Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Aug. 2025 abgeschlossen.
NutzungsausfallÜberlegungen zur Anwendung des „Mietwagenrisikos“ auf die Erstattung der Mietwagenkosten
| Weitere Entwicklungen in der Rechtsprechung sind der Anlass, der Frage nachzugehen, ob die Grundsätze des subjektbezogenen Schadenbegriffs mit dem Schlagwort „Mietwagenrisiko“ auch auf die Mietwagenkostenerstattung anzuwenden sind. Das hätte den charmanten Vorteil – auch für das Gericht! –, dass in einer Unzahl von Fällen die Schwacke/Fracke/Fraunhofer-Diskussion entfiele. Dass in derselben Anzahl Regressprozesse die Gerichte mit dieser Thematik belasten würden, ist derzeit nicht anzunehmen. |
1. Der BGH sieht die Erleichterung in der ganzen Breite
Nach der Rechtsprechung des BGH sind die Grundsätze des „Werkstattrisikos“ auch auf andere Schadenpositionen anwendbar, auf die der Geschädigte dem Grunde und der Höhe nach keinen Einfluss hat. Wörtlich: „Dies gilt für alle Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung, deren Entstehung dem Einfluss des Geschädigten entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.“ (BGH 12.3.24, VI ZR 280/22, Rn. 13, Abruf-Nr. 240862). Das „Sachverständigenrisiko“ hat der BGH in der zitierten Entscheidung bereits angewendet, für die Abschleppkosten ist das „Hakenrisiko“ in den Instanzen längst etabliert.
Für die Frage nach dem „Mietwagenrisiko“ kommt es entscheidend darauf an: Kann der Geschädigte die Höhe der Mietwagenkosten beeinflussen? Das lässt sich nicht mit einem schlichten „Ja“ und auch nicht mit einem schlichten „Nein“ beantworten. Das muss differenziert betrachtet werden.
2. Es ist nicht nur der Tarif
Die Mietwagen-Gesamtkosten haben drei Komponenten: die Dauer der Nutzung, die Gruppeneinstufung und den Tarif. Und im Erstattungsstreit kommt oft noch die „Ist das überhaupt ein offizieller Mietwagen?“-Problematik dazu.
3. Der Eintrag in der Zulassungsbescheinigung Teil I
Der durchschnittliche Geschädigte hat keinerlei Kenntnis darüber, dass es bei Mietwagen (hier wird der Begriff landläufig verwendet, im Personenbeförderungsrecht, dort in § 49 Abs. 4 PersBefG, ist „Mietwagen“ ja der Begriff für das „Taxi ohne Taxischild“) den Eintrag im Hinblick auf die Eigenschaft als Vermietfahrzeug für Selbstfahrer geben muss. Er weiß also nicht, dass er dort die „offizielle“ Mietwageneigenschaft des Fahrzeugs prüfen könnte. Mangels realistischer Kontrollmöglichkeit (Nachgucken wäre zugegebenermaßen einfach, aber man müsste wissen, wonach und wo man schauen muss) fällt diese Thematik sehr eindeutig in die Kategorie des subjektbezogenen Schadenbegriffs in der Ausprägungsform des Mietwagenrisikos.
Vollends albern wird es, wenn ein Versicherer derzeit einwendet, in der Zulassungsbescheinigung Teil I sei das Fahrzeug als „Selbstfahrermietfahrzeug“ bezeichnet. Es müsse aber „Selbstfahrervermietfahrzeug“ heißen. Deshalb erkenne er das Fahrzeug nicht als offiziellen Mietwagen an. Oder umgekehrt. Oder es dürfe nicht „Selbstfahrervermietfahrzeug“ oder „Selbstfahrermietfahrzeug“ heißen, sondern „Vermietfahrzeug für Selbstfahrer“ oder „Mietfahrzeug für Selbstfahrer“.
Den Behörden ist durch die Fahrzeugzulassungsverordnung kein Wortlaut vorgeschrieben. Es muss nur klar sein, was gemeint ist. Man findet alle oben genannten Formulierungen. Doch selbst wenn es einen vorgeschriebenen Wortlaut gäbe, der Geschädigte wird und muss den nicht kennen. Will man die gesamte ZB-I-Problematik dem subjektbezogenen Schadenbegriff unterfallen lassen, müssen eventuelle Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen den Autovermieter an den Versicherer abgetreten werden.
4. Die Anmietungsdauer
Mit den sehr wenigen Ausnahmen des trödelnden Geschädigten dürfte der Geschädigte jedenfalls bei Reparaturvorgängen sehr selten auf die Dauer des Geschehens und damit auf die Anmietdauer Einfluss haben. Ersatzteilbeschaffungsprobleme, Erkrankung und Ausfall von Mitarbeitern in der Werkstatt, dortige Personalengpässe in der Urlaubszeit, alles das liegt nicht im Einflussbereich des Geschädigten. Es findet in einer für ihn fremden Einflusssphäre statt.
Das ist also eine Gemengelage aus Werkstattrisiko und Mietwagenrisiko. Da muss man sich gar nicht festlegen. Allerdings muss man bei der Vorteilausgleichsabtretung aufpassen: Das ist eine Dreiecksbeziehung, wenn die Werkstatt nicht selbst der Vermieter ist:
Musterformulierung / Klageantrag mit Abtretung |
… zur Zahlung restlicher Mietwagenkostenerstattung in Höhe von … an den Autovermieter …, Zug um Zug gegen Abtretung von Schadenersatzansprüchen des Klägers gegen die Werkstatt ... wegen verzögerter Reparatur an den Beklagten zu verurteilen. |
Den Regress wird die Werkstatt kaum fürchten müssen. Denn es gilt im Rahmen solcher vertraglich basierter Schadenersatzansprüche „Kein Schadenersatz ohne Verschulden“, § 280 BGB. Zudem verweist § 280 Abs. 2 BGB auf § 286 BGB: Ohne Mahnung kein Schadenersatz wegen verzögerter Leistung.
5. Die Eingruppierung des Unfall- und des Mietfahrzeugs
Die Einstufung des Unfall- und des Mietfahrzeugs in die passenden Mietwagengruppen ist nicht trivial. Das Einstufungskriterium ist nämlich der Listenpreis, nicht hingegen die „Größe“. Der Golf überspannt von „Kleiner Motor, Ausstattung Margherita“ bis „Dicker Motor, volle Hütte“ vier Mietwagenklassen. Der Polo auch. Und so kann der Polo gruppengrößer sein als der Golf.
Die beteiligten Anwälte und Richter sind allesamt Profis. Und dennoch: Wer dieser Beteiligten weiß auf Anhieb, in welche Mietwagenklasse sein Fahrzeug fällt? Beim alten kleinen Smart ist das klar, bei den High-End-Sportwagen, -SUV und -Limousinen auch. Doch bei den anderen Autofahrern wird eher das fragende Gesicht vorherrschen. Der Geschädigte kann sich da nur auf die Beratung durch die Fachleute verlassen. Damit findet die Auswahl in einer für ihn fremden Sphäre statt. Dieser Themenpunkt fällt daher eindeutig in die Kategorie „Mietwagenrisiko“. Hier muss der Schadenersatzanspruch des Geschädigten gegen den Autovermieter wegen Beratungsverschuldens abgetreten werden, etwa so:
Musterformulierung / Klageantrag mit Abtretung |
… zur Zahlung restlicher Mietwagenkostenerstattung in Höhe von … an den Autovermieter …, Zug um Zug gegen Abtretung von Schadenersatzansprüchen des Klägers gegen den Autovermieter … wegen Beratungsverschuldens an den Beklagten zu verurteilen.“ |
6. Der Tarif und die Tücken des Preisvergleiches
Außerhalb der Not- und Eilsituation lässt sich durchaus begründen, warum der Geschädigte Einfluss auf die Tarifhöhe nehmen kann. Er könnte vor der Anmietung die Preise vergleichen. Er müsste es nur tun. Auf den ersten Blick wirkt das überzeugend.
Auf den zweiten Blick kann man da sehr ernsthafte Zweifel haben: Ohne festgelegten Abgabetermin, ohne Eingabe des Zahlungsmittels Kreditkarte und mit der Option Übergabe und Rückgabe des Fahrzeugs in der Werkstatt wird der Geschädigte jedenfalls online – und eine solche Online-Recherche ist heute der typische Weg zum Preisvergleich – kaum Angebote einholen können.
Bei den vielen Ex-post-Angeboten, die von Versicherern eingeholt werden, um gegen die Erstattung geltend gemachter Mietwagenkosten zu argumentieren, liegt die Anmietdauer in der Vergangenheit. Sie steht also bei seiner Anfrage fest. Und das Thema Vorfinanzierung ignoriert er einfach.
Jede klassische Anmietung, auf die sich die Preisrecherchen zwangsläufig beziehen, muss vom Mieter vorfinanziert werden. Die Kreditkartendaten werden hergegeben, der Vermieter blockiert auf der Kreditkarte den zu erwartenden Mietbetrag plus einen Kautionsbetrag, der in der Nähe von tausend Euro liegt. Noch fließt kein Geld, aber der Geschädigte mit begrenztem Verfügungsrahmen im Hinblick auf die Kreditkarte ist nun eingeschränkt. Am Tag der Rückgabe des Fahrzeugs wird die Kreditkarte belastet. Je nachdem, wie weit es an dem Tag noch bis zur Abbuchung der mit der Kreditkarte getätigten Ausgaben vom Konto des Geschädigten ist, gibt es eine große Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherer die Mietkosten noch nicht erstattet hat. Und wenn der Versicherer, was bei manchen Gesellschaften zu erwarten ist, auch das noch – weil oberhalb der Fraunhofer-Werte liegend – für zu teuer hält, wird das Stadium der Vorfinanzierung lange anhalten.
Gehört der Geschädigte nicht in die Gruppe derer, die nach Treu und Glauben zur Vorfinanzierung verpflichtet ist (BGH 18.2.20, VI ZR 115/19, Rn. 17, Abruf-Nr. 215406), muss er den Schaden nicht selbst vorfinanzieren, denn: „Grundsätzlich ist es Sache des Schädigers, die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist unter Umständen berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen.“
Bei aller Überzeugungskraft dieser Argumentation darf man aber nicht übersehen, dass der BGH auf den Normaltarif abgestellt hat, als er im Jahr 2003 seine bis dahin geltende Rechtsprechung, der Geschädigte durchschaue das Geflecht der Mietwagentarife nicht, aufgegeben hat. Mit denselben Argumenten war der Normaltarif damals schon ein Vorauszahlungstarif. Und dennoch hat der BGH als Ausgangswert darauf abgestellt.
Es mag sein, dass von einzelnen Vermietern bei persönlicher oder telefonischer Erkundigung auch ein Angebot ohne Vorauszahlung bei offenem Mietende abgegeben wird. Doch sagt die betriebswirtschaftliche Logik, dass dieser Preis ein sehr hoher Preis sein wird.
Rechtsprechungsübersicht |
Folgende Gerichte sagen, Mietwagenkosten seien in vollem Umfang dem „Mietwagenrisiko“ zuzuordnen. Das gelte für die Frage, ob der Mietwagen als solcher zugelassen sei, für die Frage der Anmietungsdauer wegen Reparaturverzögerungen wie auch für den Tarif.
Dagegen sprechen sich aus:
|
7. IWW Muster-Archiv
Wir haben für Sie passende Musterformulierungen „Schriftsatzmodule für Mietwagenrisiko“ vorbereitet. Diese finden Sie im Downloadbereich auf der VA-Homepage (iww.de/va) unter Zivilrecht → Unfallschadensrecht oder unter Abruf-Nr. 50483119.
- Aktuelles zum Werkstattrisiko – So setzen Sie die neue BGH-Rechtsprechung optimal um: VA Sonderausgabe im Downloadbereich unter iww.de/va.
AUSGABE: VA 8/2025, S. 135 · ID: 50475646