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ZweckbetriebNeues BFH-Urteil zu § 65 Nr. 3 AO: So ist die Wettbewerbsklausel in der Praxis zu prüfen
| § 65 Nr. 3 AO fordert für sog. allgemeine Zweckbetriebe, dass sie zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb treten, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist. Der BFH hat jetzt exemplarisch dargestellt, wie diese Wettbewerbsklausel im Einzelfall zu prüfen ist. |
Der Fall vor dem BFH
Im konkreten Fall ging es um eine gemeinnützige GmbH, deren Satzungszweck die Förderung von Wissenschaft und Forschung sowie die Mittelbeschaffung dafür ist. Der Zweck sollte insbesondere durch die Veröffentlichung wissenschaftlicher Beiträge und Zurverfügungstellung von Techniken zur Informationsfindung verwirklicht werden. Die wissenschaftlichen Beiträge wurden nicht unmittelbar von der gGmbH selbst publiziert, sondern von einer US-Einrichtung, die sie in einem Online-Journal als Open-Access-Publikation für die Allgemeinheit kostenlos zugänglich machte.
Die gGmbH übernahm die fachliche Prüfung und Freigabe der von den Autoren eingereichten Beiträge im sog. Peer-Review-Verfahren (sog. wissenschaftliches Editieren). Für ihre Tätigkeit erhielt sie eine Vergütung. Auf eine verbindliche Auskunft hin teilte das Finanzamt der gGmbH mit, diese Tätigkeit sei nicht gemeinnützig. Es handele sich um einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Diese Tätigkeit könne nämlich auch von weltweit ansässigen Konkurrenzunternehmen erbracht werden.
Der BFH: So wird eine Wettbewerbssituation festgestellt
Die Vorinstanz (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.10.2019, Az. 10 K 1033/19, Abruf-Nr. 224842) hatte die Zweckbetriebseigenschaft verneint, weil sie eine Wettbewerbssituation zu kommerziellen Zeitschriften sah. Diese Bewertung war dem BFH zu pauschal. Er gab den Fall zur erneuten Prüfung an das FG zurück und skizzierte dazu ein Prüfschema für das Konkurrenzverbot des § 65 Nr. 3 AO (BFH, Urteil vom 12.05.2022, Az. V R 37/20, Abruf-Nr. 230689).
Gericht oder Finanzverwaltung dürfen nicht nur ins Blaue behaupten
Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist eine tatsächliche, konkrete Konkurrenz- und Wettbewerbslage nicht erforderlich. Schon wenn ein Wettbewerb mit steuerpflichtigen Unternehmen lediglich möglich wäre, verstößt das gegen das Konkurrenzverbot. Auf die tatsächliche Wettbewerbssituation vor Ort kommt es nicht an (AEAO, Ziffer 4 zu § 65).
Der BFH sieht das anders: Bei der Prüfung der Wettbewerbssituation muss das Gericht (bzw. die Finanzverwaltung) konkrete Feststellungen treffen. Es muss den konkreten Fall und die speziellen Marktbedingungen bewerten. Dafür ist eine Reihe von Fragen zu prüfen. Auf diese Weise wird abgewogen zwischen der Förderung der Allgemeinheit und dem Aspekt der Wettbewerbsgleichheit. Wem der Vorrang einzuräumen ist, richtet sich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten (BFH, Urteil vom 15.12.1993, Az. X R 115/91).
Wird derselbe Kundenkreis erreicht?
Tatsächliche Konkurrenten sind im vorliegenden Fall kommerzielle Zeitschriften, die sich über Abonnements finanzieren. Es muss nach Ansicht des BFH deswegen geprüft werden, ob Open-Access-Publikationen dieselbe Zielgruppe erreichen oder einen anderen Kundenkreis ansprechen. Dabei könnte auch von Bedeutung sein, ob die im Open-Access-Verfahren veröffentlichten Fachbeiträge nicht schon tendenziell sehr spezielle Themen behandeln und – anders als bei kommerziellen Anbietern – nicht von weit- reichendem allgemeinen Interesse sind.
Ist die Art der Finanzierung die gleiche?
Kommerzielle wissenschaftliche Verlage finanzieren sich dadurch, dass Bezieher der Zeitschriften Abonnementgebühren zahlen. Das Open-Access-Publikationsverfahren finanziert sich dagegen über Entgelte der Autoren. Zu prüfen ist, ob beide dabei in Konkurrenz stehen.
Würde ein kommerzieller Wettbewerber die gleiche Tätigkeit erbringen?
Geprüft werden muss auch, ob ein nicht begünstigter Wettbewerber die gleiche konkrete Tätigkeit im wirtschaftlichen Verkehr erbringen würde oder ob es hier eine kommerzielle Konkurrenz gar nicht gibt. Konkret wäre hier nach Ansicht des BFH zu prüfen, ob es für das wissenschaftliche Editieren, mit dem die gGmbH die Manuskripte qualitativ aufwertet und zu einer Veröffentlichungsreife bringt, überhaupt einen entsprechenden Markt gibt.
Praxistipp | Das ist deswegen von Bedeutung, weil Rechtsprechung und Finanzverwaltung schon einen potenziellen Wettbewerb für schädlich halten. Gibt es also keine tatsächlichen Konkurrenten, muss geprüft werden, ob der spezielle Markt für kommerzielle Wettbewerber überhaupt von Interesse sein kann oder ob hier mangels Ertragsaussichten per se nur Nonprofit-Anbieter tätig werden. |
Gewinnerzielungsabsicht ist kein Abgrenzungskriterium
Dass die Entgelte für die Tätigkeit des Editierens lediglich kostendeckend waren, spielt dagegen keine Rolle. Dass kommerzielle Wettbewerber anders als gemeinnützige eine Gewinnerzielungsabsicht haben, genügt nicht als Abgrenzungskriterium. Auch das Wirtschaften nach dem Kostendeckungsprinzip führt als solches schon zu einer vermeidbaren Wettbewerbsbeeinträchtigung, wenn nicht ein vorrangiges Allgemeininteresse besteht.
Fazit | Das Urteil des BFH zeigt, dass das Konkurrenzverbot des § 65 Nr. 3 AO nicht pauschal abgehandelt werden kann, sondern eine detaillierte Prüfung erfordert. Der BFH gibt damit gemeinnützigen Einrichtungen eine Kriterienliste an die Hand, die auch als Argumentationsleitfaden gegenüber dem Finanzamt genutzt werden kann. In vielen Fällen zeigt sich nämlich, dass die Finanzverwaltung das Konkurrenzverbot des § 65 Nr. 3 AO zu pauschal in Stellung bringt. |
AUSGABE: SB 11/2022, S. 213 · ID: 48578731