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UmsatzsteuerPhysiotherapeuten und die Umsatzsteuer: Diese Umsätze sind umsatzsteuerpflichtig

Abo-Inhalt27.08.2024697 Min. LesedauerVon Dipl.-Finanzwirt Marvin Gummels, Hage

| Generell sind die Leistungen von Physiotherapeuten von der Umsatzsteuer befreit. Das gilt jedoch nicht für Selbstzahlerleistungen ohne Verordnung und für Zusatztätigkeiten wie den Betrieb einer Photovoltaik-Anlage. Welche dieser Umsätze unterliegen nun genau der Umsatzsteuer? Und gibt es einen Vorsteuerabzug? Diesem klassischen Praxisproblem geht der vorliegende Beitrag auf den Grund. Ein Folgebeitrag (Abruf-Nr. 50120662) befasst sich mit der Frage, wie Physiotherapeuten über die Kleinunternehmerregelung das optimale Gestaltungsmodell wählen können. |

Umsätze von Physiotherapeuten sind grundsätzlich steuerfrei

Physiotherapeuten sind gemäß § 2 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) umsatzsteuerliche Unternehmer. Denn sie erbringen gegenüber ihren Patienten aufgrund einer Verordnung durch Heilbehandlungen, Rehabilitationssport oder Funktionstraining usw. sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG und erhalten im Gegenzug von den Patienten bzw. dessen Kostenträger ein Entgelt. Dieser Vorgang verwirklicht deshalb den Tatbestand für einen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbaren Umsatz. Dennoch fällt keine Umsatzsteuer an. Denn die Umsätze aus verordneten Heilbehandlungen als Physiotherapeut sind gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG von der Umsatzsteuer befreit – ohne Höchstbeträge und einzuhaltender Grenzwerte.

Praxistipp | Bei Physiotherapeuten ist für die Steuerfreiheit erforderlich, dass die Leistungen aufgrund einer Verordnung durch einen Arzt bzw. Heilpraktiker oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme erbracht werden (Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 07.07.2005, Az. V R 23/04). Bei Anschlussbehandlungen genügt es, wenn der Patient spätestens nach Ablauf eines Jahres wegen derselben chronischen Erkrankung eine neue Verordnung vorlegt (Finanzgericht [FG] Düsseldorf, Urteil vom 16.04.2021, Az. 1 K 2249/17 U, PP 02/2022, Seite 18 ff.).

Effektiv führt die Steuerbefreiung dazu, dass Therapeuten, die sich auf das Kerngeschäft beschränken (d. h. verordnete Heilbehandlungen), mit der Umsatzsteuer nichts zu tun haben. Denn sie müssen aufgrund der steuerfreien Umsätze weder Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen noch sind sie berechtigt, die in Eingangsrechnungen enthaltene Umsatzsteuer als Vorsteuer vom Finanzamt zurückzufordern. Denn weil die Eingangsrechnungen mit den steuerfreien Umsätzen zusammenhängen, ist der Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen. Diese Therapeuten gelten daher als Kleinunternehmer i. S. d. § 19 Abs. 1 UStG. Und das bietet unbürokratische Vorteile:

Beispiel 1: Physiotherapeutin erwirtschaftet nur (steuerfreien) Rezeptumsatz

Physiotherapeutin Tanja erhält von den Krankenversicherungen bzw. ihren Patienten jährlich 250.000 Euro und erbringt ausschließlich Leistungen aufgrund ärztlicher Verordnung. In den Eingangsrechnungen für ihre Praxis, zum Beispiel für Kraftfahrzeug-, Büro-, Rechts- und Beratungskosten, sind von ihr gezahlte Umsatzsteuern von insgesamt 10.000 Euro enthalten.

Lösung: Tanja schuldet dem Finanzamt keine Umsatzsteuer und vereinnahmt die 250.000 Euro brutto wie netto. Parallel wird sie mit der in den Eingangsrechnungen enthaltenen Umsatzsteuer von 10.000 Euro belastet, weil ihr aufgrund der steuerfreien Umsätze kein Vorsteuerabzug zusteht. Bis 2023 musste sie eine jährliche Umsatzsteuererklärung beim Finanzamt abgeben und in dieser ihren Umsatz als Kleinunternehmerin deklarieren – ohne Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen. Ab 2024 besteht diese Verpflichtung nicht mehr.

  • Für die Jahre bis 2023 muss nur eine jährliche Umsatzsteuererklärung beim Finanzamt abgegeben und darin der Gesamtumsatz deklariert werden.
  • Für die Jahre ab 2024 muss keine Umsatzsteuererklärung mehr beim Finanzamt abgegeben werden (§ 19 Abs. 1 S. 4 UStG).

Diese Zusatztätigkeiten sind umsatzsteuerpflichtig

Komplizierter wird es, wenn der Therapeut neben dem gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG steuerfreien Leistungen auch Leistungen erbringt, welche der Umsatzsteuer unterliegen. Das können zum Beispiel sein:

Praxistipp | Die Vermietung einer Wohnung zu Wohnzwecken an einen Dritten stellt hingegen kein umsatzsteuerliches „Problem“ dar. Denn die Wohnungsvermietung ist gemäß § 4 Nr. 12 UStG von der Umsatzsteuer befreit.

  • Leistungen ohne Verordnung/Rezept
  • Nicht verordnungsfähige Leistungen wie nicht invasive Magnetfeldtherapie, Fußreflexzonenmassage oder Akupunktur
  • Leistungen zur Veränderung der Körperform wie beispielsweise die Erstellung individueller Trainingspläne für Sportler
  • Maßnahmen zur Steigerung des Wohlbefindens wie beispielsweise Wellness-Massagen, Yogakurse, Rückenschule oder autogenes Training
  • Weitere unternehmerische Tätigkeiten wie der Betrieb einer PhotovoltaikAnlage oder die Vermietung einer Ferienwohnung

Weil für diese unternehmerischen Tätigkeiten keine Steuerbefreiung greift, wird nun der Physiotherapeut erstmals mit „richtigen“ umsatzsteuerlichen Konsequenzen und Verpflichtungen konfrontiert. Denn die Erlöse, die aus diesen Zusatztätigkeiten realisiert werden, unterliegen der Umsatzsteuer. Anders als in der Praxis oft gemeint, gilt die Umsatzsteuerpflicht aber „nur“ für die Umsätze aus den Zusatztätigkeiten. Die Umsätze aufgrund einer verordneten Heilbehandlung bleiben hingegen gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG steuerfrei.

Wichtig | Die Erlöse aus diesen Zusatztätigkeiten unterliegen grundsätzlich dem allgemeinen Steuersatz von 19 Prozent (§ 12 Abs. 1 UStG). Handelt es sich jedoch um grundsätzlich verordnungsfähige Leistungen im Bereich der Heilbäder, welche jedoch ohne Verordnung erbracht werden, dann kann der auf 7 Prozent ermäßigte Steuersatz gelten (§ 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG). Dieser gilt zum Beispiel für Peloidbäder und -packungen, Inhalationen, Elektrotherapie, Heilmassage, Heilgymnastik und Unterwasserdruckstrahl-Massagen.

Beispiel 2: Physiotherapeutin erzielt zusätzlich zum Rezeptumsatz auch steuerpflichtige Umsätze

Therapeutin Tanja (Beispiel 1) erzielt steuerfreie Erlöse durch verordnete Heilbehandlungen über 250.000 Euro. Zudem erbringt sie Leistungen ohne Verordnung bzw. allgemeine Maßnahmen zur Steigerung des Wohlbefindens wie Yogakurse zum Regelsteuersatz in Höhe von brutto 30.000 Euro.

Lösung: Während die Erlöse durch die verordneten Heilbehandlungen steuerfrei bleiben, unterliegen die weiteren Umsätze dem Regelsteuersatz von 19 Prozent (§ 12 Abs. 1 UStG). Die abzuführende Umsatzsteuer beträgt 4.789,91 Euro (= 30.000 Euro / 119 x 19).

Wichtig | Beträgt die Umsatzsteuer – nach Abzug von Vorsteuern – mehr als 2.000 Euro (bis 2024: 1.000 Euro), muss quartalsweise eine Umsatzsteuervoranmeldung beim Finanzamt eingereicht, hierin der im jeweiligen Quartal generierte Umsatz deklariert und die Umsatzsteuer abgeführt werden. Beträgt die Steuer mehr als 7.500 Euro, gilt die Verpflichtung für jeden Kalendermonat (§ 18 Abs. 2 UStG).

Der Vorsteuerabzug relativiert die Steuerbelastung

Wer A sagt, muss auch B sagen. Weil die Zusatztätigkeiten der Umsatzsteuer unterliegen, besteht nach Maßgabe des § 15 UStG auch ein Vorsteuerabzug. Das bedeutet, dass dem Physiotherapeuten die in den Eingangsrechnungen enthaltene Umsatzsteuer vom Finanzamt erstattet wird. Dieser Vorsteuerabzug gilt jedoch nicht für alle Eingangsrechnungen. Denn diese stehen teilweise ja auch mit den umsatzsteuerfreien Umsätzen aus den verordneten Heilbehandlungen in Zusammenhang. Es ist daher wie folgt zu unterscheiden:

Praxistipp | Nähere Details hierzu regelt auch das neue BMF-Schreiben vom 13.02.2024 (III C 2 - S 7306/22/10001 :001; online unter iww.de/s11434) sowie Abschnitt 15.16 und 15.17 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE; online unter iww.de/s11435).

  • 1. Die Eingangsrechnung steht mit den umsatzsteuerfreien Umsätzen aus den verordneten Heilbehandlungen in Zusammenhang?
  • = kein Vorsteuerabzug
  • 2. Die Eingangsrechnung steht mit den umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen (z. B. nicht verordnete Leistungen, Yogakurse) in Zusammenhang?
  • = voller Vorsteuerabzug
  • 3. Die Eingangsrechnung bezieht sich sowohl auf die umsatzsteuerfreien als auch die umsatzsteuerpflichtigen Umsätze (z. B. Buchführungsgebühren)?
  • = anteiliger Vorsteuerabzug.

Der anteilige Vorsteuerabzug kommt als Auffangtatbestand also immer nur dann zur Anwendung, wenn die Eingangsrechnung nicht eindeutig dem steuerfreien oder umsatzsteuerpflichtigen Bereich zugeordnet werden kann. Nur wenn das der Fall ist, richtet sich die Höhe des anteiligen Vorsteuerabzugs nach wirtschaftlichen Maßstäben. Diese wirtschaftlichen Maßstäbe können zum Beispiel die Wohn- bzw. Nutzflächen des Gebäudes sein, wenn sich die Eingangsrechnung auf das Gebäude bezieht. Nur, wenn im Ausnahmefall kein wirtschaftlicher Maßstab erkennbar ist, sind insoweit die Vorsteuern im Verhältnis des Nettoumsatzes der zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze zum Gesamtumsatz (also inkl. der steuerfreien Umsätze) maßgebend.

Beispiel 3: Therapeutin hat zusätzlich bezogen auf Eingangsumsätze Umsatzsteuer bezahlt

Therapeutin Tanja (Beispiele 1 und 2) hat Eingangsumsätze bezogen und in diesen Umsatzsteuern i. H. v. 10.000 Euro bezahlt. Von den Umsatzsteuern lassen sich 5.000 Euro den steuerfreien verordneten Heilbehandlungen direkt zuordnen. Weitere 2.000 Euro entfallen ausschließlich auf die steuerpflichtigen Umsätze (neue Matten für den Yogakurs). Die restlichen 3.000 Euro lassen sich keinem der Bereiche eindeutig zuordnen, da es sich zum einen um allgemeine Büroaufwendungen handelt und zum anderen um Anschaffungen, die sowohl den umsatzsteuerfreien als auch den umsatzsteuerpflichtigen Bereich betreffen.

Lösung: Die direkt den steuerpflichtigen Umsätzen zurechenbare Umsatzsteuer von 2.000 Euro ist vollständig als Vorsteuer abzugsfähig („Yogakurs“). Die auf die steuerfreien verordneten Heilbehandlungen entfallende Umsatzsteuer kann hingegen nicht geltend gemacht werden. Die nicht zuordenbaren Steuern in Höhe von 3.000 Euro sind gemessen an dem Umsatzschlüssel als Vorsteuer abzugsfähig. Das sind 274,80 Euro (3.000 Euro aufzuteilende Steuer / 275.210 Euro Gesamtumsatz x 25.210 Euro steuerpflichtiger Umsatz.) Denn zum Vorsteuerabzug berechtigen netto 25.210 Euro (30.000 Euro / 119 x 100) und der Gesamtumsatz beträgt netto 275.210 Euro (25.210 Euro + 250.000 Euro). Der gesamte Vorsteuerabzug beträgt damit 2.274,80 Euro.

Wichtig | Handelt es sich bei den nicht direkt zuordenbaren Steuern um Kosten des Gebäudes und können einzelne Räume den steuerfreien bzw. steuerpflichtigen Umsätzen zugeordnet werden, wäre vorrangig eine Aufteilung der Steuern im Verhältnis der Nutzflächen vorzunehmen. Nur der auf gemischt genutzte Räume (z. B. Eingangsbereich) entfallende Steuerbetrag wäre nach Umsätzen aufzuteilen.

Theoretisch werden dem Therapeuten die 2.274,80 Euro vom Finanzamt mit der Umsatzsteuererklärung erstattet. Tatsächlich erfolgt aber eine Verrechnung mit der von ihm zu zahlenden Umsatzsteuer von 4.789,91 Euro (vgl. Beispiel 2). Effektiv muss der Therapeut damit nur die Differenz über 2.515,11 Euro an das Finanzamt abführen. Würde der Vorsteuerabzug höher als die abzuführende Umsatzsteuer ausfallen, würde die Differenz dem Therapeuten jedoch erstattet werden.

Fazit | Die Umsatzsteuerpflicht kann auch etwas Gutes bedeuten. Nämlich dann, wenn der Vorsteuerabzug höher als die Umsatzsteuer ausfällt. In der Praxis ist das allerdings nur selten der Fall. Allgemein gilt daher, dass die Umsatzsteuer für Therapeuten zu Nachteilen und zu einem erhöhten Bürokratieaufwand führt. Doch diese Nachteile können umgangen werden – durch Anwendung der Kleinunternehmerregelung. Was es mit dieser auf sich hat, wie Sie diese nutzen und wann sie anwendbar ist, stellt Ihnen PP in der nächsten Ausgabe vor (Abruf-Nr. 50120662).

Weiterführende Hinweise
  • Wann sind physiotherapeutische Leistungen umsatzsteuerpflichtig? (PP 02/2022, Seite 18 ff.)
  • Physiotherapeutische Leistungen an Selbstzahler können umsatzsteuerfrei sein! (PP 10/2021, Seite 4 f.)

AUSGABE: PP 10/2024, S. 17 · ID: 50119836

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