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Zweckbetrieb/UmsatzsteuerFG-Urteil: „Unmittelbarkeits“-Kriterium bei Wohlfahrtspflege muss weit ausgelegt werden
| Eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege ist ein Zweckbetrieb, wenn sie in besonderem Maß bedürftigen Personen dient. Dazu müssen diesen mindestens zwei Drittel der Leistungen zugute kommen. So steht es in § 66 AO. Das FG Schleswig-Holstein hat sich jetzt mit der Frage befasst, inwieweit die Leistungen den bedürftigen Personen unmittelbar zugute kommen müssen und ob auch Leistungen von Subunternehmern begünstigt sind. |
Der Fall vor dem FG Schleswig-Holstein
Im konkreten Fall ging es um einen gemeinnützigen Verein, der im Bereich des Rettungswesens, der Pflege und der Erste-Hilfe-Ausbildung tätig ist. Er führte u. a. Transporte von Blut und Gewebeproben zwischen Arztpraxen/Krankenhäusern und Laboren durch. Vertragliche Beziehungen bestanden dabei lediglich zwischen dem Verein und den Krankenhäusern/Ärzten bzw. den Laboren, nicht aber zu den Patienten, deren Proben er transportierte.
Im Rahmen einer Außenprüfung gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, die Umsätze fielen nicht in den Zweckbetrieb und müssten deswegen mit dem vollen Steuersatz von 19 Prozent besteuert werden. Die Leistungen kämen nämlich nicht unmittelbar dem begünstigten Personenkreis (Verletzte, Kranke und Behinderte) zugute, sondern seien gegenüber Dritten erbracht worden. Insoweit seien mit den Leistungen nicht unmittelbar satzungsmäßige Zwecke erfüllt worden. Damit greife die Regelung des § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG nicht, wonach die Einrichtung mit den begünstigten Umsätzen ihre satzungsgemäßen Zwecke selbst verwirklichen muss und die Leistungen unmittelbar dem begünstigten Personenkreis zugute kommen müssen.
FG entscheidet auf Zweckbetrieb nach § 66 AO
Der Verein klagte und bekam vor dem FG Recht. Für das FG waren die Anforderungen an einen Zweckbetrieb nach § 66 AO erfüllt (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 28.06.2022, Az. 4 K 96/19, Abruf-Nr. 230930).
FG sieht Zwei-Drittel-Regelung als erfüllt an
Die Transporte der Blut- und Gewebeproben dienten nahezu ausschließlich dazu, kranken – also hilfsbedürftigen – Menschen zu helfen. Die Zweidrittel-Regelung war also erfüllt. Die Tätigkeit erfolgte auch nicht erwerbsmäßig, weil nicht ersichtlich war, dass mit ihr Gewinne angestrebt wurden, die den konkreten Finanzierungsbedarf überstiegen.
Direktes Vertragsverhältnis zu Patienten ist keine Bedingung des § 66 AO
Ebenfalls keine Rolle spielte, dass die Leistungen den kranken Menschen nicht im Rahmen eines direkten Vertragsverhältnisses zugute kamen, sondern der Verein nur als Subunternehmer tätig war.
Für ein „Zugutekommen“ i. S. v. § 66 AO ist nämlich keine vertragliche Leistungsbeziehung mit den begünstigten Personen erforderlich.
Wichtig | Auch die Finanzverwaltung hat mit Verweis auf die BFH-Rechtsprechung klargestellt, dass es auf die Vertragsbeziehung, die der Leistungserbringung zugrunde liegt, nicht ankommt. Entscheidend ist, dass die Einrichtung der Wohlfahrtspflege zumindest faktisch unmittelbar gegenüber den bedürftigen Personen tätig wird (AEAO zur AO, Ziffer 3 zu § 66).
Was heißt „zugute kommen“?
Nach Ansicht des Finanzamts hatte im vorliegenden Fall aber die Unmittelbarkeit der Leistung gefehlt. Diese Anforderung hielt das FG aber für unzulässig hoch. § 66 AO – so das FG – verlangt lediglich ein „Zugutekommen“. Das erlaubt vom Wortsinn her eine Begünstigung auch dann, wenn die Körperschaft Leistungen nicht unmittelbar an die Patienten erbracht hat. Diese Auslegung widerspricht auch nicht dem Zweck der Regelung. Es genügt, wenn sich die Leistung in der Linderung der Hilfsbedürftigkeit lediglich mittelbar bei den Betroffenen auswirkt. Deswegen spielt es keine Rolle, ob
- ein direktes Vertragsverhältnis zu den Hilfebedürftigen besteht („rechtlich unmittelbar“),
- ein physischer Kontakt zu ihnen vorliegt („faktisch unmittelbar“) oder
- es sich um ein mittelbares Wirkungsverhältnis zum Patienten handelt.
Wichtig | Entscheidend ist, dass die erbrachte Leistung zum selben Ergebnis führt, als wäre sie unmittelbar erbracht worden. Die (Teil-)Leistung muss lediglich innerhalb der Gesamtleistung unerlässlich sein. Es darf keine Rolle spielen, ob sie direkt oder durch Subunternehmer erfolgt.
Das FG verweist hier auf einen weiteren Rechtsprechungsfall. Der BFH hatte die Abrechnung von Leistungen von Rettungsdiensten als umsatzsteuerbefreit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL bewertet (BFH, Urteil vom 24.02.2021, Az. XI R 32/20, Abruf-Nr. 222986, SB 10/2021, Seite 181 → Abruf-Nr. 47631145). Auch hier sei es nicht entscheidend gewesen, auf welcher Leistungsstufe und in welchem faktischen oder vertraglichen Verhältnis zu dem Empfängerkreis (beförderte Personen) die Leistungen erbracht wurden.
Die Konsequenz für die Praxis
Die Entscheidung des FG erweitert die Zweckbetriebszuordnung des § 66 AO. Begünstigt sind damit alle mildtätigen Einrichtungen, die Komponenten für Leistungserbringungen an Hilfsbedürftige besteuern. Eine direkte Beziehung zu den betroffenen Personen ist nicht erforderlich. Das gilt grundsätzlich nicht nur im Fall der persönlichen Hilfsbedürftigkeit (also z. B. bei alten oder kranken Menschen), sondern auch bei wirtschaftlicher Hilfsbedürftigkeit.
Wichtig | Gegen das Urteil ist Revision eingelegt worden. Der BFH hat in dem Fall also das letzte Wort (Az. beim BFH: V R 14/22).
ID: 48578733