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BerufsunfähigkeitszusatzversicherungLiest der Versicherungsvertreter die Fragen vor, kann die Textform gewahrt sein
| Schließt der VN den Vertrag über einen Versicherungsvertreter, ist das Textformerfordernis bei den Gesundheitsfragen gewahrt, wenn der Agent dem Versicherungsinteressenten die Gefahrfragen wörtlich vorliest, dem Interessenten (auch nach Beantwortung) das vom Agenten ausgefüllte Formular vor der Unterzeichnung jedenfalls noch einmal zur Durchsicht vorgelegt und dem Interessenten dann (auch nach Unterschrift) die Fragen dauerhaft in lesbarer Form zur Verfügung stellt. So entschied es das OLG Hamm. |
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kann der VR vom Vertrag zurücktreten?
- 2. Wann ist das Textformerfordernis gewahrt?
- 3. Fragen müssen nicht verkörpert vor Augen stehen
- 4. So sind die Voraussetzungen erfüllt
- 5. Auf das Medium kommt es nicht an
- 6. Übergabe des Datenträgers als Dokumentationsfunktion
- 7. Auswirkungen auf die Fallbearbeitung
1. Kann der VR vom Vertrag zurücktreten?
Nach § 19 Abs. 1 VVG muss der VN bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des VR, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der VR in Textform gefragt hat, dem VR anzeigen. Verletzt der VN diese Anzeigepflicht, kann der VR gem. § 19 Abs. 2 VVG vom Vertrag zurücktreten.
Will sich also der VR wegen einer Anzeigepflichtverletzung des VN vom Vertrag lösen, muss er zwei Punkte nachweisen:
- Er muss den VN ordnungsgemäß und in Textform nach der im Streit stehenden Gefahr gefragt haben.
- Der VN muss die Frage vorsätzlich objektiv falsch beantwortet haben.
2. Wann ist das Textformerfordernis gewahrt?
Die Wahrung des Textformerfordernisses setzt voraus, dass die Fragen in einer Urkunde oder in einer anderen zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise gestellt wurden (vgl. OLG Saarbrücken 10.10.12, 5 U 408/11, ZfS 13, 223). Zudem muss dem Versicherungsinteressenten das Antragsformular auch in Textform zur Verfügung gestellt werden. Nur so wird der Dokumentationsfunktion des § 126b BGB hinreichend Rechnung getragen.
3. Fragen müssen nicht verkörpert vor Augen stehen
Das OLG Hamm wies in einem Hinweisbeschluss (15.1.24, 20 U 223/23, Abruf-Nr. 246099) darauf hin, dass es zur Wahrung des Textformerfordernisses aber nicht erforderlich sei, dass dem Antragsteller die Gefahrfragen bereits im Zeitpunkt ihrer Beantwortung verkörpert vor Augen stehen müssen.
Vielmehr könne das Vorlesen der Antragsfragen durch den Versicherungsvermittler ausreichen, wenn der Antragsteller im Zeitpunkt der Beantwortung die Fragen tatsächlich nicht sah, diese ihm aber (soweit im konkreten Streitfall relevant) wörtlich zur Kenntnis gebracht worden sind und der Antragsteller vor seiner Unterschrift hinreichend Gelegenheit hat, die Fragen zu sehen. Das Textformerfordernis ist gewahrt, wenn der Agent dem Versicherungsinteressenten die Gefahrfragen wörtlich vorliest, dem Interessenten (auch nach Beantwortung) das vom Agenten ausgefüllte Formular vor der Unterzeichnung jedenfalls noch einmal zur Durchsicht vorgelegt und dem Interessenten dann (auch nach Unterschrift) die Fragen dauerhaft in lesbarer Form zur Verfügung stellt.
Besteht eine Gleichstellung zur Lektüre des Vertragstextes? Merke | Entscheidend ist, ob die Fragen von dem Agenten mit dem Versicherungsinteressenten in einer Art und Weise durchgegangen worden sind, die es erlauben, dieses Vorgehen einer sorgsamen, nicht unter Zeitdruck stehenden und gegebenenfalls durch klärende Rückfragen ergänzten Lektüre des Fragetextes gleichzusetzen (vgl. hierzu OLG Hamm 23.8.21, 20 U 123/21, VersR 22, 296, Rn. 27 ff.). |
4. So sind die Voraussetzungen erfüllt
Im Fall des OLG Hamm waren diese Anforderungen erfüllt. Nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts hat der für den VR tätige Agent dem VN die Gesundheitsfragen vorgelesen und die Antworten in den Laptop eingegeben. Anschließend ist der Agent das Antragsformular noch einmal mit dem VN durchgegangen. Dabei hat er den Bildschirm so platziert, dass der VN den Text lesen konnte. Erst danach leistete der VN – offenbar auf einem Unterschriftenpad – die Unterschrift. Das Landgericht hat auch festgestellt, dass der Agent dem VN den Antrag einschließlich der Gesundheitsfragen, seiner Antworten und der Belehrung auf einem Datenträger überließ. Auf diese Weise ist das Antragsdokument dem VN jedenfalls nach dem Ausfüllen durch den Agenten noch einmal in verkörperter Form, nämlich gespeichert auf einem Datenträger und am Bildschirm lesbar, vorgelegt worden.
5. Auf das Medium kommt es nicht an
Für die Einhaltung der Textform macht es keinen Unterschied, ob der VN und der Agent gemeinsam ein früher übliches Antragsformular, ein am Computer ausgefülltes und sodann ausgedrucktes Formular oder ein gespeichertes Formular am Bildschirm durchgehen. Es kommt nur darauf an, dass das gemeinsame Durchgehen des Dokuments einer sorgsamen, nicht unter Zeitdruck stehenden und gegebenenfalls durch klärende Rückfragen ergänzten Lektüre des Fragetextes gleichzusetzen ist.
Hierfür spielt aber das Medium, durch das der Inhalt des Dokuments visualisiert wird, als solches keine Rolle. Ohne konkrete Anhaltspunkte ist insbesondere auch nicht etwa anzunehmen, dass eine Lektüre am Bildschirm von vornherein nur geringere Verständnismöglichkeiten bietet als eine Lektüre auf Papier, zumal in beiden Varianten kein Zeitdruck bestehen darf und die Möglichkeit für klärende Rückfragen gegeben sein muss.
6. Übergabe des Datenträgers als Dokumentationsfunktion
Dem VN sind die Vertragsunterlagen einschließlich der von ihm gegebenen Antworten auf die Gesundheitsfragen auch auf einem Datenträger überlassen worden. Damit ist auch die Dokumentationsfunktion erfüllt.
Ob der Agent den Datenträger vor oder nach der Unterschriftsleistung übergeben hat, ist unerheblich. Auch bei einem Antrag in Schriftform ist es ausreichend, dass der Antragsteller die für ihn bestimmte Durchschrift erst nach seiner Unterschriftsleistung und anschließender Trennung der durchgeschriebenen Papierbögen ausgehändigt bekam.
7. Auswirkungen auf die Fallbearbeitung
Beruft sich der VR auf falsche Angaben des VN bei Vertragsschluss, kann es bei der Fallbearbeitung eng werden, wenn die Fragen tatsächlich objektiv falsch beantwortet wurden. Dann können Sie den Rücktritt des VR möglicherweise noch über die Frage der Textform abwenden.
Allerdings können Sie nicht einfach argumentieren, dass der VR die Textform nicht gewahrt hat, weil dem VN bei Vertragsschluss kein schriftlicher Fragenkatalog zum Ausfüllen vorgelegt wurde. Sie müssen vielmehr auf den Einzelfall bezogen argumentieren, warum die Voraussetzungen der Textform nicht vorgelegen haben.
Checkliste / Textform bei den Gesundheitsfragen |
Nach § 19 Abs. 1 VVG muss der VR für ihn vertragsrelevante Gefahrumstände in Textform erfragen. Voraussetzung für das Einhalten der Textform ist:
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AUSGABE: VK 2/2025, S. 27 · ID: 50272166