 5 → Abruf-Nr. 47618040
  • Ein ausführliches Berechnungsbeispiel, wie Sie bei der Berechnung des Ausgleichs vorgehen, finden Sie in VVP 4/2022.
  • Haben Sie Fragen zum Ausgleichsanspruch, dann schreiben Sie an die Redaktion (E-Mail an: vvp@iww.de).

AUSGABE: VVP 3/2022, S. 10 · ID: 47614175

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