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KostenfestsetzungUngeklärte Erbfolge: Kostenfestsetzung durch Anwalt des verstorbenen Mandanten möglich?
| Stellen Sie sich den folgenden Praxisfall vor: Der von Ihnen vertretene Kläger verstirbt während des Klageverfahrens. Nachdem sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat, fasst das Prozessgericht den Beschluss, dass der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Im Beschluss ist der verstorbene Kläger mit seiner letzten Wohnanschrift aufgeführt. Sie können für den verstorbenen Mandanten nicht die Kostenfestsetzung beantragen. Der folgende Beitrag zeigt, was Sie tun können, um „auf Ihre Kosten zu kommen“. |
1. Grundsatz: Prozessvollmacht besteht für Erben fort
Der Umstand, dass eine Partei verstorben ist, bewirkt zunächst, dass nach § 86 ZPO die dem Prozessbevollmächtigten erteilte Vollmacht regelmäßig über den Tod des Mandanten hinaus fortbesteht. Der Prozess kann daher (mit Wirkung für und gegen die Erben) fortgeführt und beendet werden (§ 246 Abs. 1 ZPO; FG Sachsen-Anhalt 25.3.22, 5 Ko 166/22).
Mit dem Tod der Partei treten deren Erbe bzw. Erben als Rechtsnachfolger ohne Unterbrechung des Prozessverfahrens kraft Gesetzes in den Prozess ein (BGH NZA 04, 173). Dies schließt zwar nicht aus, dass der Prozess unter der bisherigen Parteibezeichnung fortgesetzt wird. Die Parteibezeichnung ist aber gemäß § 319 ZPO zu berichtigen, weil ein Verstorbener grundsätzlich nicht Verfahrensbeteiligter sein kann.
Die Niederlegung des Mandats ist nach dem Tod des Mandanten nur durch Kündigung gegenüber dem Rechtsnachfolger möglich (vgl. BGH 6.11.02, VIII ZB 60/02).
2. Auswirkungen auf die Kostenfestsetzung
Die Fortgeltung der Prozessvollmacht nach § 86 ZPO und des Eintritts des oder der Erben in den Prozess bedeutet, dass ein Prozessbevollmächtigter nach dem Tod seines Mandanten nicht weiter Prozesserklärungen namens seines verstorbenen Mandanten abgeben kann. Das bedeutet:
a) Anwalt kann Prozesserklärungen nur für Erben abgeben
§ 86 ZPO bewirkt, dass ein Rechtsanwalt nach dem Tod des Mandanten Prozessbevollmächtigter der – ggf. zunächst unbekannten – Erben des Mandanten geworden ist und er deshalb mit Wirkung für und gegen diese Prozesserklärungen abgeben kann, also auch nur für diese die Kostenfestsetzung beantragen kann und darf. Der Rechtsanwalt kann nicht die Kostenfestsetzung für den Verstorbenen beantragen.
b) Kostenfestsetzung zugunsten unbekannter Erben
Nach § 103 Abs. 1 ZPO kann der Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten nur aufgrund eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels geltend gemacht werden. Antragsbefugt ist nur derjenige, zu dessen Gunsten im Titel eine Kostengrundentscheidung gemäß §§ 91 ff. ZPO ergangen ist (BGH NJW 09, 233).
Abruf-Nr. 48646129
Das hat zur Folge: Stirbt der im Titel genannte Kostengläubiger nach Rechtshängigkeit, tritt die Rechtskraftwirkung des Beschlusses auch für dessen Rechtsnachfolger ein (BGH VE 10, 120). Ist die Erbfolge jedoch ungeklärt bzw. nicht nachgewiesen, besteht seitens des Prozessbevollmächtigten nur die Möglichkeit, die Kostenfestsetzung zugunsten der unbekannten Erben zu beantragen. Ein Muster dazu finden Sie am Ende des Beitrags sowie im Downloadbereich von iww.de/rvgprof unter der Abruf-Nr. 48646129.
c) Bei bekannten Erben ist eine Rechtsnachfolgeklausel erforderlich
Abruf-Nr. 48646160
Um den dem Grunde nach zugesprochenen Kostenerstattungsanspruch durchsetzen zu können, bedarf der bekannte Rechtsnachfolger nach § 727 ZPO einer Umschreibung des Titels in Form einer auf ihn lautenden vollstreckbaren Ausfertigung. Ein Muster dazu finden Sie am Ende des Beitrags sowie im Downloadbereich von iww.de/rvgprof unter der Abruf-Nr. 48646160. Sachlich zuständig ist das Gericht, das den Titel geschaffen hat (= das Prozessgericht). Funktionell zuständig ist der Rechtspfleger (§ 21 Nr. 1 RpflG).
Rechtsnachfolgenachweis |
Der Nachweis der Rechtsnachfolge ist durch öffentliche bzw. öffentlich beglaubigte Urkunden zu führen (vgl. VE 10, 126). Lediglich die Glaubhaftmachung einer möglichen Erbenstellung genügt nicht, ebenso wenig die Vorlage einer Generalvollmacht. Ist bekannt, dass der oder die Erben die Erbschaft (z. B. durch Beantragung eines Erbscheins) angenommen haben, ist es in der Regel ausreichend, wenn auf die entsprechenden Akten des Nachlassgerichts, das den Erbschein erteilt hat, verwiesen wird. Dieses wird sich regelmäßig die entsprechenden Akten beiziehen. Dies gilt vor allem, wenn sich das Nachlassgericht und das Prozessgericht, das die Kostengrundentscheidung erlassen hat, in einem Gebäude befinden. Ist dies nicht der Fall, muss dem Prozessgericht eine Erbscheinsausfertigung durch das Nachlassgericht zwecks Titelumschreibung vorgelegt werden. |
Beachten Sie | Der Nachweis der Rechtsnachfolge auf der Gläubigerseite durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden ist entbehrlich, wenn der (Kosten-)Schuldner die Rechtsnachfolge zugesteht (§ 288 ZPO). Dabei gilt jedoch nicht die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO, wonach nicht bestrittene Tatsachen als zugestanden gelten (BGH VE 05, 210).
3. Vergütungsrechtliche Auswirkungen
Stirbt der Mandant während des Rechtsstreits, ist mit dem Eintritt des Erbfalls jeder Erbe Auftraggeber des Rechtsanwalts. Die Erben werden neben dem Erblasser als weitere Auftraggeber gezählt. Bei der Vertretung des Mandanten als Erblasser und der weiteren Vertretung des bzw. der Erben entstehen die Anwaltsgebühren allerdings insgesamt nur einmal, da es sich um dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit handelt (§ 15 Abs. 2 RVG).
a) Bei bekannten Erben gilt Erhöhung pro Auftraggeber
Stehen die Erben fest, erhöht sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV RVG um 0,3 pro zusätzlichem Auftraggeber, maximal jedoch um 2,0.
b) Bei unbekannten Erben wird jedenfalls um 0,3 erhöht
Wird der Kostenfestsetzungsantrag für die unbekannten Erben gestellt, weil die Erbfolge (noch) nicht nachgewiesen ist, kann der Anwalt dennoch eine Erhöhung der Verfahrensgebühr von mindestens 0,3 nach Nr. 1008 VV RVG geltend machen. Denn es ist ja mindestens ein „unbekannter Erbe“ vorhanden!
Nachfestsetzung für mögliche weitere Erben vorbehalten Praxistipp | In einem solchen Fall sollten Sie die Kostenfestsetzung stets unter dem Vorbehalt der Nachfestsetzung für den Fall beantragen, wenn nachträglich feststeht, dass und wie viele weitere Erben tatsächlich vorhanden sind. So können Sie nachträglich die Verfahrensgebühr um 0,3 pro zusätzlichem Auftraggeber und maximal um 2,0 erhöhen. |
Muster / Antrag auf Titelumschreibung aufgrund Rechtsnachfolge |
An das …gericht Az: … / … In der Zivilangelegenheit Kläger: … / Beklagter: … zeige ich an, den Erben … zu vertreten. Namens und in Vollmacht meines Mandanten überreiche ich die vollstreckbare Ausfertigung der ergangenen Kostengrundentscheidung vom ... mit dem Antrag, eine vollstreckbare Ausfertigung des meinem Mandanten zum Zweck der Zwangsvollstreckung als Rechtsnachfolger des in der ergangenen Kostengrundentscheidung bezeichneten Kostengläubigers … zu erteilen. Begründung Der bisher aus dem Titel ersichtliche Kostengläubiger ist am … verstorben. Mein Mandant ist Erbe und damit Rechtsnachfolger des Kostengläubigers geworden, sodass der Titel nach § 727 ZPO auf ihn als neuen Kostengläubiger umzuschreiben ist. Zum Nachweis der Rechtsnachfolge in der in § 727 ZPO vorgesehenen Form der öffentlichen bzw. öffentlich beglaubigten Urkunde überreiche ich in der Anlage den Erbschein des Ag. … – Nachlassgericht – vom …, Az: … gez. Rechtsanwalt |
Muster / Kostenfestsetzungsantrag zugunsten unbekannter Erben |
An das …gericht Az: … / … In der Zivilangelegenheit Kläger: … / Beklagter: … wird gemäß §§ 103 f. ZPO beantragt, gegen den Beklagten die nachfolgend aufgeführten Kosten in Höhe von … EUR als notwendige Kosten festzusetzen und auszusprechen, dass der festgesetzte Betrag vom Tag der Antragstellung an mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen ist. Weiterhin wird beantragt, eine vollstreckbare Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses nebst Zustellbescheinigung zugunsten der unbekannten Erben zu erteilen. Darüber hinaus erfolgt die Kostenfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachfestsetzung, wenn feststeht, dass weitere Erben bekannt werden. Begründung Durch Urteil/Beschluss hat das erkennende Gericht am … dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Der Kläger als aufgeführter Kostengläubiger der Kostengrundentscheidung ist nach Rechtshängigkeit der Streitsache verstorben. Beweis: Sterbeurkunde der Stadt/Gemeinde … vom … Gemäß § 103 Abs. 1 ZPO kann der Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten nur aufgrund eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels geltend gemacht werden. Antragsbefugt ist nur derjenige, zu dessen Gunsten im Titel eine Kostengrundentscheidung nach §§ 91 ff. ZPO ergangen ist (BGH NJW 09, 233). Da der im Titel genannte Kläger als Kostengläubiger nach Rechtshängigkeit verstorben ist, tritt die Rechtskraftwirkung der Kostengrundentscheidung auch für dessen Rechtsnachfolger ein (BGH VE 10, 120). Vorliegend ist die Erbfolge jedoch ungeklärt. Daher besteht seitens des Unterzeichners als Prozessbevollmächtigtem nur die Möglichkeit, die Kostenfestsetzung zugunsten der unbekannten Erben zu beantragen (vgl. FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.3.22, 5 Ko 166/22). Kostenaufstellung Rechtsanwalt |
- Bei Fortsetzung eines Rechtsstreits für die Erben erhöhen sich die anwaltlichen Gebühren, RVG prof. 22, 82
AUSGABE: RVGprof 11/2022, S. 188 · ID: 48633023